Kind als Geisel am Flughafen Mutter versuchte Entführer verzweifelt zu stoppen
06.11.2023, 15:57 Uhr Artikel anhören
Der Entführer am Boden: Nach mehr als 18 Stunden ließ sich der Mann festnehmen.
(Foto: dpa)
Vor der Geiselnahme eines vierjährigen Mädchens spielen sich in Stade dramatische Szenen ab. Ein Zeuge beobachtet, wie die Mutter des Kindes versucht, den Vater von der Entführung abzuhalten. Wie auch am Hamburger Flughafen setzt er dabei eine Waffe ein. Die Behörden geben Details bekannt.
Einen Tag nach der stundenlangen Geiselnahme einer Vierjährigen auf dem Hamburger Flughafen sind weitere Details zu den Hintergründen der Tat bekannt geworden. Der Vater des Kindes sei im Frühjahr 2023 zu einer Geldstrafe von 3600 Euro wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt worden, sagte Kai Thomas Breas, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade.
Der Türke habe das Mädchen im März 2022 in seine Heimat mitgenommen. Die Mutter habe Anzeige erstattet, dann aber zunächst versucht, auf anderem Wege die Sache zu regeln. Zunächst sei das Verfahren daher eingestellt worden. Am 2. September 2022 habe die Frau dann noch einmal Anzeige erstattet, sagte der Behördensprecher.
Zuvor hatte im Juli das Familiengericht des Amtsgerichts Stade dem Vater die elterliche Sorge entzogen und das Sorgerecht allein der Mutter übertragen. Die Frau holte ihre Tochter demnach am 17. September aus der Türkei ab und brachte sie zurück nach Deutschland. Der Strafrahmen für die Entziehung Minderjähriger liegt zwischen einer Geldstrafe und bis zu fünf Jahren Haft.
"Ich war schockiert"
Vor der 18-stündigen Geiselnahme an diesem Wochenende hatte die Mutter laut einem Zeugen verzweifelt versucht, ihren Ex-Partner zu stoppen. Die Frau habe auf der Straße geschrien und probiert, sein Auto anzuhalten, sagte ein Nachbar der Mutter in Stade. Der Mann habe die Frau fast angefahren, danach sei sie auf der Straße zusammengebrochen. Der 24-Jährige war nach eigenen Angaben Zeuge der Kindesentführung geworden.
Laut Staatsanwaltschaft hatte der Kindesvater die Mutter mit einer halb-automatischen Selbstladekurzwaffe bedroht und dabei einen Schuss in die Luft abgegeben. Er setzte das Mädchen in einen schwarzen Mietwagen und flüchtete. Er habe der Frau helfen wollen, sagte der Zeuge. Sein Bruder habe dann aber geschrien, dass der Mann eine Waffe habe. "Ich war schockiert", sagte der 24-Jährige. Der Mann habe das Kind ins Auto reingeschoben und sei mit hoher Geschwindigkeit weggefahren. Er habe nicht nur die Frau, sondern auch einen anderen Nachbarn fast angefahren. Die Familie kenne er nicht persönlich. Die dramatischen Szenen spielten sich in einem Wohnviertel mit rot geklinkerten Mehrfamilienhäusern und Reihenhäusern ab. "Es ist eine ziemlich ruhige Gegend", sagte der 24-Jährige.
Mit dem entführten Kind soll der Beschuldigte dann der Staatsanwaltschaft zufolge zum Hamburger Flughafen geflüchtet sein, und dort kurz nach 20 Uhr eine Schrankenanlage durchbrochen haben und mit dem PKW auf das Vorfeld des Flughafens eingedrungen sein. Über den polizeilichen Notruf habe er mitgeteilt, dass er eine Bombe im Fahrzeug habe und für sich und seine Tochter die Ausreise in die Türkei fordere, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit.
Der Beschuldigte soll hier drei weitere Schüsse aus der Pistole abgegeben und zwei Brandsätze aus dem PKW geworfen haben. Angesichts der vom Beschuldigten geäußerten Drohung, er werde schießen oder den Sprengstoff zünden, wurde von einem Zugriff zunächst abgesehen. Nach etwa 18 Stunden ließ sich der Mann von der Polizei festnehmen. Neben der Schusswaffe konnte den Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge eine selbstgefertigte Attrappe eines Sprengstoffgürtels sichergestellt werden. Es habe sich um ein mit Alufolie umwickeltes Buch gehandelt, in das Drähte gesteckt waren.
Haftbefehl erlassen
Das Kind wurde von dem Vater körperlich unverletzt Spezialkräften der Polizei übergeben. Die Mutter hatte in der Nähe auf die Freilassung gewartet. Sie erstattete wieder Anzeige. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Mannes in Buxtehude sicherte die Polizei Beweismaterial. Gegen den Geiselnehmer wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Das teilte die Staatsanwaltschaft am späten Nachmittag mit.
Aus rechtlicher Sicht durfte der 35-Jährige keine Waffe haben. "Der Beschuldigte befindet sich nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis", sagte Oberstaatsanwältin Liddy Oechtering in Hamburg. Das Verfahren gegen den Mann hat mittlerweile wegen der besonderen Bedeutung die Zentralstelle Staatsschutz der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg übernommen.
Wo sich Mutter und Kind derzeit aufhalten und wie es dem vierjährigen Mädchen geht, will die Polizei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Das Kind sei während der Geiselnahme auf dem Rollfeld des Flughafens aber mit Essen und Trinken versorgt gewesen.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa