American Psycho meets my little brother Michael Fassbender, Sex-Gott
09.02.2012, 13:40 Uhr
Da braucht man sich doch nicht zu schämen, das ist ganz natürlich ...
Sex-Gott? Sex-Teufel wohl eher. Noch treffender: Michael Fassbender ist in seiner Rolle des Brandon von Sex-Dämonen besessen. Ein Ruheloser, immer auf der Suche nach dem letzten Kick, den er schließlich auch bekommt, nur dass dieser Kick sich nicht auf Fick reimt und viel mit seiner Schwester zu tun hat. "Shame"? Nicht unbedingt.
Er rennt durch die Straßen von New York. Er hat diesen hungrigen Blick, der nichts Gutes verheißt. Er ist verwundet. Er schwitzt. Er sieht gut aus. Er ist auch sonst geschmackvoll gekleidet. Er hat einen tollen Job, ein schickes Appartement. Er kennt die richtigen Restaurants. Er hat die Welt gesehen. Er ist schnell gelangweilt. Er ist interessant. Er gehört zu dieser Sorte Mann, die frau haben will, sofern sie auch nur über einen Funken Mutter-Teresa-Potenzial verfügt. Denn SIE wird ihn glücklich machen. Sie wird ihn bekehren, mit ihrer Liebe. Aber leider, leider, alles Schwachsinn, Ladies. Der Typ ist nicht zu bekehren. Er ist ein Sex-Maniac. Er holt sich, was er braucht, das kann schnell gehen, das kann auf den Betrachter mit geregeltem, vielleicht sogar ehelichem Geschlechtsverkehr, durchaus abstoßend wirken, das kann aber auch im wahrsten Sinne des Wortes geil sein. Alles jedoch, was Brandon (Michael Fassbender) macht in diesem Film von Steve McQueen (der andere!), sieht gut aus: Sex auf Pornoseiten, Sex mit Männern, Sex mit mehreren Frauen, Sex mit sich selbst - nicht unbedingt das, was wir sonst so gezeigt bekommen im US-amerikanischen Kino.
Wer "American Psycho" gelesen hat, wird sich an manchen Stellen daran erinnert fühlen, wie Hauptprotagonist Patrick Bateman, ein typischer Yuppie der achtziger Jahre in New York, sein markengefülltes, aber sinnentleertes Leben vorerst mit immer mehr Designer-Klamotten, immer mehr Video-Filmen und Talkshows und immer mehr ihm ähnlichen Oberschicht-Neurotikern anfüllt, um dann seine Erfüllung in immer mehr Sex, immer brutalerem Sex, zu finden, und letztendlich mordend und metzelnd bereit ist, seine jämmerliche Existenz aufs Spiel zu setzen. So weit geht es in "Shame" nicht, aber der Ansatz lauert hinter jeder Ecke.
Großstadtneurotiker reloaded
Da stellt sich die Frage, 20 Jahre nach dem Roman von Bret Easton Ellis: "Wie abgebrüht sind wir?", schon das eine oder andere Mal. Es tut weh, zu beobachten, wie jämmerlich Brandons Date mit einer wunderschönen Frau vergeht. Wir ahnen, dass der Sex ausgerechnet mit ihr nichts wird, auch wenn er dafür ins angesagteste Hotel New Yorks geht, ins "The Standard" im schick gewordenen Meatpacking District, das Zimmer ab 400 Dollar - aber Geld spielt keine Rolle. Die Aussicht auf den Hudson River (Fenster vom Boden bis zur Decke) würde bei anderen Paaren, die auf den King Size Betten Liebe machen, zu hellem Entzücken führen, aber das schafft Brandon nicht. Er schickt sein Date unverrichteter Dinge nach Hause und holt sich eine Prostituierte, die er anonym von hinten nimmt, mit Blick auf den Ort, wo Fleisch geschlachtet, verpackt und zum Verschicken vorbereitet wurde. Zu wahrer Ekstase ist er nicht fähig, auch hat er verlernt, zu sprechen, weil er verlernt hat, sich zu interessieren. Genauer gesagt hat er vergessen, sich für andere zu interessieren.
