Omikron schlägt mächtig zu Passiert bei uns das Gleiche wie in Frankreich?
07.01.2022, 20:04 Uhr
Frankreich hat eine der höchsten Inzidenzen der Welt.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Die 7-Tage-Inzidenz liegt in Frankreich bei fast 2150, innerhalb einer Woche verdoppelt sich der Wert. Auch die Zahl der Intensivpatienten und der Covid-19-Toten nimmt deutlich zu, erreichen aber bisher keine kritischen Höhen. Sieht man dort, was auf Deutschland zukommt?
Die Omikron-Welle ist in Deutschland angekommen, laut RKI hat die Variante bereits einen Anteil von mindestens 44 Prozent der Neuinfektionen erreicht. In einigen Bundesländern ist die Variante bereits dominant, dort gehen die Fallzahlen deutlich nach oben. In Bremen liegt die 7-Tage-Inzidenz schon bei 800 Neuinfektionen, Berlin folgt mit 500. Wie es weitergehen könnte, sieht man im Nachbarland Frankreich. Dort zählt man bereits fast 2150 Ansteckungen pro Woche und 100.000 Einwohner, laut Premierminister Jean Castex machte Omikron Anfang der Woche schon 70 bis 80 Prozent der Neuinfektionen aus.
Inzidenz innerhalb einer Woche verdoppelt
An der französischen Corona-Kurve sieht man, was es heißt, wenn von einer "Omikron-Wand" gesprochen wird, denn sie steigt seit Weihnachten fast senkrecht an. Die Fallzahlen haben sich innerhalb von sechs Wochen vervierfacht, in den vergangenen sieben Tagen verdoppelt.
Auch die Hospitalisierungen nehmen zu. Laut Our World in Data lagen am 25. Dezember in Frankreich 16.162 Menschen mit Covid-19 im Krankenhaus, gestern waren es 21.169. Doch der Anstieg ist wesentlich flacher und die Fallzahlen sind noch deutlich von den Höchstwerten des vergangenen Frühjahrs mit bis zu 32.000 Hospitalisierungen entfernt.
Ähnlich sieht es bei den schweren Fällen aus. Gestern lagen 3759 Corona-Patienten auf französischen Intensivstationen, zu Weihnachten waren es 3282. Damit ist der Wert wie bei den Hospitalisierungen etwa noch ein Drittel niedriger als zum Höhepunkt der Frühjahrswelle mit bis zu 6000 Intensivpatienten.
Das dicke Ende könnte erst noch kommen
Ein Grund zur Beruhigung ist dies allerdings nicht. Denn der enorme Anstieg der Neuinfektionen kommt erst mit ein bis zwei Wochen Verspätung in den Krankenhäusern und vor allem auf den Intensivstationen an. Die Zahlen dort werden also auf jeden Fall noch deutlich nach oben gehen, selbst wenn die Welle am Wochenende in sich zusammenbrechen würde.
Doch dafür gibt es aktuell noch keine Anzeichen. Und sollte die Zunahme der Ansteckungen im gleichen Tempo wie bisher weitergehen, könnte sich die Inzidenz innerhalb der nächsten Woche erneut verdoppeln. Für das französische Gesundheitssystem wird es also möglicherweise nochmal sehr eng.
Neue Höchstwerte werden vielleicht trotzdem nicht erreicht werden. Das liegt zu einem Teil daran, dass Omikron wohl grundsätzlich etwas seltener zu schweren Verläufen führt. Der britische Epidemiologe Neil Ferguson geht davon aus, dass auch bei Menschen, die weder geimpft noch genesen sind, die Wahrscheinlichkeit, bei einer Infektion ins Krankenhaus zu kommen, um etwa ein Drittel niedriger als bei Delta ist. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei sogar um rund zwei Drittel geringer, sagt der Modellierer des Imperial College London.
Impfungen sind der beste Schutz
Omikron wird aber vor allem durch Impfungen die Gefährlichkeit genommen. Rund 74 Prozent der französischen Bevölkerung sind "vollständig" geimpft, 36 Prozent haben bisher eine Auffrischung erhalten. Laut dem European Centre for Desease Prevention and Control (ECDC) haben von den besonders vulnerablen über 60-Jährigen 89,7 Prozent zwei Dosen erhalten, 69 Prozent sind geboostert. Hier hat Frankreich also wie Deutschland noch eine problematische Impflücke. Allerdings gibt es dort Fortschritte, die Quote der Erstimpfungen beträgt in dieser Altersgruppe in Frankreich 93,5 Prozent.
