Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Jetzt lieben die Rechten Thunberg und "gekaufte Journalisten"

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Greta Thunberg hatte auf Klimaschutz-Demos mehrfach offensiv Partei für die Palästinenser ergriffen, ihr wurde daraufhin Antisemitismus vorgeworfen.

Greta Thunberg hatte auf Klimaschutz-Demos mehrfach offensiv Partei für die Palästinenser ergriffen, ihr wurde daraufhin Antisemitismus vorgeworfen.

(Foto: picture alliance / ANP)

Verkehrte Welt überall. ARD-Journalisten, die sich vom Kreml bezahlen lassen, werden verteidigt. Und Greta Thunberg, bisher die absolute Hass-Figur der Rechten, wird neuerdings bejubelt, weil sie Atomkraftwerke super und Israel doof findet. Wer blickt da noch durch?

Gestern war Freitag. Falls es die Wahrheitspresse nicht ignoriert oder zu melden vergessen hat, haben sich Greta Thunberg und ihre queeren und verqueren Mitstreiter von Fridays for Palestine erneut nicht auf die Straßen im Gaza-Streifen festgeklebt, um für "Klimagerechtigkeit auf besetztem Land" zu protestieren und in kraftvollen Worten vor einem "Flächenbrand im Nahen Osten" zu warnen, weil doch jedes Schulkind weiß, dass mit Rauch die Entstehung von CO2 verbunden ist und Krieg auch ansonsten dem Klima schadet, allen voran dem zwischenmenschlichen.

"Ist Greta Thunberg nur naiv - oder Antisemitin?", fragte ein recht bekanntes Magazin. Ich wiederum finde die Fragestellung naiv. Denn macht es das irgendwie besser, wenn eine Göre aus gutem Hause Stuss über Juden erzählt und das Motiv dafür in Kindlichkeit oder Infantilismus liegt? Naivität wäre dann ein Maßstab und unter Umständen eine Entschuldigung für politische Geisterfahrerei. Das war, wenn Sie mich fragen, ein netter Versuch, das Handeln der bis vor Kurzem noch gehypten Greta Thunberg infrage zu stellen, ohne den Stab über sie zu brechen. Denn, so will man mit der naiven Fragestellung suggerieren, das schwedische Hascherl weiß möglicherweise nicht, welchen a-historischen Blödsinn es hinaus in die Weltöffentlichkeit salbadert.

Würde das Magazin in einem Bericht über einen Reichsbürger fragen: "Ist Peter Hofmann nur naiv - oder Neonazi?" Oder in einem Porträt über einen islamistischen Nationalisten: "Ist Amir Güneş nur naiv - oder Antichrist?" Bevor Sie googeln: Peter Hofmann und Amir Güneş sind fiktive Gestalten, Hirngespinste meiner Fantasie. Es könnte sie aber sehr wohl geben.

Islamisten können nachtragend sein

Peter Hofmann wohnt im Erzgebirge, warnt in sächsischem Dialekt vor der grünen Öko-Diktatur, Flüchtlingen, dem Islam und der Antifa, liest Bücher des Kopp-Verlags und sagt Sätze wie: "Ich bin weder links noch rechts und denke selber." Seine Freunde mögen ihn für diese Klarheit.

Amir Güneş ist in Berlin-Wedding als Sohn türkischer Einwanderer auf die Welt gekommen und hat die Schule gerade so geschafft. Kürzlich war er mit Freunden im Olympiastadion, um beim Fußballländerspiel Türkei gegen Deutschland dem Land seiner Vorfahren die Daumen zu drücken, obwohl er sein ganzes Leben in Berlin verbracht, auch die deutsche Staatsbürgerschaft, das kostenlose Schulsystem ausgiebig genutzt und vom Land Berlin ein Aussteigerprogramm geschenkt bekommen hat. Amir Güneş hat ein Trikot von Mesut Özil, das er stolz trägt, findet Recep Tayyip Erdoğan klasse und hält İlkay Gündoğan für einen Verräter, da der sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hat.

