Alkohol ist (k)eine Lösung Henning Wehland, der Letzte an der Bar
01.02.2017, 19:22 Uhr
Macht Musik mit Hirn, Herz und Wumms: Henning Wehland.
Mit Henning Wehland würde man gerne mal der oder die Letzte an der Bar sein - langweilig dürfte das nicht werden. Der Sänger hat eine Menge erlebt, gute Ideen, noch viel vor und diese Art, die einen einfach in den Bann zieht. Der Mann kann Geschichten erzählen - und das macht er jetzt, auf seinem neuen Album. Er hat sein Territorium ganz neu abgesteckt. In künstlerischer Hinsicht, aber auch privat. Seit Anfang der 90er ist der in Bonn geborene Sänger und Songschreiber aktiv. Hat erst mit den H-Blockx, später dann mit Söhne Mannheims die deutsche Musikszene geprägt, insgesamt fast zweieinhalb Millionen Tonträger verkauft und als Juror bei "The Voice Kids" nach neuen Gesangstalenten Ausschau gehalten. Doch Wehland kennt sich auch ganz gut mit der anderen Seite aus: Mit den Tiefen, den kreativen Selbstzweifeln, mit Rückschlägen. Jetzt ist Henning Wehland also "Der Letzte an der Bar", der auf seinem ersten Soloalbum - und n-tv.de - seine bisherige Lebensgeschichte erzählt.
n-tv.de: "Der Letzte an der Bar" heißt dein neues Album …
Henning Wehland: Ja, und es stimmt fast immer (lacht).
Lieber Bier oder Rotwein?
Das ist so ähnlich wie mit Klamotten - kommt auf den Anlass an. Rotwein ist zumindest eine Form der Entspannung und des Genusses, daran würde ich mich nie besaufen (lacht). Bei Rotwein kann ich gut die Gedanken Revue passieren lassen.
Weißwein dagegen ist 'ne gefährliche Sache …
Süffelt sich eher weg, auch als Schorle. Da haben schon viele Menschen am nächsten Morgen doof aus der Wäsche geguckt, obwohl sie doch "nur" ein paar Schorlen hatten.
Dein Album ist ganz schön mutig - oder eher eine Notwendigkeit?
Wenn ich nach Prioritäten gehen darf, dann würde ich sagen: Top1 - notwendig, Top 2 - mutig, und Top 3 nicht zu vergessen - ganz natürlich. Das klingt ein bisschen zu philosophisch, ist doch aber so: Wenn wir in der Gesellschaft irgendwas verändern wollen, dann müssen wir bei uns selbst anfangen. Der Mut liegt darin, sich selbst an die Nase zu fassen und zu fragen, was für ein Hallodri bin ich eigentlich. Davon handelt das Album. Im Guten wie im Schlechten.
Hallodri?
Naja, ich mein' so Robbie Williams-mäßig (lacht). So jemand, der mit allem Scheiß durchkommt.
Ach so, dann ist ja gut.
Es war jetzt nicht so, dass ich nach einer dritten Karriere als Musiker gesucht habe, nach den H-Blockx oder den Söhnen Mannheims, aber um meine Geschichte zu erzählen, musste ich das jetzt eben alleine machen. Und herausgekommen ist 100 Prozent Henning Wehland. Das hat offensichtlich über 40 Jahre gedauert, ehe sich das so in mir zu einer Geschichte, oder eher zu mehreren Geschichten, geformt hat.
Deine - ich nehme mal an Kumpel - Andreas Dorau und Gereon Klug sinnieren im Begleitheft über dich und fragen sich: "Säuft der allein oder in Gesellschaft, wo, und welche Musik läuft da". Das wüsste ich auch gerne ….