Laut "Le Monde" liegen auf französischen Intensivstationen 17 Mal mehr ungeimpfte als geimpfte Covid-19-Patienten. Die britische Gesundheitsbehörde schätzt, dass die Effektivität der Corona-Vakzine gegen einen schweren Krankheitsverlauf bis zu einem halben Jahr nach der zweiten Dosis noch bei 72 Prozent liegt. Nach der Booster-Impfung betrage die Schutzwirkung sogar 88 Prozent.
Auch leichte Verläufe in der Masse problematisch
Trotzdem könnte die Masse der Infektionen die Krankenhäuser an die Kapazitätsgrenzen bringen, wenn der rapide Anstieg nicht bald endet. Sehr hohe Inzidenzen führen durch Infektion und Quarantäne/Isolierung zu sehr vielen Personalausfällen. Das belastet nicht nur die Wirtschaft, sondern stellt auch ohne eine große Zahl von schweren Erkrankungen eine enorme Belastung für das Gesundheitssystem, aber auch andere kritische Infrastrukturen dar.
Auch leichtere Fälle, die nicht auf die Intensivstation müssen oder solche, bei denen erst bei der Aufnahme eine Covid-19-Infektion festgestellt werden, sind ein riesiges Problem für die Kliniken. Denn sie müssen diese Patienten mit großem Aufwand isoliert unterbringen und behandeln.
In Frankreich ist die Lage in den Krankenhäusern schon so schlimm, dass infiziertes Krankenhauspersonal notfalls weiterarbeiten kann, wenn es keine oder kaum Symptome zeigt. "Wenn das System sehr belastet wird und 50 Prozent unseres Personals positiv sind, werden die weniger symptomatischen zur Arbeit kommen, weil die Patienten weiterhin versorgt werden müssen", sagte Marc Leone, Leiter der Anästhesiologie am Nordkrankenhaus in Marseille, der Nachrichtenagentur AP. "Aber wir sind noch nicht in dieser Situation."
Schnell rauf, schnell runter?
Die Hoffnung ist, dass sich die Omikron-Welle andernorts ebenso wie in Südafrika verhält, wo die Infektionszahlen Ende November explodierten, Mitte Dezember aber schon den Höhepunkt erreichten und seitdem steil nach unten gehen. Neil Ferguson rechnet mit so einer Entwicklung auch in Großbritannien. "Wir erwarten, dass die Fallzahlen in der nächsten Woche zurückgehen", sagte er am Dienstag. "In London tun sie dies vielleicht jetzt schon, aber in anderen Regionen erst in einer Woche bis drei Wochen."
Die Hoffnung beruht vor allem auf der Annahme einer kürzeren Inkubationszeit des Virus, also die Zeit von Infektion bis Symptombeginn. Daraus könnte resultieren, dass die Fallzahlen umso schneller steigen, je größer die Anzahl der Kontakte ist. Umgekehrt sinken die Neuinfektionen aber auch rasch wieder, wenn die Kontakte beschränkt werden oder es nicht mehr genug Wirte ohne Immunisierung gibt.
Ebenso erhöht sich durch eine kürzere Generationszeit die Wirksamkeit von Kontaktbeschränkungen und Masken. Christian Drosten hat dies in seinem jüngsten NDR-Podcast angesprochen, eine gute Erklärung liefert auch Bioinformatiker Cornelius Roemer auf Twitter.
Deutschland besser vorbereitet
Omikrons mögliche Empfindlichkeit für Maßnahmen könnte bedeuten, dass Deutschland nicht die gleiche Entwicklung durchmachen wird wie Frankreich. Denn der Bundesrepublik ist es durch 2G und andere einschränkende Maßnahmen bereits gelungen, die Delta-Welle deutlich zu brechen. Von Ende November bis zum Jahreswechsel gab es einen Rückgang der 7-Tage-Inzidenz von rund 490 auf 225 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Frankreich hat dies nicht geschafft, dort startete die Omikron-Welle von einem bereits sehr hohen Infektionsniveau.
Die deutschen Kontaktbeschränkungen plus Impfungen und überstandene Infektionen führen bei einer kurzen Generationszeit auch dazu, dass Omikron einen kleineren Vorteil gegenüber Delta hat und sich langsamer durchsetzt. Die Bundesrepublik hat so gesehen also deutlich bessere Voraussetzungen als Frankreich, die Welle relativ glimpflich zu überstehen.
Ein Problem bleiben aber rund 3 Millionen ungeimpfte über 60-Jährige, Deutschland kommt bei dieser Altersgruppe nur auf eine Quote von 87,4 Prozent. Und bei einer Erstimpfungsquote von lediglich 88,3 Prozent ändert sich daran auch deutlich weniger als in Frankreich. Auch die Quote der "vollständig" geimpften Gesamtbevölkerung ist mit 71,6 Prozent in der Bundesrepublik niedriger und mit rund 65 Prozent sind auch weniger über 60-Jährige geboostert.
Quelle: ntv.de