

Es ist ein historischer Moment und der Beginn einer neuen Ära für ganz Deutschland: Vor genau 50 Jahren wird Willy Brandt am 21. Oktober 1969 mit knapper Mehrheit zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
"Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an", sagt Brandt in seiner Regierungserklärung eine Woche später. Der Geist des Aufbruchs und sein entschiedener Wille zum Neubeginn, ...
... ist während seiner Rede deutlich zu spüren: "Wir wollen mehr Demokratie wagen." Ein Satz für die Ewigkeit.
Bis heute gehört Brandt zu den wichtigsten Politikern in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Er ist der erste sozialdemokratische Regierungschef der Bundesrepublik und der vierte nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger.
Außerdem führt er 23 Jahre lang die SPD - so lange wie keiner vor und nach ihm.
Willy Brandt ist eine Legende, an die sich viele Sozialdemokraten gerade in schweren Zeiten - wie sie nun allerdings schon seit Jahren herrschen - gerne erinnern.
Schon sein Lebensweg ist alles andere als gewöhnlich. Am 18. Dezember 1913 erblickt er als Herbert Frahm das Licht der Welt - ein uneheliches Kind der Verkäuferin Martha Frahm und des Hamburger Lehrers John Heinrich Möller. Seinen Vater hat Brandt nie kennengelernt. In den 1920er Jahren übernimmt Stiefgroßvater Ludwig Frahm die Betreuung von Herbert und weckt später dessen Interesse für Politik.
Am 30. Januar 1933 beginnt das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte: Adolf Hitler kommt an die Macht. Herbert Frahm, der kurze Zeit der SPD und dann der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) angehört, emigriert über Dänemark nach Norwegen. Er erhält 1934 den Decknamen Willy Brandt, den er 1947 auch offiziell übernimmt.
Brandt studiert in Oslo Geschichte, lernt sehr schnell Norwegisch. 1937 berichtet er für mehrere norwegische Zeitungen über den Bürgerkrieg in Spanien. 1940 erhält er die norwegische Staatsbürgerschaft. Wegen der Besetzung Norwegens durch die deutschen Truppen lebt Brandt von 1940 bis zum Kriegsende in Schweden. Danach kehrt Brandt als Korrespondent nach Deutschland zurück. Er berichtet über die Nürnberger Prozesse. Aber Brandt reicht das Berichten nicht. Ihn zieht es in die Politik.
Berlin wird sein Betätigungsfeld. Für die SPD sitzt Brandt im Abgeordnetenhaus, ab 1955 ist er Parlamentspräsident. Mit seiner politischen Karriere geht es bergauf. 1957 wird Brandt in Westberlin Regierender Bürgermeister. Die besondere politische Lage Berlins bringt es mit sich, dass Brandt auch international bekannt wird. An der Spree kommt der Charismatiker sehr gut an. Er bleibt Chef im Rathaus Schöneberg bis zum 30. November 1966.
Bereits in Brandts ersten Regierungsjahren kommt Glamour in die Stadt. Marlene Dietrich gibt sich die Ehre und lässt sich 1960 - nach 27 Jahren - wieder in Berlin sehen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt gerade auf Tour durch Europa.
Willy Brandt mit seiner norwegischen Frau Rut und den Söhnen Lars (links), Peter (hinten) und Matthias. Rut ist Brandts zweite Ehefrau. Von 1941 bis 1948 war er mit der Norwegerin Carlota Thorkildsen verheiratet. Mit ihr hat er eine Tochter.
Der Regierende Bürgermeister menschelt. Dabei hat er nur sehr wenig Zeit, sich um die Seinen zu kümmern. Hauptbezugsperson für die drei Söhne ist die Mutter.
Am 13. August 1961 sperrt die DDR-Führung ihre Bürger ein. In Berlin beginnt der Mauerbau. Auch die Grenze zur Bundesrepublik wird dichtgemacht. Noch kurz zuvor hatte SED-Chef Walter Ulbricht verkündet, keine Mauer errichten lassen zu wollen.