Alleine saufen macht dick. Heißt aber nicht, dass man es nicht schon mal gemacht hätte (lacht). Aber man spricht nicht drüber. Denn es macht ja keinen Spaß und keinen Sinn und wenn man es denn tut, dann muss es einen Anlass geben. Ich liebe es zum Beispiel sehr, sich gegenseitig Songs vorzuspielen - und dabei ein durchaus alkoholhaltiges Getränk zu sich zu nehmen finde ich großartig. Geht aber auch ohne Alkohol. Früher habe ich beim Plattenhören mit meinen Kumpels oder Freundinnen auch mal Tee getrunken …
… aus so einem gesprenkelten Steingut-Service mit Blümchen drauf und der Griff der Kanne war umwickelt mit so einem Korbband?
Ja, genau, woher weißt du (lacht)? Ich denke aber, es gibt keine Musik, die man zum Trinken hören sollte, sondern es gibt Getränke, die zum Musikhören passen. Da bin ich aber frei. Es muss kein Cola-Rum zum Reggae oder Bier zu Country sein, aber ich liebe es, in der Kneipe unterhalten zu werden. Und da läuft ja auch Musik, die ich zu Hause nicht unbedingt hören würde, und das kann bei Jack Johnson anfangen, über Jazz gehen und sollte hauptsächlich zu der Person passen, die hinter der Bar steht, das ist was Geiles. Ich liebe es, überrascht zu werden: Von Musik, von Gesprächen, vom Alkohol (lacht).
"Ich bin frei", singst du. Warst du das vorher nicht?
Doch. Das impliziert ja nicht, dass es vorher total anders war. Ich bin jetzt frei, ich war vorher frei. Aber Freiheit ist so ein Gefühl, das einen auf eine gewisse Art und Weise einschränkt, weil man die ganze Zeit Angst hat, dass man gewisse Sachen nicht machen darf, von denen man meint, dass sie einen einengen könnten. Was mich frei macht, ist die Tatsache zu wissen, dass ich zufrieden und mit mir im Reinen bin. Aber was ich mich die letzten 25 Jahre gefragt habe: Was genau willst du eigentlich machen? H-Blockx oder Söhne Mannheims? Künstler oder Manager? Kindersendungen moderieren oder einen ordentlichen Beruf ausüben (lacht)? Was bist du eigentlich? Und ich war eben auf der Suche. Mir ist das scheißegal, ob ich Rocker, Rapper oder Hippie bin, ich bin Henning Wehland. Ich hab' ein Crossover-Gehirn, ich kann alles solange es für mich gut ist. Das ist meine Definition von Freiheit. Die mich aber auch verpflichtet, und dann eben auch wieder ein bisschen unfrei macht. Klingt ganz schön kompliziert, oder?
Geht schon. Bist du jetzt erwachsener?
Ich glaube ja. Bis zum meinem 42. Geburtstag war es ein riesiges Problem für mich, weil ich immer dachte, Erwachsene wissen alles, immer, und es ist ganz einfach, man weiß wie es geht. Und dann habe ich auf diesen Punkt gewartet, dass ich endlich erwachsen werde. Der kam aber nicht. 20, 25, 30, 40, nichts ist passiert, was mir gesagt hat: So, Henning, jetzt bist du aber erwachsen! Es wurde immer schwieriger. Mit 42 gab es dann viele Veränderungen, es drehte sich alles immer schneller, es wurde sehr anstrengend, ich hatte plötzlich das Gefühl, ich muss nicht mehr suchen, nicht mehr wegrennen. Ich habe mich dazu entschieden, Sänger zu sein, nichts anderes, Texter, Musiker. Und über mein Leben zu schreiben, nur für mich.
Erwachsen bedeutet also, mit sich selbst klar zu kommen und nicht für andere erwachsen sein zu müssen …
Exakt. Das ist es, auf den Punkt gebracht.
Das lass' ich dann mal auf Postkarten drucken. Viele werden ja erwachsen, wenn die Eltern sterben oder sie selbst Eltern werden.
Meine Mutter ist tatsächlich kurz nach meinem 42. Geburtstag gestorben, das war ja genau in dieser Zeit, von der ich eben sprach.
"Ich wurde mit Bier gestillt" singst du in "Panzer" … Also meine Mutter würde mit mir meckern, wenn ich so etwas behaupten würde.