Als Antichrist fällt Amir Güneş nicht groß auf. Denn Christen-Bashing ist in Deutschland erlaubt. Vor allem gegen die katholische Kirche, die, wie jeder Naivling weiß, die Kreuzzüge, die Inquisition sowie den Missbrauch von Jungen zu verantworten und Hitler toleriert hat. Deshalb darf man Witze über sie machen, sogar in ARD und ZDF, also Sendeanstalten, die für Toleranz stehen. Bei radikalgläubigen Muslimen ist man allgemein vorsichtiger - zurecht, wie das rechte Auge von Salmon Rushdie zeigt. Jan Böhmermann und Carolin Kebekus halten sich mit Witzen zurück, denn sie wissen: Islamisten können nachtragend sein, wenn man sie oder den Koran beleidigt. Dann zünden sie bisweilen Bomben. Katholiken sind durchaus tolerant. Obwohl sie keine Homosexuellen mögen, was wir ihnen nicht durchgehen lassen.

Herr Böhmermann und Frau Kebekus sind tolerant. Nicht homophob. Und nicht islamophob. Letzteres haben sie mit den Taliban gemeinsam. Auch die Taliban hüten sich davor, Witze über Muslime zu machen, weil das ihr Geschäftsmodell in Gefahr bringen würde. Trotz ihrer Islamfreundlichkeit gelten Taliban hierzulande als suspekt. Die Politik hat sie im Visier, wie man so schön sagt. Sie greift gegen Entsandte der Taliban durch. Im Nachhinein. Also in Gedanken. Denn ob Taliban-Vertreter gerade bei uns zu Besuch sind, wissen die Sicherheitsbehörden nicht. Sie erfahren es erst nach deren Abreise aus den Medien.

Objektivität ist leicht zu erklären

Nancy Faeser, die als Ministerpräsidentin in Hessen fast niemand wollte, weshalb sie Innenministerin bleiben durfte, goutiert das ganz und gar nicht. Sie hat den Auftritt eines hochrangigen Funktionärs der Taliban in einer Kölner Moschee des deutsch-türkischen Dachverbands Ditib "heftig kritisiert und Aufklärung gefordert". So habe ich es in der Wahrheitspresse gelesen. Der Ditib soll nach dem Wunsch von Frau Faeser "vollständige und sehr schnelle" Mitteilung dazu machen, "wie es zu dem Auftritt in Köln kommen konnte".

Aber das weiß doch jedes Kind: Der Mann kam zu Fuß durch die Tür, denn die Sache mit dem fliegenden Teppich ist ein Märchen, und dann hat er vor seinen Zuhörenden gesagt, dass er Toleranz, Christen, vor allem Katholiken, und das Gendern mag, die Atomkraft und das deutsche Wetter aber nicht. So ungefähr. Ich selbst war nicht dabei, da Atheisten nicht vom Ditib eingeladen werden, wenn Taliban-Funktionäre eine Rede halten. Ich gebrauche meine Fantasie, um mir auszumalen, was ein Taliban-Funktionär in einer Kölner Moschee sagen könnte. Manche finden das, was aus meinem Gehirn entspringt, lustig, andere nicht.

"Ihr Beitrag ist so schlecht und absolut daneben. Sie wissen, dass Sie lügen", schrieb mir neulich ein Leser, der mehr über mich weiß als ich selbst. Der Mann gehört zu denen, die möchten, dass ich "die Wahrheit" sowie "objektiv" und "neutral" schreibe, was bei Meinungsstücken wie Kommentaren und Kolumnen schwierig ist. Ich gebe mir trotzdem große Mühe. Jede Wette, das hat auch der Moskauer ARD-Korrespondent Hubert Seipel getan. Der steht unter Verdacht, 600.000 Euro erhalten zu haben, damit er ein Buch verfasst, in dem steht, dass Kreml-Putze - Anführer der Putzkolonne, die die Ukraine von Ukrainern säubern soll - ein prima Typ ist.

Seltsam, dass viele von denen, die sonst über die Lügenpresse schimpfen und Udo Ulfkottes "Gekaufte Journalisten" verschlungen haben, nun Herrn Seipel verteidigen und dessen Kritikern raten, sich an die eigene Nase zu fassen. Da deutsche Journalisten "Propaganda der Grünen verbreiten, wird Hubert Seipel doch auch Kreml-Propaganda verbreiten dürfen". Das entspricht der Logik des 21. Jahrhunderts und der verkehrten Welt, in der jeden Monat neue Querfronten aufpoppen. Sogar Greta Thunberg, bisher die absolute Hass-Figur der Rechten, wird neuerdings von diesen bejubelt, da sie das Abschalten der Atomkraftwerke ablehnte und Terroristen verteidigt, die Juden umbringen und Israel vernichten wollen. Alles sehr seltsam. Aber ich versteh' die Welt ohnehin nicht mehr. Oder bin ich nur naiv?

Quelle: ntv.de

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