Musik

Das mutige sechste Album Sind die Arctic Monkeys alt und langweilig?

Wie sehen die denn jetzt aus? Die Arctic Monkeys sind von Teenagern zu Dandys gereift.

Wie sehen die denn jetzt aus? Die Arctic Monkeys sind von Teenagern zu Dandys gereift.

Sie galten als Hype, doch im Gegensatz zu vielen anderen sind die Arctic Monkeys nicht in der Versenkung verschwunden. Jetzt melden sich die Briten mit einer neuen Platte zurück. Die mutet ihren Fans viel zu, ist aber grandios.

Wer hätte das gedacht, damals im Jahr 2006? Die vier pausbäckigen Bubis mit den von Pickeln übersäten Wangen waren nicht mal 20 Jahre alt, aber galten schon als das nächste große Ding. Die für solche Kategorien zuständige britische Musikzeitung "NME" hob sie auf das Schild. Die Arctic Monkeys zauberten damals schrammeligen, aber durchaus hör- und tanzbaren Indie-Rock aus der Hüfte. "I bet you look good on the dancefloor" war einer der großen Hits des Sommers - dennoch sprach wenig dafür, dass die Gruppe ein Phänomen sein würde, mit dem man langfristig würde rechnen müssen.

Was für eine Fehleinschätzung! Die Print-Ausgabe des "NME" wurde kürzlich eingestellt. Auch viele musikalische Mitstreiter, die den schnellen Ruhm erfuhren und dann wieder in der Masse verschwanden, haben die Arctic Monkeys überlebt. Jetzt setzt die Band, die als aufgeblähter Hype galt, ein echtes Ausrufezeichen.

Das neue Album ist sperrig, aber gut.

Das neue Album ist sperrig, aber gut.

Dafür haben sich die vier aus Sheffield jedoch Zeit gelassen. Nach fünf Platten innerhalb von sieben Jahren war es seit 2013 und dem bisher letzten Album "AM" auffällig lange still. Nun ist die Schaffenspause beendet. Die Arctic Monkeys gehen mit ihrem neuen Album "Tranquility Base Hotel & Casino" auf Tour. In dieser Woche spielten sie gleich an zwei Abenden in Folge in der Berliner Columbiahalle. Die Konzerte waren in kürzester Zeit ausverkauft. Die Nachfrage war so groß, dass die Briten viel größere Hallen hätten füllen können.

Etwas verblüfft schaut man im Mai 2018 auf die vier jungen Herren auf der Bühne. Nicht, weil sie jetzt Langhaarfrisuren samt Bärten, Hemden, Anzügen und Schlaghosen tragen, sondern weil sie erwachsener aussehen. Das war zwar relativ zu erwarten, die musikalische Entwicklung jedoch nicht. Schon auf den Platten zwei bis fünf experimentierten die Arctic Monkeys, nahmen Soul- und R'n'B-Elemente auf und deuteten Kreativität an. Kleine Schritte, gefällig, aber nicht übermäßig mutig. Mit ihrem neuesten Werk macht die Band dagegen einen Satz, der es in sich hat. Und der weit größer ist, als die fünf Jahre vermuten lassen, die vergangen sind. Wem man das sechste und das erste Album vorspielt, der dürfte Schwierigkeiten haben, dahinter denselben Urheber zu vermuten.

"Eine Band mit so einem bekackten Namen"

In der Frühphase der Band, hier 2005, war Alex Turner noch ein Normalo-Teenager.

In der Frühphase der Band, hier 2005, war Alex Turner noch ein Normalo-Teenager.

(Foto: imago/ZUMA Press)

"Tranquility Base Hotel & Casino" ist ganz anders und hat nichts mehr zu tun mit dem kurzweilig-unterhaltsamen, aber mäßig anspruchsvollen Rock der Anfangszeit. Die erste Rotation lässt den Hörer verwirrt zurück. Riffs? Druckvolle Schlagzeug-Parts? Nö. Das Klavier hat die Gitarre als dominantes Instrument verdrängt. Die und auch Bass und Schlagzeug sind nur Zierde. Der Monkeys-Sound im Jahr 2018 ist verspielter, poppiger, gemütlicher, reifer, aber auch sperriger und überhaupt nicht mehr Indiedisco. "Tranquility Base Hotel & Casino" zündet nicht beim ersten Mal, sondern braucht Zeit. Wer etwas Geduld hat und sich darauf einlässt, der wird belohnt. Bei jedem Durchlauf gibt es etwas zu entdecken. Melodien, die mal nach David Bowie klingen, mal nach den Beach Boys und häufig nach den Last Shadow Puppets, dem Nebenprojekt von Sänger Alex Turner.

Die Arctic Monkeys muten ihrem Anhang einiges zu, einigen vermutlich zu viel. So mancher dürfte sich über "Tranquility Base Hotel & Casino" ärgern. Keine Stampfer, kein Pogo, was ist da los? Sind die Arctic Monkeys nicht nur älter, sondern auch langweilig geworden? Nein. Denn die Briten wagen etwas, das sich viele andere Bands über Jahrzehnte nicht trauen. Entweder, weil sie es nicht können oder nicht wollen, weil sie Fans verprellen und ein bewährtes Geschäftsmodell gefährden könnten. "Eine Band mit so einem bekackten Namen wird nie einen BritAward bekommen!", ätzte Noel Gallagher vor zwölf Jahren. Er lag mächtig daneben, die Arctic Monkeys räumten sieben von den begehrten Awards ab. Turner hätte so etwas offenbar auch nicht erwartet. Gleich im ersten Song der neuen Platte singt er selbstreferenziell: "I just wanted to be one of The Strokes, now look at the mess you made me make". Er wollte doch nur einer der Strokes sein, und dann das. Tja, wer hätte das gedacht?

Die Strokes waren ein paar Jahre vor den Arctic Monkeys das sogenannte nächste große Ding. Sie brachten die Rock-Retro-Welle in Gang und inspirierten viele andere junge Musiker - und offenbar auch Turner & Co. - zum Nachahmen. Heute spricht niemand mehr von ihnen. Droht das den Arctic Monkeys auch? Möglicherweise könnte sie "Tranquility Base Hotel & Casino" sogar davor bewahren. Die Band altert ja mit ihrem Anhang. Mit Mitte 30 hört man schließlich nicht mehr dieselbe Musik wie mit 20.

Die Vorzeichen sind gut. In Berlin feiern die Besucher in der engen und viel zu stickigen Columbiahalle die Band schon frenetisch, bevor die überhaupt den ersten Ton spielt. Beim ersten - dem neuen - Song "Four Out of Five" singt der Saal mit, als wäre er schon seit vielen Jahren im Repertoire. "I bet you look good on the dancefloor" ist in den 90 Minuten der einzige Song des Debütalbums. "Monkeys" steht in Leuchtschrift an der Wand hinter den vier Musikern. Die vier haben mehrmals gesagt, dass sie den Bandnamen oft bereut haben. Zumindest optisch ist der erste Teil davon jedoch verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben - genauso wie die musikalische Alt-DNA. Das Jahr 2018 ist eine Zäsur, wohin auch immer das noch führen mag.

Quelle: ntv.de

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