Umstrittene Umfrage zu Gewalt Ticken junge Männer wirklich so?


Wird Gewalt gutgeheißen, akzeptiert oder angewandt? Und wie fragt man danach?
(Foto: dpa)
Eine Umfrage bringt scheinbar Verstörendes an den Tag: Junge Männer zeigten angeblich ein sehr rückwärtsgewandtes Rollenverständnis, in dem Gewalt gutgeheißen wird und Gefühle unangenehm sind. Aber stimmt das?
Plan International ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich seit Jahrzehnten besonders für die Rechte von Mädchen und jungen Frauen einsetzt. Dazu gehört auch immer wieder, Geschlechterungerechtigkeit sichtbar zu machen. Vor einigen Tagen veröffentlicht die Organisation Zahlen, die nach eigenen Angaben belegen, wie junge Männer von 18 bis 35 Jahren in Deutschland "ticken".
33 Prozent der befragten Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren gaben demnach an, es "akzeptabel" zu finden, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich "die Hand ausrutscht". 34 Prozent seien gegenüber Frauen schon mal handgreiflich geworden, um ihnen Respekt einzuflößen. 52 Prozent der Befragten sähen ihre Rolle darin, genug Geld zu verdienen, sodass sich die Frau hauptsächlich um den Haushalt kümmern könne. 51 Prozent hätten zudem angegeben, dass sie schwach und angreifbar seien, wenn sie Gefühle zeigen würden. Die Befragten hätten außerdem eine hohe Abneigung gegen das öffentliche Zeigen von Homosexualität geäußert. 48 Prozent gaben an, dass sie sich davon "gestört" fühlen. Die Organisation schlussfolgert daraus, die jungen Männer heute hätten ein Rollenbild von gestern. Aber ist das wirklich so?
Katja Nowacki, Dekanin des Fachbereichs Angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, forscht seit Jahren zu Einstellungen junger Männer mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. "Wenn das so sein sollte, wäre das natürlich sehr erschreckend", sagt sie in einer ersten Einschätzung gegenüber ntv.de. Nowacki meldet allerdings Zweifel an, ob die Erhebung der NGO wirklich repräsentativ ist, da hier genauere Angaben zu der tatsächlichen Stichprobe fehlen.
Übliche Standards?
Plan International gibt an, dass die Zahlen im Rahmen einer standardisierten Online-Befragung zwischen dem 9. und dem 21. März über das Marktforschungsinstitut Transpekte und den Online-Panelbetreiber Mo-Web von 1000 Männern sowie 1000 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren erhoben wurden. Sowohl beim Alter, als auch bei den Bildungsabschlüssen und der regionalen Verteilung sei die befragte Gruppe repräsentativ für die Bevölkerung. Die Online-Befragung entspreche den "üblichen Standards der Branche".
Was dabei nicht erwähnt wird: Online-Befragungen werden finanziell vergütet und ziehen vor allem Menschen an, die starke Meinungen zu bestimmten Themen haben. Laut Plan International wurden angeblich keine Fragen zu Einkommen, ethnischer Zugehörigkeit und zum Teilnahmeverhalten gestellt. "Personen mit etwas höherer Bildung, einer gewissen Computer-Affinität und einer natürlichen Neugierde und Mitteilungsbereitschaft" seien aber die Zielgruppe.
Die Expertin sieht nicht nur in diesem Punkt Erklärungsbedarf. Bisher habe die Organisation auch nicht die Bögen offengelegt, aus denen sich ablesen ließe, wie die genauen Fragestellungen formuliert waren. Das sei unter anderem nötig, um Einstellungs- und Handlungsebene zu differenzieren. Wird Gewalt befürwortet, akzeptiert oder aktiv eingesetzt? Prinzipiell zeigten aber Zahlen des Bundeskriminalamtes, dass vor allem während der Pandemieeinschränkungen Frauen in heterosexuellen Beziehungen vermehrt Partnerschaftsgewalt ausgesetzt waren.
