Reueloses Bad im Jungbrunnen Tori Amos ist nicht Kylie
10.05.2014, 18:39 Uhr
Tori Amos ist wieder ganz bei sich selbst.
Mit 50 holt Tori Amos nochmal Schwung und nimmt mit "Unrepentant Geraldines" ein pianoballadiges, eindringliches und sehr stimmiges Album auf, das an ihr Frühwerk aus den Neunzigern erinnert. Wir haben Tori Amos zu Hause in Cornwall besucht.
Auch bei Tori Amos und Mark Hawley steht, wie bei geschätzt 80 Prozent aller Mittelschichtenfamilien, eines dieser netzumzäunten Trampoline im Garten herum. Aber so ein Klettertürmchen mit Hängebrücke und Rutsche, das passt schon eher auf den Abenteuerspielplatz. "Und jetzt spielt da gar keiner mehr", sagt Tori Amos, "doch so ist das eben."
Tori trägt inzwischen auch einer dieser großen schwarzen Nerd-Brillen und empfängt im Nebengebäude ihres Anwesens unweit des Küstenstädtchens Bude in Cornwall. Das Haus selbst wirkt massiv, nicht riesig und schon älter. Der Anbau hingegen ist noch ziemlich neu und beherbergt ein Tonstudio, Toris Klavierzimmer, eine große Küche, in der sich ein Koch dem Mittagessen für Amos und ihre Studiocrew widmet (bei unserem Besuch schließt sie gerade die Arbeit am neuen Album ab, Hawley arbeitet wie immer als Soundengineer mit) sowie eine Sauna und ein paar Fitnessgeräte. "Ich habe hier alles, was ich brauche und gehe nur wenig aus. Meistens lese ich oder arbeite. Ich bin eine ziemliche Einsiedlerin." Immer noch fremdelt Sonnenfreundin Amos, die aus North Carolina stammt und immer wieder gern vor dem englischen Wetter in ihr Häuschen nach Florida flüchtet, ein bisschen mit der Bude, "es ist eigentlich eher Marks Haus."
"Ich war in einer Krise"
Nichtsdestotrotz lebt das Ehepaar seit 1997 hier auf dem Land, und als Einzelkind Natashya sich zu alt fühlte für Trampolin, Kletterturm und Nachbars Kühe, da habe sie kaum schnell genug Reißaus nehmen können. "Mark war auch auf einem Internat. Ich musste akzeptieren, dass das Teil seiner Kultur und Tradition ist." Seit zwei Jahren lebt das 13-jährige Mädchen also in London und besucht dort die "Sylvia Young Theatre School". Tori fährt am Wochenende meist hin und besucht das Kind. "Die Schule ist großartig, die Kids entdecken ihre Kreativität dort durch Ausprobieren, sie komponieren, schreiben, spielen Theater. Aber trotzdem war es für mich anfangs hart. Als Tash wegging, geriet ich in eine Krise."
Ihren emotionalen Hänger hat Amos erfolgreich mit Arbeit bekämpft. Nach fünf Jahren stellte sie endlich ihr Musical "The Light Princess" fertig und brachte es erfolgreich in London zur Aufführung an einer Indie-Bühne. Und auch für ihr dreizehntes Studioalbum "Unrepentant Geraldines" war der Wegzug der Tochter letztlich ein kreativer Tritt in den Hintern. So jung hat sich Amos, die 2013 50 wurde und den fast schon späten Durchbruch 1992 mit dem Meisterwerk "Little Earthquakes" schaffte, nämlich ewig nicht mehr angehört. Im Mittelpunkt stehen endlich wieder Melodie, Text, Stimme und Piano. Kein Orchester wie auf "Night of Hunters" 2011, keine Streicher wie auf "Golddust" 2012, sondern Tori in Reinform.
"Ich habe mir Freiheiten gegönnt, die ich mir lange nicht genommen habe", so Amos. "Es gibt nicht mehr viele Frauen meines Alters, die noch relevante Pop-Alben machen. Die meisten Kolleginnen aus den Neunzigern sind entweder ganz verschwunden oder sie touren nur noch. Oder sie sind Kylie, die das übrigens großartig macht, und umgeben sich mit jungen Dance-Produzenten." Tori ging in sich, riss sich zusammen, ließ sich von der Malerei begeistern ("16 Shades of Blue" ist unmittelbar von den Gemälden Paul Cézannes inspiriert) und liefert nun nicht nur hinreißende Kompositionen, sondern auch spannende Einblicke ins Fraueninnere. "Je älter ich werde, desto mehr lerne ich, keine Reue und keine Scham mehr zu haben und meine emotionalen, spirituellen und sexuellen Bedürfnisse in Einklang zu bringen." "Wild Way", "Wedding Day" oder auch "Oysters" handeln davon, wie man "gleichzeitig Ehefrau, Mutter und wilde Geliebte" sei: "Du brauchst eine sichere Beziehung mit einem liebevollen Mann, um deine wilde Seite ausleben zu können."
Zur Sprache bringt sie zudem auch Politisches. "America" widmet sich der Frage, warum in modernen Gesellschaften kein langfristiges Denken mehr stattfindet. Und "Giant’s Rolling Pin" ist eine fast heitere Betrachtung des NSA-Skandals mit der zentralen Zeile "Everbody spies/So why the big surprise".
Älterwerden leicht gemacht
Der zentralste der Songs jedoch heißt "Promise" und ist ein Duett – zwischen Natashya Hawley und Tori Amos. "Wir reden darin übers Älterwerden. Tash beobachtet bei den Müttern ihrer Freundinnen, die häufig in meinem Alter sind und deren Röcke teilweise immer kürzer werden, einen für sie erschreckenden Grad an Peinlichkeit. Wir versprechen uns, dass wir niemals miteinander konkurrieren werden."
Und obschon Toris Kleiderschrank der Tochter theoretisch offen stünde, halte sie sich fern. Im Gegensatz zur Mutter hasst Natashya Leder.
Tori Amos kommt mit der "Unrepentant Geraldines Tour 2014" auch nach Deutschland:
19.05. Frankfurt, Jahrhunderthalle
20.05. Berlin, Tempodrom
25.05. Hamburg, Laeiszhalle
09.06. Stuttgart, Hegelsaal
10.06. München, Philharmonie im Gasteig
Quelle: ntv.de