Ja, das hätte meine Mutter auch gemacht. Mein Vater als Kriegskind zum Beispiel hasst es, dass ich singe, ich bin ein Panzer. Mag er gar nicht! Und ich weiß natürlich, auch wenn ich viel über Alkohol singe, wie gefährlich diese Droge ist. Und dass ich das nur als "Harlekin" singen kann, aber nicht in einem Streitgespräch rausbrülllen sollte. Ich will das Leben in der Kneipe echt nicht verherrlichen, ich bin ja ein Mann, der sich dieser Gefahr durchaus bewusst ist.
"Der alte Mann und das Leergut" - schwingt da Angst vor dem Alter mit? Oder ist das einfach deine Beobachtung unserer Umwelt?
Ja, ich bin tatsächlich mit vielen Ängsten ausgestattet. Vor allem habe ich Angst vor dem Tod. Oder dass ich so alleine bin, dass ich nichts mehr auf die Reihe bekomme. Oder dass ich vollkommen mittellos bin. Oder, dass ich keine Antworten mehr auf die Fragen meines Lebens habe, keine Lösung für die Probleme. Und Menschen zu sehen, die in den Mülleimern wühlen um mit Pfand ihr Leben aufzubessern, das zu realisieren ist schrecklich in einem Land wie Deutschland. Einem Land, das so reich ist. Aber der Hintergrund ist vielmehr, dass ich selber merke, wie unaufmerksam wir werden, dass wir die Menschen nicht mehr wahrnehmen. Es gab auch noch keinen Song über Flaschensammler, das ist doch schlimm, weil wir das verdrängen.
Es geht fast nicht mehr, es zu verdrängen, weil wir diesen Leuten ja überall begegnen.
Ja, aber du musst denen ins Gesicht schauen, das muss man erstmal aushalten können. Ich gucke den Leuten immer ins Gesicht, weil ich zeigen will, dass ich sie sehe, dass ich mir vorstellen kann, was sie erleiden.
Kinder sehen da hin. Kinder fragen, wo wird der alte Mann heute schlafen? Hat der Freunde? Warum ist der auf der Straße? Kinder fragen gar nicht, warum ist der dreckig oder so, Kinder sind viel sensibler und wünschen diesen Menschen ein gutes Leben. Während Erwachsene sich ja oft gestört fühlen. Weil sie Angst haben, selbst so zu enden vermutlich.
Ja, genau darum geht's.
Puh ... Zum Glück machst du ja auch so richtige Gute-Laune-Mucke: Die Zusammenarbeit mit LaBrassBanda zum Beispiel, zu hören in "Tanz' um dein Leben" - dieses Gypsy-Ding funktioniert einfach immer, oder?
Die Zeile "Tanz' um dein Leben" habe ich schon seit Jahren im Kopf. Stell dir vor du streitest dich mit jemandem, und plötzlich läuft das Lied, und ihr fangt an zu tanzen, so eine Polka. Eine Polka, die die Welt retten kann (lacht), das ist doch eine schöne Vorstellung. Die Nummer funktioniert live am besten.
Und sanft kannst du auch: "Der beste Beat der Welt" und "Bonnie und Clyde", mit Sarah Connor.
Ja, und ich bin mit Sarah bald auf Tour. Ich erwarte dich an der Bar.
Mit Henning Wehland sprach Sabine Oelmann
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Henning Wehland mit Sarah Connor auf Tour:
14.03.2017 Stuttgart, Porsche Arena
15.03.2017 Leipzig, Arena-Leipzig
16.03.2017 Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
18.03.2017 Berlin, Mercedes-Benz Arena
19.03.2017 Bremen, ÖVB-Arena
21.03.2017 Dortmund, Westfalenhalle 1
22.03.2017 Hamburg, Barclaycard Arena
23.03.2017 Braunschweig, Volkswagen Halle
24.03.2017 München, Olympiahalle München
Quelle: ntv.de