Lana del Rey - Küche oder Karriere "Ich fühl' mich jetzt richtig wohl"
07.06.2014, 19:43 Uhr
Ein West Coast Girl ist sie jetzt, yeah.
Das "Sunset Marquis"-Hotel in West Hollywood, ein Montagmittag. Lana del Rey kommt, eine Assistentin sowie Freund Barrie im Schlepptau, in aller Ruhe herbeigeschlendert, sie trägt ein gepunktetes helles Shirt, eine kurze Jeanshose und Sandalen. Die Haare sind brünett, sie sieht sehr viel natürlicher und - auch das - attraktiver aus als beim Treffen zu ihrem ersten Album "Born to die" vor zweieinhalb Jahren.
Viel ist seither natürlich passiert, die 27-Jährige, die als Lizzy Grant zur Welt kam, hat mit ihrem sich in der Ästhetik der 1960er-Jahre sonnenden Breitwandpop nunmehr die ganze Welt bezirzt, "Video Games" und "Summertime Sadness" sind beinahe schon zeitgenössische Klassiker, die Erwartungen an die zweite Platte "Ultraviolence" naturgemäß sehr hoch. Sieben Songs gibt es außer der bereits bekannten, schön schwelgerischen Single "West Coast" vorab zu hören, sie haben beeindruckende Titel wie "Shades of Cool", "Money Power Glory" oder "Fucked my Way up to the Top". Und obschon mit Dan Auerbach, dem Frontmann der trockenen Knarz-Rocker The Black Keys, ein ausgewiesener Minimalist das Album produziert hat, steht "Ultraviolence" dem Debüt in Sachen Opulenz-Pop absolut in nichts nach.
n-tv.de: Lana, wie lief dein Konzert beim "Coachella Festival"?
Lana del Rey: Richtig super. Ich muss sogar sagen, dieser Auftritt war einer der schönsten Momente überhaupt. Es war einfach toll.
Meinst du einen der schönsten Momente auf der Bühne oder einen der schönsten Momente in deinem gesamten Leben?
Auf der Bühne. Und im Leben eigentlich auch. Alles lief so leicht. Und bei mir ist ja sonst gar nichts leicht im Leben.
Ach komm.
(prustet) Gott, ist doch wahr. Mir ist nichts im Leben in den Schoß gefallen. Gestern Abend aber war einfach alles perfekt. Es war heiß, windig und wunderschön. Ich habe mir noch Muse angeschaut. Und Motörhead, die zusammen mit Slash auf der Bühne waren.
Lana del Rey ist ein Metal-Fan?
Oh ja. Ich stehe auf Classic Rock, und am Metal finde ich vor allem die Energie geil.
Lebst du jetzt eigentlich hier in Los Angeles? Bist du zum
"West Coast"-Mädchen geworden?
Ja, doch, kann man sagen. Ich mag die Kultur und die Geschichte der West Coast sehr gerne. In meinem neuen Video spielt zum Beispiel mein Lieblingstätowierer Mark Mahoney mit, das ist einer der ganz großen Könner seines Fachs. Marks Energie und die Energie der Skateboardprofis, die ebenfalls im Video dabei sind, ergeben so ein geiles L.A.-Gemisch, auf das ich sehr, sehr abfahre.
Im Video räkelst du dich auch am Strand.
Ich finde den Strand super. Ich komme aus Lake Placid, einem Wintersport-Ort in den Bergen, nahe der Ostküste. Wenn du von dort stammst, fühlt sich der Pazifische Ozean wie das paradiesische Ende der Welt an. Der Ozean war immer ein unerreichbarer Sehnsuchtsort für mich. Und jetzt wohne ich da.
Lebst du allein?
Nein, wir sind zu viert. Charlie und Caroline, meine jüngeren Geschwister wohnen mit mir zusammen. Und Barrie (James O’Neill), mein Freund. Er ist Schotte, ebenfalls Musiker, hat aber gerade seine Band verlassen und sucht jetzt nach einer neuen Beschäftigung.
Was treiben deine Geschwister?
Meine Schwester ist Fotografin, wir arbeiten häufig zusammen. Sie macht außerdem eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin. Und Charlie ist 20, studiert Film an der UCLA.
Machst du Yoga mit deiner Schwester?
Oh ja, das mache ich. Yoga ist schön, das beruhigt mich. Auch wenn ich mich zunehmend daran gewöhne, ist mein Leben ja ziemlich anstrengend. Insgesamt fühle ich mich heute jedoch weitaus besser und wohler als vor zwei Jahren, als das alles begann und mich teilweise wirklich überforderte. Anfangs war es zum Teil eine düstere, fast bedrohliche Masse, die da auf mich zugerauscht kam. Endlich ist es jetzt so, dass ich mich auf die Zukunft freue.
