Muss man gehört haben Happy End mit Blur
28.04.2015, 16:44 Uhr
Together again!!
(Foto: dpa)
Auf manche Band-Reunions kann man getrost verzichten, aber dass Blur wieder gemeinsam auftreten und mit "The Magic Whip" noch ein formidables Comeback-Album abliefern, ist Grund genug, auf den Tischen zu tanzen.
Comeback-Alben sind eine schwierige Angelegenheit, sie sollen vertraut klingen, aber dann auch nicht zu sehr, man möchte schon eine Weiterentwicklung hören und sich überraschen lassen. So etwas gelingt nicht jedem und deshalb dürfen sich die Jungs von Blur auch tüchtig auf die Schultern klopfen, denn bei "The Magic Whip" schimmert es "blury", aber man entdeckt auch neue Impulse. Die elektronischen Verzierungen klingen frisch und Albarn entwirft in seinen Texten schöne Bilder, wenn er in "Thought I was a Spaceman", davon singt, für einen Moment seine persönliche Blackbox gefunden zu haben.
Neues Lieblingslied
Ein Lied wie "Ghost Ship" verzückt mit lässigem Reggae-Rhythmus und dezenten Bläsern, und Albarn hoffte im Interview mit der BBC, dass die Fans dies zum neuen Lieblingslied küren würden, denn er singt es so gern. Kann er haben. Es fiept und piepst auf "The Magical Whip", Albarns Hang zur Electronica kommt durch, aber es lässt einen nicht kalt. Die Stimme des Briten ist wärmer geworden und so auch seine Lieder. Emotionales Herzstück dürfte "Terracotta Heart" sein, in dem er von zwei Menschen singt, die nach langer Zeit wieder zueinander finden, wobei man natürlich gleich an Coxon und Albarn denken muss.
Die beiden sind Kumpels seit der Schulzeit in Colchester und spielten immer mal wieder gemeinsam in verschiedenen Bands, bis es dann 1988 ernst wurde. Zusammen mit ihrem alten Freund, dem Drummer Dave Rowntree, und dem Bassisten Alex James, den Coxon an der Kunstschule in London kennenlernte, formierten sie die Band "Seymour". Sie bekamen schnell einen Vertrag, aber die Plattenfirma verlangte, dass sie sich umbenennen - Blur ward geboren.
Kampfansage an Grunge
Das erste Album "Leisure" aus dem Jahr 1991 war noch recht unausgegoren, passte aber mit den Singles "She's so high" und "There's No Other Way" zum damals angesagten, sogenannten "Madchester"-Sound und verschaffte den Briten erste Charterfolge. Eine für alle Bandmitglieder furchtbar lange US-Tour schüttelte Blur gewaltig durch, sorgte aber dafür, dass man sich musikalisch vollkommen auf die britischen Wurzeln von Bands wie The Kinks und The Small Faces besann und dem damals angesagten amerikanischen Grunge den Finger zeigte. Blur war nun durch und durch britisch, musikalisch wie textlich. Und siehe da, der Erfolg kam: "Modern Life is Rubbish" wurde 1993 von der britischen Presse als neuer Trend gefeiert, "Cool Britania" hieß es überall auf der Insel und Blur waren die Prinzen. 1994 erschien "Parklife" und machte die Engländer zu Superstars - überall sang man ihr "Girls & Boys" und brüllte "Parklife".
Britpop-Krieg
Im Norden hatte sich eine andere Band formiert, die ebenfalls ihr Britischsein betonte - Oasis! Und so begann der von den Medien und Gallagher-Brüdern angeheizte Britpop-Krieg, den "Blur" 1995 noch gewann, als ihr "Countrylife" von der Produktion "The Great Escape" vor Oasis' "Roll With It" in den Charts die Nase vorn hatte. Aber der Wind drehte sich in ihrer britischen Heimat zugunsten der Rivalen aus Manchester.
Albarn & Co. waren plötzlich nicht mehr cool. Ein musikalischer Richtungswechsel musste her: Coxon forcierte auf "Blur", das 1997 erschien, einen anderen Gitarrenstil, der von amerikanischen Indiebands wie Pavement und Sonic Youth beeinflusst war. Zudem wurden Albarns Texte persönlicher - "Beetlebum" handelt von einer Heroinerfahrung, die er mit seiner damaligen Freundin Justine Frischman machte. Das stürmische "Song 2" wurde in den USA, das Blur vorher ignoriert hatte, besonders geliebt. Also noch einmal die Kurve bekommen.
Zwei Jahre später änderte sich auf "13" der Sound noch einmal - immer mehr elektronische Töne tauchten auf - Steven Street, der normalerweise die Alben produzierte, wurde von Elektronik-Papst William Orbit abgelöst. Im Studio ging es hoch her, Coxon war zum damaligen Zeitpunkt Alkoholiker und oft im Rausch, während Albarn musikalisch seine Trennung von Frischman verarbeitete - trotzdem entstanden mit "Tender" und "Coffee & TV" kleine Meisterwerke.
Wenn das Fass überläuft
In den Jahren nach "13" ging jeder seiner eigenen Wege: Albarn formierte sehr erfolgreich die virtuelle Gruppe Gorillaz, auch Coxon bastelte an Soloprojekten. Trotzdem wurde wieder ein neues Blur-Album beschlossen, Coxon erschien aber nicht zu den ersten Studioaufnahmen - er war in der Suchtklinik. Für die übrigen Bandmitglieder war damit das Fass übergelaufen. Coxon deutete dies als Abschied und so ging es für Blur als Trio weiter. "Think Tank", das 2003 herauskam, trug stark die Handschrift von Albarn, der sich verstärkt für Kompositionen aus Afrika interessierte. Textlich setzte es sich mit dem "Krieg gegen den Terror" auseinander: Albarn wütete gegen den Einmarsch in Irak und den Krieg in Afghanistan.
Blur als Band gab es danach für eine Weile nicht mehr. Albarn tobte sich bei verschiedenen interessanten Musikprojekten aus, Alex James wurde vielfacher Vater und erfolgreicher Käseproduzent, Dave Rowntree ging in die Politik, während Coxon sein eigenes Ding machte und seinen alten Kumpels jahrelang aus dem Weg ging. Aber irgendwann wächst Gras über eine Sache und Coxon konnte Albarn wieder in die Augen zu schauen. Damit war der Weg zur Blur-Reunion geebnet. Die Band spielte 2009 triumphale Konzerte im Londoner Hyde Park und in Glastonbury. Fans hofften immer wieder auf neues Material, wurden aber jahrelang nur mit einigen Singles abgespeist. Aber nun ist es wieder soweit - die Jungs sind auch musikalisch im großen Stil zurück: "The Magic Whip" ist alles, was man sich als Blur-Fan wünschen kann - verspielt, sachte und immer noch rotzig. So kann die Reise noch lange weitergehen!
Zugabe:
Allen sei die emotionale Dokumentation "No Distance Left To Run" empfohlen, die die Band 2009 bei ihrer Tour begleitete. Die Musiker berichten sehr ehrlich über ihre Probleme miteinander und man ist Zeuge ihres größten musikalischen Triumphs: Glastonbury 2009, bei dem Damon Albarn vor Freude weint. Was fürs Herz.
Quelle: ntv.de