"Polizeiruf 110" Um Gottes willen …
03.05.2020, 07:39 Uhr
Exorzismus in Frankfurt/Oder: Jonas Fleischauer (Tom Gronau) und Pater Anselm (Maciej Robakiewicz).
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein religiös verblendeter Jüngling, unterwegs in biblischer Mission, ein Kommissar, dessen Mutter sich lieber in die Hände des Herrn als ins Krankenhaus begibt, Junkies, schwangere Teenager, unbefleckte Empfängnis - in Frankfurt/Oder wird diesmal kräftig am sakralen Rad gedreht.
"Wie ist'n der hier reingekommen?", fragt sich Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) mit Blick in den gekachelten Raum der Pathologie. Auf dem Tisch liegt eine Leiche, vom Halogenlicht kühl in Szene gesetzt. Und gibt sich die Antwort gleich hinterher: "Na, egal."
Der neue "Polizeiruf 110" aus Frankfurt an der Oder in a Nutshell: Na egal.
Wie der junge Jonas Fleischauer (Tom Gronau) eigentlich an allen Absperrungen vorbei zur suizidalen Larissa Böhler (Paraschiva Dragus) ans Brückengeländer vordringt? Egal. Wie er in den OP gelangt, wo Larissa schließlich auf ihren Schwangerschaftsabbruch wartet? Egal. Wie er es später in eingangs erwähnte Pathologie schafft, ohne dass es jemand bemerkt? Als schlussendlich selbstmordgefährdeter Häftling nicht nur in einer Zelle mit Fensterscheiben sitzt, sondern auch im telegenen Gefängnishof flaniert, um sich zusammenhauen zu lassen, die Toilette unbeaufsichtigt benutzt … alles irgendwie egal.
Oder ist Jonas womöglich doch der, für den er sich hält, jener von Gott gesandte Elias, unterwegs im Auftrage des Herrn, um Leben zu retten? Gleichsam unantastbar, ein Engel auf Erden?
Der jüngste "Polizeiruf 110" aus Frankfurt an der Oder macht diesmal ein teuflisch großes Fass auf: Im Mittelpunkt, wenn es den denn bei der unübersichtlichen Gemengelage überhaupt gibt, steht eben jener Jonas alias Elias. Sein Zimmer sieht aus wie eine Mischung aus katholischem Workshop und dem Hinterzimmer eines Serienkillers, über dem Schreibtisch eine Wand voller Bibelzitate, religiöser Zeichnungen, Notizen und Fotos.
Der Abtreibungsgegner schneidet den Fötus selbst heraus
Der junge Mann, das erfährt der Zuschauer recht schnell, sieht sich als Retter verlorener Seelen, vulgo: fanatischer Abtreibungsgegner. Das geht soweit, dass er das Mädchen von der Brücke bis in den Operationsaal verfolgt. Statt des angesetzten Schwangerschaftsabbruchs nimmt sich Jonas der Sache an, setzt das im Online-Tutorial angehäufte Kaiserschnitt-Wissen in die Tat um – bitte keine Logikfragen jetzt – und schneidet der erbarmungswürdigen jungen Frau den Fötus aus dem Leib. In Summe ist das der bereits alles abfordernde Auftakt für die Ermittlungsarbeiten der beiden Frankfurter Kommissare, Raczek und Kollegin Olga Lenski (Maria Simon).
Doch während Lenski vornehmlich damit beschäftigt ist, die Hände vors Gesicht zu halten und mit mobiler Kinnlade dem Geschehen wenig mehr als Erstaunen entgegenzusetzen hat – also ziemlich genau das, was der Zuschauer über 90 Minuten lang empfindet – ist die Lage für Raczek ungleich komplizierter. Nicht nur dass er mit der Wohnungsrenovierung unübersehbar überfordert ist, es taucht auch noch seine Mutter nach jahrelanger Kommunikationsstille wieder auf. Allein das wäre ein Grund zur Freude, die alte Dame ist jedoch schwer krank, will sich dabei aber lieber auf die behütende Güte Gottes als auf einen kompetenten Arzt verlassen. Wer hier schon den Glauben in Fanatismusnähe sieht, dem sei der Blick in die Familienaufstellung der jungen Larissa empfohlen, Stichwort unbefleckte Empfängnis.
Schon in seinem letzten "Polizeiruf 110", mit dem wunderbaren Von Meuffels in der Folge "Nachtdienst", hatte sich Regisseur Rainer Kaufmann außerordentlich stimmungsvoll auf den Fluren eines Pflegeheimes bewegt. So gelingen ihm und Kameramann Klaus Eichhammer auch diesmal einnehmend klaustrophobische Inneneinsichten. Der Handlungsverlauf in Hendrik Hölzemanns Geschichte um Glaube und Vergebung, Exorzismus und Moral, Wahnsinn und Verblendung, hüpft jedoch über so viele Logiklöcher und zugedrückte Augen, dass man am Ende von "Heilig sollt ihr sein" selbst über die Nummer mit der Zahnbürste nur noch müde grinsen kann.
Quelle: ntv.de