Der Regierende Bürgermeister ist geschockt und macht sich auf den Weg zur Sektorengrenze. Er verurteilt den Mauerbau, der die Millionenstadt für 28 Jahre teilen wird. Die SED-Führung reagiert mit höhnischen Kommentaren und verbalen Ausfällen gegen Brandt.
Sehr unzufrieden ist Brandt mit der Reaktion der Bundesregierung auf den Bau der Mauer. Bundeskanzler Konrad Adenauer fliegt erst am 22. August 1961 nach Westberlin. Der Rheinländer hat ohnehin ein kritisches Verhältnis zur Hauptstadt. Zudem wirft die Bundestagswahl 1961 ihre Schatten voraus. Brandt ist erstmals Kanzlerkandidat der SPD.
Adenauer schafft es noch einmal und fährt einen Wahlsieg ein. Bis zum Oktober 1963 bleibt er Kanzler. Dann löst Ludwig Erhard ihn ab. Brandt geht nicht nach Bonn und bleibt Regierender Bürgermeister.
Die SPD verzeichnet mit ihrem Spitzenkandidaten Brandt allerdings Zugewinne und erreicht 36,2 Prozent. Die FDP, die auf 12,8 Prozent kommt, geht aber eine Koalition mit der Union (45,3 Prozent) ein. Brandt muss warten.
Bereits 1961 ist klar, dass es mitnichten Brandts einziger Versuch bleibt, Bundeskanzler zu werden. Er ist populär und als Berliner Rathauschef steht er ohnehin im politischen Fokus.
Und es gibt für ihn viel zu tun. Das Leben in der geteilten Stadt muss organisiert werden. Brandt ist dabei ein sehr guter Lobbyist in Sachen Berlin und pflegt gute Beziehungen ins westliche Ausland.
In den USA trifft er mit seinem Anliegen auf Verständnis. In Senat und Repräsentantenhaus gehört die Berlin-Frage zu den wichtigsten. Am 22. Februar trifft der jüngere Bruder des US-Präsidenten John F. Kennedy, Edward, mit Brandt zusammen.
16 Monate später kommt der Präsident persönlich nach Berlin. Brandt ist die Freude über diesen hohen Besuch anzusehen. Kennedy macht klar, dass die USA und ihre Verbündeten den Westteil der Stadt nicht der Sowjetunion überlassen werden.
Damit hat Brandt wichtige Verbündete. Die Westberliner feiern den Gast aus Washington, garantiert er ihnen doch die Freiheit. Kennedy ermutigt Brandt allerdings auch zu kleinen Schritten auf die Gegenseite zu. Dies plant Brandt ohnehin schon. Sein Hauptziel ist die Zusammenführung der beiden Teile Deutschlands und Berlins. Er weiß aber, dass dieser Prozess langwierig sein wird.
Am 26. Juni 1963 hält Kennedy seine historische Rede vor dem Schöneberger Rathaus. Er drückt seine Solidarität mit den Menschen in Westberlin aus. "Ich bin ein Berliner", ruft der US-Präsident den Zehntausenden Kundgebungsteilnehmern zu. Fünf Monate später wird er in Dallas/Texas ermordet.
Brandt versucht, Übereinkommen mit der DDR-Führung zu erreichen, um das Leben in der eingemauerten Stadt etwas erträglicher zu machen. Am 17. Dezember 1963 erläutert er gemeinsam mit seinem Pressechef Egon Bahr das mit den DDR-Vertretern getroffene Passierscheinabkommen. Westberlinern ist es gestattet, über Weihnachten und Neujahr ihre Verwandten in Ostberlin zu besuchen. Insgesamt machen zum Jahreswechsel 1963/1964 etwa 700.000 Westberliner rund 1,2 Millionen Besuche im Ostteil der Stadt.
Die Mauer wird für ein paar Tage etwas durchlässiger. Sie bleibt aber für Berlin eine schmerzende Wunde. 1965 besichtigt die britische Königin Elizabeth II. das Symbol der deutschen Teilung. Sie wird von Brandt und Kanzler Erhard begleitet.