Du hast als Lizzy Grant bereits jahrelang mit überschaubarem Erfolg Musik gemacht. Als Lana del Rey jedoch warst du auf einmal allgegenwärtig, der Hype war gigantisch, speziell dein Video zu "Video Games" galt als eine Art Sensation.
Richtig akklimatisiert habe ich mich immer noch nicht, ich stecke noch mitten drin in einer Art Anpassungsphase. Ich suche noch nach einer Ausgeglichenheit, die sowohl mein Privatleben als auch meinen Beruf umfasst. Ich hätte gerne eine dauerhafte emotionale Stabilität. Mein Naturzustand ist im Grunde der einer stillen, zurückhaltenden Beobachterin. Aber wegen der Umstände kann ich diesen Zustand nicht mehr so leicht erreichen wie früher.
Für eine weltweite Berühmtheit wirkst du immer noch eher introvertiert und fast schüchtern. Was wirklich eine erfrischende Abwechslung darstellt zu deinen Kolleginnen, die in der Öffentlichkeit gern Körperteile oder allgemeine Exzentrik zur Schau stellen.
(kichert) Ja! Danke, dass du das so siehst. Ich komme in der Tat aus einer recht traditionellen, zurückhaltenden Familie. Ich habe gelernt, Probleme innerhalb eines kleinen Kreises zu besprechen und anzugehen, und nicht in aller Öffentlichkeit. Ich bin allerdings auch kein verschüchtertes Mäuschen, ich kann auch mal laut und bestimmt werden. Bei meinen Geschwistern bleibt mir mitunter keine andere Wahl (lacht).
Wie schaffst du es, nicht so allgegenwärtig zu sein wie etwa Miley Cyrus oder Lady Gaga?
Man kann das ein Stück weit steuern. Zum Beispiel, indem man nicht mitten in der Stadt wohnt. Bis nach Hollywood und Beverly Hills sind es gut zehn Kilometer von unserem Haus. Wir wohnen in einer ganz normalen Gegend mit ganz normalen Nachbarn, das tut mir gut.
Sprechen wir über "Ultraviolence". Die Songs sind eher ruhig, getragen, manchmal hymnisch und sehr atmosphärisch. Die HipHop-Elemente des ersten Albums "Born to die" sind in den Hintergrund gerückt.
Das stimmt. Die große Überschrift bei "Ultraviolence" lautete "Gefühl". Beim ersten Album ergab es sich durch die Arbeit mit dem Produzenten Emile Haynie, dass einige Songs so einen Neunziger-Jahre-HipHop-Beat bekamen. Und während ich bereits im Studio an "Ultraviolence" arbeitete, traf ich zufällig Dan Auerbach in Queens in New York. Wir gingen in einen Club, sie spielten "Summertime Sadness", und wir fingen an, zusammen zu tanzen. Dann schauen wir uns so an, lachen und sagen fast gleichzeitig:"Wäre es nicht total witzig, wenn wir zusammen ins Studio gehen würden?" Ich mochte an Dan, dass er so spontan war. Wir flogen nach Nashville, er lud seine Lieblingsmusiker ein, und sechs Wochen später war die Platte fertig.
Du hast aller Seventies-Einflüsse zum Trotz eine ganz eigene Klangsprache entwickelt. Man erkennt einen Lana-del-Rey-Song sofort.
Das bedeutet mir sehr viel. Ich bin immer noch so dankbar, überhaupt ein Publikum erreicht zu haben mit meiner Musik. Egal, was andere sagen: ich habe meine Musik nach meinen eigenen Vorstellungen entwickelt, basierend auf meiner ganz persönlichen Intuition. Ich bin kein Retortenprodukt, das muss ich nochmal verdeutlichen. Meine Musik hatte es zunächst nicht leicht, weil sie eben nicht so typisch und unverkennbar einem bereits angesagten Genre zuzurechnen war. Ich hatte sicher Glück, aber ich hatte auch einen guten Riecher.
Die Leute haben, als "Video Games" rauskam, stark an deiner Echtheit und an der Authentizität deiner Musik gezweifelt.
Oh Gott, ja. Das war ein Riesenthema.
Stimmst du zu, dass du diese Kontroverse für dich entschieden hast? Keiner behauptet mehr, dass du ein gemachtes Reißbrett-Produkt bist, oder?
