
Frauen sollen Mütter sein und dann nicht klagen.
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Wenn Blumenläden Sonderöffnungszeiten haben und die Supermarktwerbungen voller glücklicher Mütter sind, dann ist es wieder soweit - Muttertag. Doch das zuckersüße Marketing kann kaum davon ablenken, dass noch immer erwartet wird, dass Mütter die Familienarbeit selbstverständlich, klaglos und vor allem unentgeltlich leisten.
Am zweiten Sonntag im Mai ist in Deutschland Muttertag - seit inzwischen 100 Jahren. 1923 schwappte die Idee von einem Mütter-Freundschaftstag aus den USA auch in den deutschsprachigen Raum und etablierte sich innerhalb kurzer Zeit, vor allem dank der Marketingbemühungen des "Verbandes Deutscher Blumengeschäftsinhaber".
Blumen gehören für viele bis heute zum Muttertag dazu, ebenso wie die Diskussion über Mutterbilder oder den Wert mütterlicher Familienarbeit. "Am Muttertag wird symbolisch sichtbar gemacht, was sonst eher unsichtbar bleibt", sagt Erziehungswissenschaftlerin Meike Baader von der Universität Hildesheim ntv.de. Denn die Arbeit von Müttern werde noch immer als selbstverständlich verstanden und nicht zuletzt auch deshalb nicht wertgeschätzt.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge lebten im Jahr 2022 in Deutschland insgesamt 8,2 Millionen Mütter mit minderjährigen Kindern zusammen. Mehr als zwei Drittel von ihnen waren erwerbstätig. Kinder, Küche und Karriere oder zumindest Job, das ist für viele Mütter Alltag. Dank gibt es dafür selten, dafür jede Menge Erwartungen, wie Mütter zu sein haben, was sie zu leisten haben und welches Bild sie dabei abgeben sollen.
Weiblichkeit = Mutterschaft?
Mütterlichkeit gilt auch 2023 als Wesenskern von Weiblichkeit und wird von Frauen mehr oder weniger unterschwellig erwartet, obwohl anders als bis in die 1970er Jahre Mädchen nicht mehr für die künftige Mutterschaft erzogen werden. Die Vorstellung, dass die Mutter die hauptverantwortliche und am besten geeignete Betreuungsperson für ein Kind ist, hält sich dennoch hartnäckig. Studien zeigen, dass während der Corona-Lockdowns eher Mädchen zur Mithilfe im Haushalt angehalten wurden. "Da haben wir es dann doch mit unsichtbaren Kontinuitäten zu tun", sagt Baader.
Der Hildesheimer Professorin zufolge enthält die Verbindung von weiblichem Leben und Mutterschaft eindeutige gesellschaftliche Zuschreibungen. Damit verbunden sei klar die Erwartung, dass Mütter die Arbeit, die mit Kindern einhergeht, selbstverständlich, klaglos und vor allem unentgeltlich leisten sollen. Studien zeigen, dass sich in den vergangenen Jahren bei den Zeiten, die Mütter und Väter für Kindererziehung und Hausarbeit investieren, kaum etwas getan hat. "Zur mütterlichen Care-Arbeit gibt es noch kein ausgewogenes männliches Pendant, auch wenn über die neuen Väter gesellschaftlich diskutiert wird, da wird noch nicht genügend nachgezogen", so die Einschätzung der Wissenschaftlerin.
Das gesellschaftliche Nachdenken über Mutterschaft zeige sich gerade sehr deutlich in literarischen Texten, die die unmöglichen Anforderungen an Mütter thematisiere. Dahinter stehe die wichtige Botschaft, "sich nicht darauf zu verlassen, dass Mutterschaft glücklich macht. Sondern zu sehen, ja, das kann zufrieden machen, aber es bringt viele sehr komplexe Aufgaben, Erwartungen, Frustrationen mit sich".
Vor allem bei jungen Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen ist Nicht-Mutterschaft zunehmend der Lebensentwurf der Wahl. 2018 waren bereits 21 Prozent der Frauen im Alter zwischen 45 und 49 kinderlos und bleiben es damit vermutlich auch. "Mutterschaft ist ganz viel mit Normen verbunden. Aber auch, und das sehen wir in der Forschung, mit Scham und Schuld und dauernden Fragen: Mache ich das richtig? Bin ich gut genug? Werde ich meinen Kindern gerecht?", sagt die Hildesheimer Erziehungswissenschaftlerin.
Idylle in sozialen Medien
Viele Mütter fühlen sich mit den gesellschaftlichen Anforderungen alleingelassen, obwohl in Ratgebern, Podcasts und auch auf Instagram Mutterschaft durchaus diskutiert wird. Die Bandbreite reicht von feministischer Mutterschaft bis hin zur Neubesetzung der Mutter als strenge, autoritäre und rechtsdenkende Person. In sozialen Medien beobachtet Baader zudem eine Inszenierung und Ästhetisierung von Mutterschaft. "Das sind neue Normierungen, die Frauen noch mal mehr unter Druck setzen, den Alltag auch noch ästhetisch wunderbar zu bewältigen."
Dass diese Mutter-Kind-Idyllen nichts über die Beziehungen dahinter oder über den Aufwand der Erstellung des Fotos aussagen, ist zwar klar, die Wirkmacht der Bilder schmälert es leider kaum. Dagegen ist der Alltag jeder Mutter mit Nachwuchs in der Autonomiephase oder in der Pubertät ein individueller Albtraum.
Die Karlsruher Elternforscherin Desirée Waterstradt sieht Mütter inzwischen so kindzentriert, dass es sie erdrücke und empfindet den Muttertag als Ausdruck des schlechten Gewissens. Familien- und Bildungsforscher Wassilios Fthenakis würde den Muttertag am liebsten abschaffen oder zu einem Elterntag umwidmen, um ihm die Kraft des "Normierungsinstruments" zu nehmen. Baader hingegen sieht den Muttertag auch als Gelegenheit, um jenseits von "Bastelkrieg und Blumensträußen" über die gesellschaftliche Rolle nachzudenken und diese zu thematisieren, so wie in diesem Gespräch.
Wenn Baader Müttern etwas in die Sträuße binden könnte, dann wäre es die Bitte, Scham, schlechtes Gewissen und Schuld hinter sich zu lassen. "Es wäre viel gewonnen, wenn wir das Nebeneinander der verschiedenen Aspekte von Mutterschaft sehen könnten." Frust und Freude, Überlastung und Liebe, eigene Leistung und gesellschaftliches Versagen. Vaterschaft sei längst nicht mit so vielen Normierungen verbunden.
Quelle: ntv.de