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Vom Außenseiter zum Killer T.C. Boyle mag's "Hart auf hart"

T.C. Boyle nimmt die US-Gesellschaft aufs Korn, so wie Adam in "Hart auf hart" am Ende seine Widersacher.

T.C. Boyle nimmt die US-Gesellschaft aufs Korn, so wie Adam in "Hart auf hart" am Ende seine Widersacher.

(Foto: picture alliance / dpa)

Adam ist eine wandelnde Zeitbombe. Verfolgungswahn, Paranoia und ein absoluter Staatshass kennzeichnen ihn. Der Gesellschaft hat er längst den Rücken gekehrt. In eigens angelegten Bunkern im nordkalifornischen Wald bereitet er sich auf den "Tag X" vor. Sollen die "Wichser" nur kommen.

Es sind die kleinen Dinge im Leben, über die sich Otto Normalverbraucher so herrlich aufregen können: Wieso zahlt die Oma an der Kasse mit ihrem letzten Kleingeld statt mit Karte? Wieso drängelt der Hintermann auf der Autobahn? Wieso hält der Typ im Kinositz neben einem nicht einfach die Klappe während des Films? Nur selten, nur in Ausnahmefällen, werden aus diesen kleinen Dingen, den Mücken, die sprichwörtlichen Elefanten. Die Handlung in T.C. Boyles neuestem Werk "Hart auf hart" ist solch eine Ausnahme.

Als Hörbuch ist "Hart auf hart" im Hörverlag erschienen.

Als Hörbuch ist "Hart auf hart" im Hörverlag erschienen.

Da wäre Sara. 40 Jahre. Hufschmiedin. Sie kann von ihrem Job leben. Womit sie gar nicht leben kann, ist die Tatsache, dass ihr der Staat Vorschriften macht. Sich im eigenen Auto etwa anschnallen zu müssen, ist solch eine dämliche Vorschrift in ihren Augen. Und da in jedem ein kleiner Anarchist steckt, schert sie sich einen Teufel drum. Sie fährt Auto, wie sie es will. Der Ärger lässt nicht lang auf sich warten.

Der Polizist kann mit Saras fast mantrahaft vorgetragenem Satz "Ich habe keinen Vertrag mit ihnen" nichts anfangen. Erst soll Sara nur ihre Papiere vorzeigen. Dann soll sie aussteigen. Dann fordert die Staatsmacht Verstärkung an. Und das Ende von der Geschichte? Saras Auto wird konfisziert. Ihr Hund, der bei der Verhaftung des Herrchens Widerstand geleistet und eine Polizistin gebissen hat, kommt erst einmal ins Tierheim, Sara selbst erst auf Kaution wieder frei.

Aber damit ist die Schikane der Staatsmacht noch nicht vorbei. Sara muss ihr eigenes Auto auslösen, also ihr Eigentum freikaufen. Sie tut es, schließlich braucht sie es für ihre Arbeit. Aber da sich alles so lang hinzieht, kann sie ihren Hund nicht rechtzeitig aus dem Tierheim abholen. Schlimmer noch, da er zugebissen hat und keine Impfpapiere vorhanden sind, wird er in eine 30-tägige Quarantäne gesteckt. Sara ist außer sich.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Adam kommt ihr da gerade recht. Sie gabelt den Anhalter auf ihrem Nachhauseweg auf. Er ist Mitte 20. Kahlrasiert. Braungebrannt. Muskelgestählt. Trägt Army-Klamotten. Was aber noch viel sexyer ist: Adam teilt in gewisser Weise Saras absoluten Freiheitsgedanken und den Hass auf die Staatsmacht. Wenn er auch nur selten und dann sehr wenig spricht, seine Einstellung kann Adam nicht lange verbergen. "Alle Politiker sind Verbrecher."

Es funkt - zumindest bei Sara. Adam hat etwas anderes im Sinn. Etwas ganz anderes: Adam sieht es als seine Pflicht an, "der erste Waldläufer der modernen Zeit zu sein".

Auf den Spuren absoluter Freiheit

T.C. Boyle ist einer der Superstars der US-amerikanischen Literatur.

T.C. Boyle ist einer der Superstars der US-amerikanischen Literatur.

(Foto: picture alliance / dpa)

Spätestens jetzt lässt sich erahnen, wer hinter Adams und Saras Geschichte steckt: der US-amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle. Er ist bekannt für verschrobene Charaktere, für Ausflüge in die Historie. Und so würzt er "Hart auf hart" mit Versatzstücken aus dem Leben des John Colter - Waldläufer, Draufgänger, Naturbursche. Er lebte um 1800 herum und ist Adams Idol.

Der haust abwechselnd in eigens gebauten Bunkern in den nordkalifornischen Wäldern, wo er auch Opium anbaut - vollkommen unentdeckt, versteht sich - und im Haus seiner toten Großmutter. Gestellt und bezahlt wird Letzteres von seinen Eltern. Doch mit denen will Adam nichts zu tun haben. Eine Mauer um das Haus, ohne einen erkennbaren Eingang, soll das verdeutlichen.

Aber Adams Vater, einst Schuldirektor, jetzt 70 Jahre alt, Vietnam-Veteran und Pensionär, lässt sich von der Mauer nicht abhalten. Als Adam einmal längere Zeit nicht da ist, baut er ein Stahltor in den meterhohen Schutzwall. Kurz darauf räumt er das Haus mit seiner Frau leer und will es verkaufen. Das lässt Adam nicht auf sich sitzen. Diesmal setzt sich ein Rädchen in seinem Kopf in Bewegung, das niemand mehr stoppen kann. Nicht einmal Sara - schon gar nicht er selbst.

Der Ausnahmezustand ist erreicht. Blut beginnt zu fließen. Nicht zu knapp. Fast so wie einst, als John Colter den Blackfeet-Indianern in die Hände fiel. Wie sein großes Idol will Adam so viele seiner Feinde mit in den Tod reißen, wie er nur kann: "Hart auf hart" eben.

In jedem steckt ein Adam

August Diehl war zuletzt in der Komödie "Frau Ella" zu sehen.

August Diehl war zuletzt in der Komödie "Frau Ella" zu sehen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Und hart an der Realität. Das zeichnet T.C. Boyles neues Werk aus. Die Sprache ist so up to date, wie sie in Zeiten von "50 Shades Of Grey" nur eben sein kann, voller unflätiger Beschimpfungen. Da klingt "Wichser" noch nett. Die Aktualität scheint Boyles Werk dabei nahezu täglich zu überholen. Erst die Anschläge in Paris, dann in Kopenhagen. Engstirnige Menschen, die ausrasten, töten, getrieben von verschrobenen Gedanken verwirrter Gehirne - "Adam" scheint allgegenwärtig.

Und in jedem steckt ein Adam. Das macht auch Boyle klar. Jeder will einmal ausrasten, seine Grenzen testen. Aber zwischen dem Wollen und dem Tun liegen zum Glück Welten. Jeder steht einmal oder mehrmals in seinem Leben vor der Entscheidung, welchen Weg er einschlagen will: Dem Autobahn-Drängler hinterherrasen und abdrängen? Dem Typen im Kinositz neben einem das Recht des Stärkeren ganz genau erklären?

"Hart auf hart", erschienen im Hörverlag, macht aggressiv. Lesespaß sucht man daher eher vergebens. Ein Hörvergnügen ist Boyles Werk aber dafür allemal. August Diehl, seines Zeichens deutscher Schauspieler, bekannt für so manch abstruse und nicht mainstreamkonforme Rolle (etwa Karl Koch im Hacker-Kultfilm "23") verleiht Boyles Werk als Hörbuch die nötige Intensität und Ernsthaftigkeit. Dabei überreizt er nicht und bleibt Boyles Vorlage treu, rund achteinhalb Stunden in gekürzter Fassung. Diese Zeit reicht aus, um aus einem jungen Mann, zugegeben etwas verschroben und nonkonform, einen kaltblütigen Killer zu machen. Das ist das Erschreckende und Faszinierende an "Hart auf hart".

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Quelle: ntv.de

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