Seit 1964 ist Brandt auch SPD-Vorsitzender. In dieser Eigenschaft pflegt der Bundesaußenminister Kontakte zu anderen sozialdemokratischen Politikern, hier mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Tage Erlander.
Brandt - hier mit seinem Sohn Matthias - unternimmt 1965 einen weiteren Anlauf in Richtung Bonner Kanzleramt. Aber er scheitert auch diesmal. Zwar legt die SPD auf 39,3 Prozent zu. Aber CDU/CSU (47,6 Prozent) und FDP (9,5 Prozent) können weiterregieren.
Die schwarz-gelbe Koalition zerbricht ein Jahr später. Dem glücklosen Erhard ist nur eine kurze Kanzlerschaft beschieden. Die Union sondiert mit der SPD. Ziel ist die Bildung der ersten Großen Koalition. Für die Sozialdemokraten ist es die erste Regierungsbeteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Rauch steigt auf: Brandt mit Helmut Schmidt und Herbert Wehner. Der Schritt hin zu einem Regierungsbündnis mit der Union kostet Überwindung. Schmidt und Wehner überreden Brandt dazu. Dieser geht als Außenminister in das Kabinett von CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger.
Der Kanzler mit den Ministern bei Bundespräsident Heinrich Lübke. Die Große Koalition hält bis zur nächsten Bundestagswahl 1969. Brandt läuft sich als Außenminister für die Wahl warm. Der Koalitionspartner lässt aber noch keine gravierende Änderung der Deutschland- und Ostpolitik zu.
Schmidt ist als Chef der SPD-Bundestagsfraktion ein Garant für das Funktionieren dieses schwierigen Regierungsbündnisses. Er versteht sich gut mit seinem Unionskollegen Rainer Barzel. Brandt tut sich in der Regierung mit Kiesinger schwer. Er will 1969 raus aus der Koalition.
Anderthalb Jahre später, am 21. Oktober 1969, ist es soweit. Die Bundesrepublik wählt wieder ein neues Parlament. Die Union bleibt mit 46,1 Prozent stärkste politische Kraft. Die SPD legt auf 42,7 Prozent zu. Die FDP kommt mit schwachen 5,8 Prozent gerade mal so in den Bundestag.
Noch am Wahlabend präsentiert sich Kiesinger siegessicher. Er geht davon aus, dass er weiter Kanzler bleibt. Der Mann aus der Schwäbischen Alb erliegt allerdings einem Irrtum, denn die politischen Weichen werden woanders gestellt.
Brandt will keine Neuauflage der Großen Koalition, sondern selber Bundeskanzler werden. Er hat bereits mit der FDP-Spitze verhandelt. Diese geht das Wagnis einer sozial-liberalen Koalition mit einer sehr knappen Mehrheit im Bundestag ein.
Brandt und FDP-Chef Walter Scheel verbindet ein anderes Herangehen an die Beziehungen mit der Sowjetunion, der DDR und den anderen Ostblockstaaten. Die Neue Ostpolitik erlebt 1969 ihre Geburtsstunde. Scheel tritt als Außenminister in das Kabinett Brandt ein.
Brandt setzt sich mit dem Bündnis mit der FDP gegen Schmidt und Wehner durch. Diese waren eigentlich für eine Wiederauflage der Großen Koalition. Schmidt wird Verteidigungs- und später Finanzminister und unterwirft sich damit der Kabinettsdisziplin. "Onkel Herbert" übernimmt die Führung der SPD-Bundestagsfraktion.
Am 28. Oktober 1969 hält Brandt dann seine erste Regierungserklärung als Kanzler. Neben dem berühmt gewordenen Satz "mehr Demokratie wagen" umreißt er auch die Grundzüge seiner Außenpolitik. Hinsichtlich der Beziehungen zu Osteuropa soll es einen "Wandel durch Annäherung" geben.
