Zeitreise mit Johnny Rotten Punk's not Dad in "Sons Of Norway"
07.07.2012, 11:02 Uhr
Von Punk zu Punk: Johnny Rotten alias John Lydon und Nikolaj alias Åsmund Høeg.
(Foto: Alamode Film)
"Never trust a Hippie" skandierten die Punks seinerzeit. Doch was tun, wenn ausgerechnet der eigene Vater ein Bilderbuch-Hippie ist, während man selbst gerade Sex Pistols und Co für sich entdeckt? Der Film "Sons Of Norway" erzählt so eine Geschichte - mit der Unterstützung von keinem Geringeren als Johnny Rotten.
Punk's not dead. Jedenfalls im Kino. Den Beweis dafür liefert Regisseur Jens Lien mit seinem Drama "Sons Of Norway". Und er ist dabei nicht allein. Kein Geringerer als Mister Sex Pistols Johnny Rotten alias John Lydon adelt sein Werk, und das nicht nur mit einem Gastauftritt. Der einstige Frontmann der ewigen Punk-Legenden fungiert bei dem Streifen auch als ausführender Produzent.
"Sons Of Norway" ist eine Zeitreise zurück in die ausklingenden 1970er-Jahre. Der pubertierende Nikolaj (Åsmund Høeg) wächst in einem Vorort von Oslo auf. Sein Vater Magnus (Sven Nordin) ist nicht nur ein erfolgreicher Architekt, für ihn könnte auch gelten: Punk's not Dad. Denn er und seine Frau Lone (Sonja Richter) sind Hippies, wie sie noch nicht einmal im Bilderbuch stehen. Sie fahren einen mit Blumen beklebten und zum Haus auf Rädern umgebauten VW-Bus, dekorieren an Weihnachten den Baum mit Bananen und fragen ihre Söhne, als diese sie beim Sex ertappen: "Hallo Jungs, wollt ihr uns mal vögeln sehen?" Und sie sind verständnisvoll: So verständnisvoll, dass sie, als die Kinder getreu den kapitalismuskritischen Tönen ihrer Eltern mit Rufen wie "Nieder mit dem Patriarchat" den Aufstand gegen die Erwachsenen unter dem Weihnachtsbaum proben, kurzerhand in den Protest mit einstimmen.
Kurzum: Eigentlich ist Nikolajs Leben die pure Flower-Power-Harmonie. Wären da nicht die dunklen Schatten, die sich mit einem Mal darüber legen. Der dunkelste von allen trifft die Familie wie ein Schlag: Mutter Lore wird auf dem Fahrrad von einem Auto überrollt und stirbt im Krankenhaus. Vor allem für Vater Magnus bricht buchstäblich eine Welt zusammen. Wochenlang kann er sich kaum noch aus dem Bett erheben. Nikolaj muss sich unterdessen der Herausforderung stellen, sich als Heranwachsender zu behaupten. Und er lernt den Punk kennen, der nun sogar bis in die letzten Winkel Norwegens schwappt und ihn und seine Freunde fasziniert.
"Freiheit ist Scheiße"
Es entwickelt sich ein skurriles Beziehungsgeflecht zwischen Nikolaj und seinem Vater. Auf der einen Seite steht der alternde Hippie, der liberaler kaum sein könnte. Als er sich vom Schock über den Tod seiner Frau allmählich wieder erholt, macht er sich sogar daran, auch noch die letzten bürgerlichen Konventionen über Bord zu werfen. Auf der anderen Seite steht der vom Jungen zum Mann heranreifende Nikolaj, der seine Rebellion in der Anarchie-Attitüde des Punk gefunden zu haben scheint, der Freigeistigkeit seines Vaters damit jedoch nur wenig entgegenzusetzen hat. Kaum deutlicher könnte dies werden, als Magnus ihn in ein Nudisten-Camp schleppt. Während alle um ihn herum auch noch die letzten Hüllen und Hemmungen fallenlassen, leistet Nikolaj tapfer Widerstand - mit einer Badehose im Union-Jack-Muster.
Der Streifen basiert auf Jugenderinnerungen des Drehbuchautors Nikolaj Frobenius, die dieser zuvor bereits in seinem Roman "Theory And Practice" zu Papier gebracht hatte. Er ist eine Hommage an jene Zeit, in der sich Kinder und ihre Eltern noch in scheinbar miteinander unversöhnlichen Sozialisationshintergründen gegenüberstanden. Scheinbar. Denn tatsächlich versucht der Film im Nachhinein zu versöhnen. "Never trust a Hippie" war einst ein geflügeltes Wort in der Punk-Szene, das nicht zuletzt Johnny Rotten nur allzu gern in den Mund nahm. Vermutlich würde er es weit von sich weisen, aber sein Mitwirken an "Sons Of Norway" lässt dann doch eine gewisse Altersmilde beim mittlerweile 56-jährigen John Lydon vermuten. Daran ändert auch seine Conclusio nichts, die er als Traumerscheinung Nikolaj mit auf den Weg gibt: "Freiheit ist Scheiße. Und Scheiße ist Freiheit. Wenn du das einmal verstanden hast - dann ist alles möglich."
Nein, der Film ist weder für Alt- und Jung-Punks noch für eingefleischte Sex-Pistols-Fans ein absolutes Muss. Lydons Auftritt dauert keine 45 Sekunden. Zudem wird "Sons Of Norway" - dessen Titel sich an die einstige Nationalhymne Norwegens im 19. Jahrhundert anlehnt - nur bedingt dem schrägen Ruf gerecht, der skandinavischen Filmen vorauseilt. Stattdessen verheddert er sich leider etwas zu sehr in der Unschlüssigkeit, was er eigentlich genau sein will. Ein Punk-Film? Ein Hippie-Film? Ein Vater-Sohn-Film? Ernsthaft oder verspielt? Realistisch oder überzeichnet? Lustig oder traurig? Am ehesten bringt es vielleicht die Bezeichnung Sozialdrama auf den Punkt. Einfühlsam und krawallarm auf der einen, aber auch arm an Höhepunkten und wirklich fesselnden Momenten auf der anderen Seite.
Was nach rund 80 Minuten übrig bleibt, ist der schlaglichtartige Einblick in das Leben eines Jungen, der zufälligerweise zur Zeit des Punk irgendwo da in Norwegen gerade erwachsen wird. Nicht weniger, aber leider eben auch nicht viel mehr. Außer der Musik natürlich. Doch an "God Save The Queen" und "Anarchy In The UK" hätten wir uns ganz sicher so oder so erinnert.
"Sons Of Norway" läuft seit dem 5. Juli in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de