Das BKA gibt für das Jahr 2021 mehr als 143.000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften an, die Dunkelziffer gilt als hoch. 113 Frauen und 14 Männer starben demnach. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Zahlen leicht zurück, in den vergangenen fünf Jahren sehe man aber vor allem "eine kontinuierliche Zunahme der Opfer von vorsätzlichen einfachen Körperverletzungen". Dazu zählen beispielsweise Anrempeln, Kratzen oder auch Anspucken. Die Folgen sind blaue Flecken, Kratzer, Prellungen, aber auch Brüche oder Gehirnerschütterungen.
Erhebliche Abweichungen zu vorliegenden Ergebnissen
Zu anderen Themen der Umfrage hat Psychologin Nowacki Vergleichszahlen, beispielsweise zur Einstellung gegenüber Homosexualität. Dazu wurden von der FH Dortmund in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum um die 1000 junge Männer befragt. Hinsichtlich der Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben war eine breite Akzeptanz zu finden und immerhin noch 75 Prozent befürworteten das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.
Ähnliche Zahlen veröffentlichte auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als Ergebnis von Langzeiterhebungen. Etwa 12 Prozent der Befragten gaben dabei an, eher negativ gegenüber homo- oder bisexuellen Menschen eingestellt zu sein. Die offene Abwertung von Homosexualität als unmoralisch oder unnatürlich sowie das Absprechen gleicher Rechte werde nur mehr "von einem kleinen Teil der Bevölkerung geteilt", heißt es dazu. Die Abweichungen zu den Zahlen von Plan International sind in diesem Bereich erheblich.
Nowacki zufolge wurde in den eigenen Erhebungen differenziert nach verschiedenen Aspekten von LGBTIQ+ gefragt, und besonders bei Transsexualität "merkte man, da gab es mehr Fragezeichen". Das bestätige die Hypothese der Forschenden, dass "je unbekannter Dinge sind, desto eher oder schneller werden sie abgelehnt". Gegenüber Homosexualität habe man diese Ablehnung aber nicht finden können. Deshalb sei sie von diesem Ergebnis überrascht und frage sich, ob das vielleicht an der Art liege, wie gefragt wird.
Männlichkeitsbilder sind in Bewegung
Gefragt wurde in der Plan-International-Umfrage auch nach männlichen Vorbildern. Am häufigsten genannt worden seien demnach der Fußballer Cristiano Ronaldo, Ex-US-Präsident Donald Trump und der chauvinistische und frauenfeindliche Influencer Andrew Tate, heißt es. Auch dabei gebe es wieder die Unklarheit der Fragestellung, so Nowacki. Wurden diese Antwortmöglichkeiten vorgeschlagen oder war eine freie Nennung möglich?
Die Debatte um die vermeintlichen Umfrageergebnisse zeige jedoch etwas, was sich auch in wissenschaftlichen Untersuchungen belegen lasse. Männlichkeitsbilder seien inzwischen viel diverser geworden. Da sei etwas aufgebrochen. "Hegemoniale Männlichkeit, also die Vorrangstellung eines Geschlechts, wird infrage gestellt." Das führe zu Gegenbewegungen, also zu einer ausdrücklichen Betonung von tradierten Geschlechterbildern. Manche Menschen seien auch mit der Vielfalt an Möglichkeiten überfordert und suchen nach Orientierung, die sie wiederum in scheinbar vertrauten Mustern finden.
Für Nowacki bestätigt das, was in der gesellschaftspolitischen Forschung gerade intensiv diskutiert wird. Viele Frauen und Männer streben partnerschaftlichere Lebensmodelle an, die konkreten Rahmenbedingungen wie Arbeitszeitmodelle oder Kinderbetreuungsmöglichkeiten führten jedoch häufig dazu, dass am Ende doch das Haupternährermodell zustande kommt. Das sehe nach außen nach einem traditionellen Familienbild aus, sei aber lediglich die Anpassung an die realen Möglichkeiten.
Quelle: ntv.de