Möglich, ja. Ich bin nach wie vor etwas misstrauisch, was die Meinungen anderer Menschen angeht. Und doch bin ich von meiner Musik überzeugt, war es auch immer. Man kann keine bleibenden Werte in der Popmusik schaffen, wenn man nichts zu erzählen hat. Oder wenn man bloß ein flüchtiges Phänomen ist. Ich weiß also nicht, ob ich – wie du es sagst – gewonnen habe. Ich weiß aber, dass ich mich heute zum ersten Mal in drei Jahren während eines Interviews nicht unwohl oder in der Defensive fühle. Ich bin ruhig und fühle mich richtig schön in der Balance mit mir selbst. Was für ein schönes neues Gefühl (lacht).
Worum geht es im Song "Ultraviolence"?
"Ultraviolence" blickt zurück auf meine Zeit in New York. Ich war seinerzeit ein Teil einer schrägen Underground-Szene, die von einem Guru beherrscht wurde. Ein wenig eigenartig kam mir das alles schon vor. Aber er hatte echt eine Wahnsinnsausstrahlung, der auch ich mich nicht entziehen konnte. Leider stellte ich irgendwann doch fest, dass dieser Guru kein guter, sondern ein böser Mensch ist. Er glaubte an das Konzept, die Menschen erst zu brechen und sie dann wieder aufzubauen. Was die Menschen aber nicht davor abhielt, ihm zu folgen und blind zu vertrauen.
Ist denn jetzt Ruhe? Hast du deine bevorzugte Lebensweise und die ersehnte Geborgenheit gefunden?
Das hoffe ich sehr. Ich versuche, mich hier auf Dauer in diesem Leben einzurichten. Denn ich mag mein Leben gerade unheimlich gern.
Warum?
Ich habe diesen Anker geworfen. Das Haus, die Beziehung, all das. Ich habe mich sehr nach so einer Art Leben gesehnt, und jetzt habe ich es. Gleichzeitig jedoch strebt meine Karriere, streben meine Pläne eher weg von dieser stabilen, häuslichen Situation. Ich muss schauen, wie ich den Drang nach - emotional und wörtlich - festem Boden unter den Füßen mit meinem Ehrgeiz und meinem Willen, als Künstlerin voranzukommen, in Einklang bringen kann. Im Moment habe ich keinen Schimmer, wie das alles klappen soll.
Dennoch: Das stabile Leben und die feste Beziehung tun dir gut, oder?
Oh ja! Ich genieße es, seit drei Jahren in einer schönen Beziehung zu leben und glücklich zu sein. Mit Barrie ist es das erste Mal mit einem Mann so, dass unsere Wege in meiner Vorstellung für immer parallel laufen könnten.
Du singst in "West Coast" folgende Zeilen: "Down at the West Coast/They got a saying/If you're not drinking/Then you're not playing". Also etwa: "Wenn du an der Westküste nicht trinkst, dann hast du keinen Spaß." Spielst du mit dem Text auf deine Teenagerzeit an, in der du Alkoholprobleme hattest?
Rum und Cola sind hier ziemlich präsent. Mir scheint es schwierig zu sein, abstinent zu bleiben. Ich hatte aber fast zehn Jahre lang keinen Drink. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mal wieder probieren soll, aber, ach, ich würde schon gerne. Falls du mich demnächst besoffen auf den Titelseiten der Klatschzeitungen siehst, dann weißt du, es war keine gute Idee, dem Alkohol mal wieder eine Chance zu geben (lacht, und zwar laut).
Du hast zuletzt als Model für H&M und für Mulberry gearbeitet. Verstehst du, was die Fashion-Branche in dir sieht? Bist du womöglich eine Stil-Ikone?
Puh (überlegt). Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich war mein Gesicht zufällig zur richtigen Zeit zur Stelle. Als Indie-Sängerin in New York konnte ich mir jahrelang überhaupt keine stylishen oder gar teuren Klamotten leisten. Ich habe am Anfang aber auch gar nicht geschnallt, warum die Modewelt auf mich stand.
Hättest du Spaß daran, in einem Film mitzuspielen?
Vielleicht, ja. Wenn mir die Rolle gefallen würde. Ich sehe mich eindeutig eher in einem coolen Indie-Film als in einer großen Hollywood-Produktion.
Hast du dich mit deinem Leben zwischen New Yorker East-Side-Indie-Mädchen und Hollywood-Weltstar nun arrangiert?
Tja, das ist wohl meine Lebensaufgabe. An manchen Tagen gelingt mir das spielerisch leicht, an anderen habe ich etwas an meiner Identität zu knabbern und weiß nicht, wo ich genau hingehöre. Zum Glück werden die guten Tage mehr und die schlechten Tage weniger.
Mit Lana del Rey sprach Steffen Rüth
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Quelle: ntv.de