Die kleinen Helden des Alltags Frank Goosen und seine "Raketenmänner"
27.07.2014, 07:34 Uhr
Frank Goosen ist ein Kind des Ruhrpotts, das mekrt man seinen Figuren an: schnoddrig, herzlich, liebenswert.
(Foto: Frank Goosen)
Wenn deine Ehefrau dich betrügt, was würdest du tun? Scheidung? Nein, Kamerke will es ihr gleichtun, nachziehen. Er will ein Mutiger sein, ein "Rocket Man", wie ihn Elton John so treffend besingt. Aber wird er es auch tun?
Welcher Mann wäre nicht gern ein Superheld? Mal schnell den Umhang überwerfen, alle anderen Termine beiseiteschieben und direkt zum ersten Konzert der Tochter sausen. Ins schusssichere Kostüm springen und den Banküberfall um die Ecke vereiteln. Den gepanzerten Anzug überstreifen, sich in die Lüfte schwingen und irgendetwas Heldenhaftes tun, und sei es auch nur, ein kleines süßes Kätzchen vom Baum zu retten und ihrer Besitzerin, einer netten Rentnerin, die sich dafür mit Kuchen und frisch gebrühtem Kaffee bedankt, zu übergeben. Wer hat diese Träume noch nicht gehabt? Ehrlich!

"Raketenmänner" ist als Audiobook bei Roof Music erschienen. Goosens frühere Werke "Sommerfest", "So viel Zeit", "Radio Heimat" und "A40" ebenso.
(Foto: Roof Music)
Frank Goosens "Raketenmänner" haben sie. Sie wollen einmal nur der Mann aus dem Elton-John- Song "Rocket Man" sein: "I'm not the man, they think I'm at home." Sie wollen aus dem Alltagstrott ausbrechen - wie Kobusch beispielsweise. Der arbeitet, hat Frau und Kinder und seit mehreren Wochen einen unfreiwilligen Untermieter: seinen alten Kumpel Sabolewski. Der hält von Arbeit zwar nicht viel, dafür lachen Kobuschs Kinder über "Sabos" Witze. Ja selbst Kobuschs Frau kommt blendend mit ihm aus. "Sabo" indes geht lieber in die alte Kneipe, schwelgt in Erinnerungen an die gute alte - glücklichere - Zeit, wo doch alles besser war, während Kobusch einfach nur fit für den nächsten Arbeitstag sein will.
Kamerke wiederum, ein weiterer Goosenscher Raketenmann, will einfach seine Ehefrau betrügen. Er will das allerdings nur, weil ihm seine Frau bereits zuvorgekommen ist. In einem Berliner Hotel sollte das doch wohl möglich sein. Aber die Realität sieht etwas anders aus. Er lernt eine Frau kennen, aber über das Vorlesen von "Madame Bovary" geht es nicht hinaus - zunächst. Ob Kamerke sich doch noch an seiner Frau rächt? Das weiß nur Goosen selbst.
Er ist es auch, der den Figuren in seinem Episoden-Roman "Raketenmänner" Leben einhaucht, auf die sympathischste aller Arten: mit Witz, Verletzlichkeit und ab und an auch mit der ihm so typischen Ruhrpott-Attitüde. Diese liebenswerte Schnoddrigkeit, die schon in "Sommerfest" oder "Radio Heimat" zum Erfolg geführt haben. Wer das erste Mal "Omma" oder "Hömma" aus seinem Mund hört, weiß Bescheid.
Von Erinnerungen und Freundschaft

Bochumer und Ruhrpottler durch und durch: Frank Goosen. Seine Bücher sind im Kiepenheuer&Witsch-Verlag erschienen.
(Foto: Frank Goosen)
Die "Raketenmänner" schwelgen melancholisch in der Vergangenheit, während sie versuchen, in der Gegenwart klarzukommen, um ja nicht an die Zukunft denken zu müssen. Als männlicher Hörer fühlt man mit jedem Einzelnen von ihnen mit - und sei es auch nur mit dem Chef, der von einem Haus am Meer träumt und doch eine Entlassungswelle bekannt geben muss. Oder mit "Sabo", der seinen Vater zuletzt als kleines Kind zu Gesicht bekommen hat. Er weiß von ihm nur, dass er ein begnadeter Musiker ist, der mit so ziemlich jedem Star der Vinylplatten-Zeit zusammengespielt hat. Oder aber mit dem verträumten jungen Wenzel, der sich seinen Traum von einem eigenen Plattenladen erfüllen will, in einer Zeit, wo schon die CD als verstaubt und ein Relikt längst vergangener Zeiten erscheint. Overbeck will nur eines, endlich Antworten von seiner ersten großen Liebe. Aber die fallen dann natürlich ganz anders aus als gedacht.
Allesamt wollen sie gern "Raketenmänner" sein und sind es dann doch nicht, oder vielleicht doch? Das liegt im Auge jedes einzelnen Betrachters. Für Goosen selbst sind alle Protagonisten seiner 16 Geschichten Helden, kleine Raketenmänner des Alltags. So wie er selbst.
Bochumer Tausendsassa
Frank Goosen, dessen physische und psychische Befindlichkeit darin abzulesen ist, ob er Kaffee schwarz, mit Milch oder gar Tee trinkt, ist nicht nur Autor. Goosen ist auch Kabarettist, Fußballfan und Jugendtrainer. Er ist Aufsichtsratsmitglied des einst unabsteigbaren VfL, Vater, Ehemann und Bochumer. Manche sagen, er sei nach Herbert Grönemeyer der zweitbekannteste Sohn der Stadt. Manche sagen sogar, er sei beliebter. Ich sage, er ist auf alle Fälle witziger und ein Autor, der auch für die kleinen Dinge des Lebens ein Auge hat. Goosen ist ein hervorragender Beobachter - und seine Figuren profitieren von dieser Gabe.
Das Hörbuch wiederum profitiert von Goosen: von seiner Heimatliebe genauso wie von seiner Lebenserfahrung - und von Goosen als Leser. So pointiert wie der Autor schreibt, liest er auch. Gassenhauer werden so regelrecht zu "Goosenhauern". Jede seiner Figuren wird unverwechselbar, bekommt eine eigene Seele eingehaucht, egal, ob nun der Turbo-Krupke, der einst fast Bayern-Profi geworden wäre und nun als Platzwart für Ordnung sorgt; oder eben Kamerke, der einen neuen Sinn in seinem Leben sucht.
"Raketenmänner" müssen diesen Sinn nicht suchen. Sie sind die Mutigen, nicht die Verlassenen oder Suchenden. Deshalb wollen alle Männer wie sie sein. Goosens Buch "Raketenmänner" ist aber auch der Beweis, dass in jedem von uns ein "Rocket Man" steckt, wenn auch manchmal nur ein kleiner, der sich immer wieder die alles entscheidende Frage stellt: "Bist du der geworden, der du sein wolltest?"
Quelle: ntv.de