Egon Bahr folgt Brandt als Staatssekretär in die Bundesregierung. Er ist der Erfinder des Konzepts vom "Wandel durch Annäherung". Hier sind beide Politiker im Februar 1972 bei einem Aktenstudium vor der Sitzung über die Billigung der Ostverträge im Bundesrat zu sehen.
Bereits zuvor absolviert der Bundeskanzler wichtige Besuche. Im März 1970 reist er nach Erfurt, um mit dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph zu sprechen.
Das Treffen in der thüringischen Stadt dient dem gegenseitigen Kennenlernen. Bonn und Ostberlin bleiben im Kontakt. Die Erfurter feiern Willy Brandt. Stoph erwidert Brandts Besuch und reist zwei Monate später nach Kassel. In der nordhessischen Stadt wird das Treffen von Demonstrationen begleitet.
Ende 1970 absolviert Brandt einen schwierigen Besuch in der Volksrepublik Polen. Am 7. Dezember kommt es am Mahnmal des Ghetto-Aufstands von 1943 zum Kniefall von Warschau. In diesem Augenblick herrscht Stille auf dem Platz.
Mit dieser Aktion leitet Brandt symbolisch die Entspannungspolitik ein, die später in die Ostverträge mit Polen und der UdSSR mündet. Mit der DDR wird Ende 1972 ein Grundlagenvertrag geschlossen. Ein Jahr später kommt es zum Prager Vertrag mit der CSSR.
Brandt und Bahr 1971 zu Besuch in der Sowjetunion. KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnjew lädt zu einem Schiffsausflug auf dem Schwarzen Meer ein. Die Zeichen stehen auf Entspannung.
Brandt erhält für seine Entspannungspolitik den Friedensnobelpreis. Dieser wird ihm am 10. Dezember 1971 in Oslo übergeben. Brandt glänzt mit seinem sehr guten Norwegisch.
Innenpolitisch läuft es für die Regierung Brandt nicht so gut. Sie schlägt sich mit den Gewerkschaften herum. 1973 hat die Bundesrepublik mit der Ölkrise zu kämpfen. Da ist eine Cola am Strand von Florida nur willkommen.
Der Kanzler angelt auch gerne. Hier macht er einen Ausflug vor der Küste der Kanareninsel Fuerteventura. Brandt tankt Energie, die er in Bonn dringend benötigt.
Denn ein politischer Sturm zieht herauf. CDU und CSU kämpfen gegen die Ostpolitik des Kanzlers. CDU-Chef Barzel reicht einen Misstrauensantrag gegen Brandt ein, der am 27. April 1972 im Bundestag mit knapper Mehrheit abgeschmettert wird. Erst sehr viel später wird bekannt: Zwei von der DDR-Staatssicherheit gekaufte Stimmen geben den Ausschlag.
Dennoch ist die Mehrheit für die rot-gelbe Koalition zu knapp, Bundespräsident Gustav Heinemann ruft Neuwahlen aus, die am 13. November 1972 stattfinden. Brandt macht Wahlkampf und verspürt bei seinen Veranstaltungen Rückenwind. Die Mehrheit der Westdeutschen will, dass er Kanzler bleibt. Der politische Gegner fährt harte Attacken und wirft ihm seine uneheliche Herkunft sowie sein Exil während der Hitler-Diktatur vor.
Auch über Frauengeschichten und Alkoholprobleme wird gesprochen. Aber die Taktik der Brandt-Gegner geht nicht auf. Bereits vor der Abstimmung über den Misstrauensantrag gehen Tausende auf die Straße. Hier setzen sich Demonstranten auf der Hamburger Moorweide bei einer Solidaritätskundgebung für die Regierung Brandt/Scheel ein.
Brandt fährt einen glänzenden Wahlsieg ein. Mit 45,8 Prozent wird die SPD erstmals stärkste Partei. Die Union kommt nur auf 44,9 Prozent. Die FDP steigert sich auf 8,4 Prozent. Die sozial-liberale Koalition wird gestärkt. Brandt kann nun mit einer beruhigenden Mehrheit regieren.
