Da schrumpft sogar Knorkators Stumpen Heino, du Kulturschocker!
10.09.2013, 14:57 Uhr
Wie für eine gemeinsame Bühne gemacht: Heino (l.) und Knorkator-Sänger Stumpen.
(Foto: Imago stock&people / Collage: n-tv.de)
Man mochte seinen Augen nicht mehr trauen. Und das nicht in erster Linie wegen Knorkators Pullermann-Parade im Vorprogramm. "Mit freundlichen Grüßen" bringt Heino das Berliner Messeareal zum Beben - und Weltbilder zum Einstürzen.
Genialität und Wahnsinn liegen bekanntlich oftmals dicht beieinander. Und so ist es zweifellos ebenso verdammt clever wie komplett irrsinnig, ausgerechnet die Musik-Metzger von Knorkator zusammen mit Haselnuss-Heino auf eine Bühne zu stellen. Man könnte auch sagen es ist die Metaebene der Metaebene der Metaebene. Ebene 1 war die ohnehin schon abstruse Blitz-Verwandlung der Volksmusikikone mit 74 Lenzen, Haarersatz, dunklem Augenschleier und Grusel-Image zum Altrockstar mit Totenkopfring, Platinmähne, cooler Sonnenbrille und Kult-Aura. Ebene 2 war Heinos Kurzauftritt im Metal-Mekka Wacken an der Seite von Rammstein. Doch erst Ebene 3 schießt den schwarzbraunen Vogel so richtig ab und lässt den Betrachter sternhagelvoller fühlend zurück als auch nur irgendein Enzian auf der Welt blau blühen könnte.
Aufgetürmt wurde diese dritte Dimension der Unmöglichkeit am Montagabend in Berlin. Auf einer Bühne im Sommergarten der Internationalen Funkausstellung IFA auf dem Messeareal. Exakt 30 Minuten hatten Knorkator Zeit, um den Aberwitz der Veranstaltung perfekt zu machen, ehe sie der Hauptattraktion des Abends namens Heino Platz machen mussten. Und die Berliner Anarcho-Metaler um Frontmann Stumpen gaben wirklich ihr Bestes für die Mission. Nicht nur, indem sie das Publikum unter anderem mit Headbanger-Versionen von Boney M.'s "Ma Baker" und "All That She Wants" von Ace Of Base zum Pogo-Tanzen brachten. Stumpen alias Gero Ivers hatte auch den feinsten Fummel aus seinem Kleiderschrank gekramt. Da stand er nun in seinem Ringerdress mit Pullermann-C-Körbchen, sang zur "Heidi"-Melodie Sätze wie "Heino, deine Welt ist die Bühne" und forderte die Masse zu Sprechchören zu Ehren des Volksmusikanten auf.
Die Masse - das war zwar angesichts der Größe des Areals ein ziemlich versprengtes Häuflein. Doch ein paar Tausend dürften es schon gewesen sein, die sich hier ein Stelldichein zum Clash of Civilizations gaben. Der bis dato irrtümlich für typisch erachtete graumelierte Heino-Anhänger mit Wollweste, Altersflecken und Gehhilfe bildete dabei eindeutig die Minderheit. Stattdessen konnte man im größtenteils eher jüngeren Publikum gar bunt gefärbte Haare, Dreadlocks oder aber strohblonde Heino-Perücken erspähen. Nur unter mancher mit Heavy-Metal-Aufnähern verzierten Kutte blitzte dabei ein Knorkator-T-Shirt hervor. Unter anderen steckte indes ein "Heinator"-Shirt, das speziell für diesen Event aufgelegt worden war.
Karamba, karacho
Ja, man könnte glatt glauben, dass man sich karamba, karacho, einen Whisky zu viel hinter die Binde gekippt hätte, doch es ist wahr: Selbst in nahezu jedem Moshpit-erprobten Knorkator-Freak steckt ganz offensichtlich ein Schunkel-freudiger Heino-Liebhaber. Dementsprechend brauchte das Publikum an sich auch gar keine Aufforderung, um den Barden lautstark zu feiern. Über Sprechchöre wie "Wir wollen den Heino sehen", "Gebt mir ein H, gebt mir ein E, gebt mir ein I, gebt mir ein N, gebt mir ein O" oder "Hannelore"-Rufe wollte man sich da schon gar nicht mehr wundern. Nur wenn bierbäuchige Vollbartträger "Heino, ich liebe dich", "Heino, ich will ein Kind von dir" oder "Ausziehen" grölten, zuckte man dann doch zusammen.
Stilecht betrat der neue deutsche Fürst der Finsternis schließlich die Bühne - ganz in Schwarz mit Ledermantel, Nietenbesatz und Kreuz um den Hals. Und schmetterte mit der Unterstützung von sage und schreibe elf Musikern - darunter allein vier Bläser und ein dreistimmiger Hintergrund-Chor - in seinem tiefsten Bariton drauf los. Im Laufe des Konzerts gab der Heinator dabei nahezu sämtliche Coverversionen deutscher Rockklassiker, die er auf seinem Album "Mit freundlichen Grüßen" zusammengetragen hat, zum Besten. Einzig ausgerechnet den Titelsong der Fantastischen Vier, der auch als Tour-Motto diente, und das "Liebes Lied" der Absolute Beginner mochte er nicht anstimmen.
Hier kommt der Wigwam
Aber dafür griff der Volksmusik-Ozzy ebenso tief in die Devotionalien-Kiste seines früheren Lebens. Der "Enzian" durfte dabei natürlich genauso wenig fehlen wie die "Katja" mit Wodka im Blut und die "Haselnuss". Letzteren Song intonierte Heino dabei - ein gespielter Witz mit besonderer Note - auf speziellen Wunsch seines dunkelhäutigen Background-Sängers, bevor dieser selbst für einen Moment zum "Haselnuss"-Hip-Hopper wurde. Ehe sich Heino schließlich mit den abgewandelten Sportfreunde-Stiller-Worten "Ich wollte euch nur mal eben sagen, dass ihr das Größte für mich seid" vom Publikum verabschiedete, nahm er zudem noch "Hoch auf dem gelben Wagen" Platz und trällerte "Muss i denn zum Städtele hinaus".
So weit, so irre. Doch erst das Publikum machte den Abend im Sommergarten zu einem wirklich denkwürdigen Ereignis: Wenn bei einem Auftritt Heinos wechselweise Pogo und Polonäse getanzt wird; wenn sich schwule Pärchen glückselig zu "Sierra Madre" im Takt wiegen; und wenn junge Männer mit Irokesenfrisur zur Bläser-Variante von Rammsteins "Hier kommt die Sonne" ebenso abgehen wie zu "Komm in meinen Wigwam" - dann ist das ein Tag, der definitiv als tiefgreifende Erschütterung der Weltbilder in die Geschichtsbücher eingehen muss. Heino, wir verneigen uns. Bei so viel Kulturschock kann sogar Stumpens Piephahn nicht mehr mithalten.
Quelle: ntv.de