Er kreist um sich, sein Körper ist durchtrainiert und makellos, beeindruckend muskulös, wie wir in den vielen Szenen, in denen er Sex hat, betrachten dürfen. Niemals kommt man sich dabei voyeuristisch vor, danke, und das liegt natürlich an dem ausgezeichneten Darsteller (Bester Hauptdarsteller beim Venedig Filmfestival 2011). Haben wir in "Basic Instinct" Michael Douglas und Sharon Stone beim Sex zugesehen und uns wie Spanner gefühlt, weil gleichzeitig immer dieser Film im Kopf ablief: "Oh nein, bitte, Kamera, nicht noch näher rangehen, nein, bitte, lass' die Hose an, oh nein, bitte, guck' jetzt nicht leidenschaftlich oder was du dafür hältst", denken wir bei Michael Fassbender an nichts. Wir sehen zu, fühlen mit, registrieren "danach" vielleicht, oh wow, das war nicht schlecht, so echt, kommen uns aber keine Sekunde wie ein Spanner vor. Wir sind froh, dass uns jemand mal so klar und unverschnörkelt erzählt, dass "es" so eben auch geht. Je cleaner und cooler die Umgebung, desto dreckiger der Sex? Ist da was dran?
Kino wie Rock 'n Roll
Wir belächeln es, wenn es heißt, dass dieser und jener Hollywoodstar sex-süchtig ist. Wir denken, ja klar, so kann man es auch nennen, wenn man einfach eine medizinische Erklärung dafür sucht, dass man nicht treu sein kann/möchte, dabei ist es, wie Regisseur Steve McQueen erklärt, so: "Sexsucht hat mit dem Bedürfnis nach Sex so viel zu tun wie Alkoholismus mit Durst." McQueen sagt von sich: "Ich bin ein Moralist! Aber ich bin einer, der reflektiert. Ich will etwas spiegeln." Und das geht seiner Meinung nach vor allem dann, wenn man die Gegenwart reflektiert, wenn man zeigt, was jetzt und heute passiert. "Wenn wir Filme machen wollen, die sich die jungen Leute ansehen sollen, wenn wir wollen, dass das Kino ist wie Rock 'n Roll, und dennoch immer weiter Kostümdramen drehen, dann frage ich mich, was das soll."
McQueen ist der Meinung, dass Kino eine Notwendigkeit sein kann, der Funke für eine Konversation. Es kann Power haben und Leidenschaft: "Das ist es, was ich machen will. Das sind die Stoffe, mit denen ich mich befassen will." Und so setzt er diesem kühlen, suchenden, niemals findenden Brandon seine plötzlich auftauchende Schwester als Gegenentwurf vor die Nase, die bei ihm einzieht und mit ihrer emotionalen und einnehmenden Art seine ganze Routine durcheinanderbringt. Sie ist warm, sie singt, sie liebt das Leben, und sie besteht darauf - und das ist das, wovor der Protagonist am meisten Angst hat - sich um ihn zu kümmern. Gleichzeitig will sie aber auch, dass er sich um sie kümmert. "Wir sind Bruder und Schwester, wir sind dafür bestimmt, füreinander da zu sein", fleht sie ihn an. Geradezu Ekel meint man in Brandons Gesicht zu sehen, als sie ihm das sagt.
Auf eine natürliche Art und Weise wird sich ihm der Sinn dieser Aussage nicht erschließen - es braucht härtere Mittel, um einen wie ihn zum Umdenken zu bringen. So unglaublich gut, wie Michael Fassbender seine Rolle spielt, müssen wir hoffen, dass er nicht wirklich weiß, was in seiner Figur vor sich geht. Wir hoffen für ihn, dass er einfach nur dieser verdammt geniale Schauspieler ist, als der er sich in "Shame" präsentiert.
Das Drehbuch stammt von Abi Morgan, mit der McQueen vor über drei Jahren anfing, an einem Thema zu arbeiten, das im Hier und Jetzt spielen sollte und das die beiden im Laufe ihrer Zusammenarbeit fesselte: "Es ging um das Internet, darum, was es mit uns anstellt, was es uns bedeutet. Und um Sex. Dann kamen wir auf das Thema Sexsucht. Und so ging es immer weiter, wir sprachen mit Experten und fingen an, ein Verständnis für das Thema zu entwickeln." Dieses Verständnis ist dem Film deutlich anzumerken. Fassbender und McQueen kennen sich bereits seit dem Dreh zu "Hunger", der ersten, preisgekrönten Regiearbeit des Video-Künstlers McQueen. Der Regisseur wusste genau, dass er ihn für die Hauptrolle haben wollte.
Anders war es bei Carey Mulligan ("Drive", 2011; Oscar-nominiert für "An Education", 2009) , die Brandons Schwester Sissy spielt. Sie wollte die Rolle unbedingt und ergriff die Initiative von sich aus: "Ich wusste sofort, dass es eine traumhafte Arbeit werden würde", so Mulligan, die gerade in der Neuverfilmung von "The Great Gatsby" unter der Regie von Baz Luhrman vor der Kamera steht.
Wer also mit einem absolut überzeugenden Team Grenzen überschreiten will, kann das ab dem 1. März tun. In Berlin startet "Shame" bereits am 23. Februar.
Quelle: ntv.de