Aber der Bundeskanzler gerät in ein Formtief. Ökonomische und soziale Probleme machen dem Land zu schaffen. Arbeitslosenzahl und Staatsverschuldung steigen. Umfassende Reformen packt die Regierung nicht an. Brandt nimmt sich immer längere Auszeiten, von Depressionen ist die Rede.
Brandt ist schlichtweg amtsmüde. Zudem regt sich auch innerhalb der SPD Widerstand gegen ihren Vorsitzenden. Brandt kann die hohen Erwartungen in seiner zweiten Amtszeit nicht erfüllen.
Die Guillaume-Affäre beendet Brandts Karriere als Bundeskanzler. Am 24. April 1974 wird mit Günter Guillaume einer der engsten Mitarbeiter Brandts als DDR-Agent enttarnt.
Guillaume ist als "Offizier im besonderen Einsatz" seit 1956 in der Bundesrepublik tätig. Er beschäftigt sich mit der SPD und macht innerhalb der Partei Karriere. Brandt übernimmt die politische Verantwortung und tritt am 7. Mai 1974 von seinem Amt zurück.
Ein Grund ist auch die unrühmliche Rolle, die Fraktionschef Wehner dabei spielt. Der stänkert seit geraumer Zeit gegen Brandt. "Der Herr badet gerne lau", sagt Wehner einmal. Brandt hat kein Vertrauen zum "Zuchtmeister". Er macht den Weg frei für Helmut Schmidt. Dieser ist darüber gar nicht begeistert und versucht erfolglos, Brandt vom Rücktritt abzuhalten.
Brandt will nicht mehr. Er behält aber den Vorsitz der SPD.
Brandt spielt weiter eine wichtige Rolle in der deutschen Politik. Er wendet sich nun verstärkt der Sozialistischen Internationale (SI) zu, deren Vorsitzender er ist.
Zudem trifft er wichtige ausländische Politiker wie die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi. Brandts Rat ist bei seinen Gesprächspartnern gefragt.
Auch zu den Intellektuellen pflegt Brandt Kontakt. Der Schriftsteller Günter Grass unterstützt die SPD im Wahlkampf 1976. Brandt absolviert als SPD-Vorsitzender zahlreiche Veranstaltungen. Es geht um den Fortbestand der SPD/FDP-Koalition.
Beim Literaturwissenschaftler, Philologen und Schriftsteller Walter Jens bedankt sich Brandt für dessen Rede auf dem Berliner SPD-Parteitag im Dezember 1979.
Brandt hat ein Herz für Satiriker: Ephraim Kishon ist bei ihm willkommen.
Einige Jahre zuvor besucht Brandt auch das Lokal der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Das Ergebnis der Visite ist eine launige Mitternachtsrunde.
Privat ist nicht immer alles so unbeschwert: 1980 lässt Willy Brandt sich nach 32 Jahren Ehe von seiner Frau Rut scheiden.
Drei Jahre später heiratet der SPD-Chef die Historikerin und Publizistin Brigitte Seebacher. Sie bleibt bis zu seinem Tod 1992 an seiner Seite.
Rut Brandt stirbt im Alter von 86 Jahren am 28. Juli 2006 in Berlin. Am 11. August wird sie auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf beigesetzt. Im Bild: die Söhne Lars und Matthias mit ihren Familien.
Willy Brandt, hier im Gespräch mit Hans-Dietrich Genscher, bleibt der Politik treu. Bundeskanzler Schmidt kann trotz Stimmenverlusten bei der Wahl 1976 zusammen mit der FDP weiterregieren. Die Mehrheit im Bundestag ist aber denkbar knapp.
Brandt gratuliert Schmidt zu dessen Wiederwahl als Kanzler. Dennoch wird das Verhältnis zwischen den beiden SPD-Granden schwieriger.
Schmidt, der auch die Bundestagswahl 1980 für sich entscheiden kann, pocht auf die Nachrüstung des Westens mit atomaren Mittelstreckenraketen. Brandt ist dagegen und hegt Sympathie für die Friedensbewegung.
Der Raketenstreit in der SPD ist nur ein Grund für das Auseinanderbrechen der sozial-liberalen Koalition im Herbst 1982. FDP-Chef Genscher führt seine Partei in eine Koalition mit der Union und sorgt dafür, dass CDU-Chef Helmut Kohl Bundeskanzler wird. Unter Kanzler Brandt war Genscher Bundesinnenminister.
Im Gegensatz zu vielen Genossen geht Brandt auf die im März 1983 neu in den Bundestag eingezogenen Grünen zu. Er gratuliert Petra Kelly zum Einzug in den Deutschen Bundestag.
Mit der SPD geht es in den 1980er Jahren bergab. Die Troika Brandt, Schmidt und Wehner ist zerstritten. In der Raketenfrage vertreten Brandt und Schmidt völlig entgegengesetzte Positionen.
Brandt bleibt dennoch an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie. 1986 unterstützt er die Kanzlerkandidatur des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau. Bei der Bundestagswahl 1987 behauptet sich aber die schwarz-gelbe Koalition von Helmut Kohl.
1985 macht Brandt einen Abstecher in die DDR, nach Ost-Berlin. Gemeinsam mit Staats- und SED-Chef Erich Honecker unternimmt er einen Stadtbummel. Hier sind beide Politiker vor dem Deutschen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt zu sehen.
1987 ist in der SPD die Ära Brandt zu Ende. Nach 23 Jahren Parteivorsitz legt er am 23. März überraschend vorzeitig sein Amt nieder.
Wegen Kritik aus den eigenen Reihen in den letzten Monaten und Wochen, zuletzt wegen der Ernennung der parteilosen Margarita Mathiopoulos zur SPD-Pressesprecherin, entschließt sich Brandt zu dieser radikalen Maßnahme.
Für ihn ist Schluss. Als Mitglied des Bundestages bleibt Brandt aber im politischen Geschäft.
Als seinen Nachfolger hätte er gerne den saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine gesehen. Doch dieser lehnt den SPD-Vorsitz ab. Brandt ist von Lafontaine schwer enttäuscht.
So führt Hans-Jochen Vogel von 1987 bis 1991 die Sozialdemokraten. Der ehemalige Bundesminister und Münchner Oberbürgermeister ist bereits seit 1983 Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Brandts Wunschkandidat ist Vogel nicht.
Brandt erlebt noch die Wende in der DDR, die zur deutschen Wiedervereinigung führt, mit. Am 9. November 1989 fällt die Berliner Mauer. Brandts Traum wird Wirklichkeit.
Der ehemalige Regierende Bürgermeister kehrt zur alten Wirkungsstätte zurück. "Nun wächst zusammen, was zusammengehört", sagt Brandt. Er versteht die Vorbehalte in seiner Partei hinsichtlich der Wiedervereinigung nicht.
In dieser Frage ist sich Brandt mit Bundeskanzler Kohl einig. Dieser holt sich Rat bei ihm. Das Verhältnis zwischen beiden Spitzenpolitikern verbessert sich.
Auch um die ostdeutschen Sozialdemokraten kümmert sich der SPD-Ehrenvorsitzende. Hier spricht er auf dem Parteitag der Ost-SPD am 10. Juni 1990 mit dem neu gewählten Parteichef Wolfgang Thierse und mit DDR-Außenminister Markus Meckel.
Konstituierende Sitzung des ersten gesamtdeutschen Bundestages am 20. Dezember 1990. Willy Brandt ist Alterspräsident und eröffnet im Berliner Reichstag die neue Legislaturperiode.
Seine letzte große Rede hält Willy Brandt am 20. Juni 1991 im Bundestag. Das Parlament debattiert den Hauptstadtbeschluss. Für Brandt ist es keine Frage, dass die Bundesregierung nach Berlin zieht. Er befindet sich damit in völliger Übereinstimmung mit dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble.
Am 8. Oktober 1992 stirbt Willy Brandt im Alter von 78 Jahren nach langer Krankheit in seinem Haus in Unkel. Wie das seiner zweiten Ehefrau Rut ist auch sein Grab auf dem Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf.