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Bücher und Fake News Warum Lesenkönnen politisch ist

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Lesen lernen ist das eine, gern lesen etwas anderes.

Lesen lernen ist das eine, gern lesen etwas anderes.

(Foto: IMAGO/Zoonar)

Die Zeiten, in denen ein volles Bücherregal in den meisten Wohnungen selbstverständlich war, sind schon länger vorbei. Heute lesen weniger Menschen weniger Bücher, mehr Kinder und auch Erwachsene tun sich sogar schwer, Lesen zu lernen. Das wird zunehmend zum Problem.

Jeder vierte Deutsche (27 Prozent) hat in den zurückliegenden zwölf Monaten kein Buch gelesen, weder eins aus Papier noch ein E-Book. Das zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL. 38 Prozent haben zwischen einem und fünf Bücher gelesen, 14 Prozent sechs bis zehn Bücher, 21 Prozent mehr als zehn Bücher.

Schon seit Jahren ist die Zahl der gelesenen Bücher pro Person in Deutschland rückläufig. 2021 hatten laut Statista noch 43 Prozent der Deutschen angegeben, im letzten Jahr mindestens ein Buch gelesen zu haben. Aus der Sicht von Laura Neuhaus spielt dabei die fehlende Lesefreude vieler Menschen eine große Rolle. Neuhaus hat im letzten Jahr die Leitung der Dudenredaktion übernommen und rät dazu, bei der Lesefreude schon bei den Jüngsten anzusetzen.

"Wenn man jetzt an Fußballtraining oder Geräteturnen denkt, da gehen Kinder gerne hin, und wenn sie gerne hingehen, werden sie auch gut darin", sagt die promovierte Germanistin und Sprachwissenschaftlerin ntv.de. Deshalb müsse Leseförderung vor allem Spaß machen. Ihr Verlag setze das unter anderem mit Leserätseln um, die schon kleine Kinder an Buchstaben heranführen und ihnen Erfolgserlebnisse verschaffen.

Von Buchstaben zu Texten

Inzwischen weiß die Leseforschung um die verschiedenen Schritte, die Lernende bewältigen müssen, um schließlich flüssig lesen und auch den Inhalt des Gelesenen erfassen zu können. Buchstaben müssen gelernt werden, aus denen dann Silben, Worte, Sätze und Texte entstehen. Das kann mühsam sein, manchmal gibt es Rückschläge. Gut sei es, Bücher zu Themen anzubieten, die die Kinder auch interessieren, meint Neuhaus. "Ob Dinos, Pferde oder Vulkane- wenn die Begeisterung am Inhalt da ist, kann man diese Hürde leichter überwinden."

Neuhaus hält es für wichtig, anzuerkennen, dass es am Handy oder auch beim Fernsehen einen direkten Impuls ins Gehirn gibt. "Lesen muss als Kulturtechnik erst mal erworben werden." Das gelinge am besten, wenn Bücher einfach dazugehören, schon als Bilderbücher in der Kleinkindzeit, vor allem aber durch Vorlesen. In der aktuellen Forsa-Umfrage gibt jedoch jedes fünfte Elternteil von Kindern bis zehn Jahren (20 Prozent) an, seinem Kind seltener als einmal pro Woche oder sogar nie vorzulesen. Knapp ein Drittel (29 Prozent) liest ein- oder mehrmals pro Woche vor, die Hälfte (50 Prozent) immerhin täglich.

Ohne die Eltern ist es für Kinder deutlich schwieriger, nicht nur lesen zu lernen, sondern auch Lesefreude zu entwickeln. "Wenn ich will, dass mein Kind liest, muss ich mein eigenes Lese- und Medienverhalten anschauen und eventuell überdenken", sagt Neuhaus. Es koste Zeit, gemeinsam in Bilderbüchern zu blättern oder vorzulesen. Aber auch das zeigen Umfragen: Vom eigenen Leseverständnis überzeugt sind später vor allem diejenigen, denen als Kinder vorgelesen wurde.

Lesen kann cool werden

Neuhaus ist es aber wichtig, aus "lesemuffligen" Jahren nicht gleich auf ein ganzes Leben zu schließen. Auch sie selbst habe als Kind nicht so gern gelesen und sei der Meinung gewesen, das sei zu trocken und nichts für sie. "Heute merken gerade jüngere Leute: Lesen kann auch etwas Gemeinschaftliches sein. Ich muss mich nicht in mein stilles Kämmerlein zurückziehen und dort fast schon einsam vor mich hin lesen, sondern es gibt Austausch, beispielsweise in den sozialen Medien."

Trends wie New Adult oder Booktok zeigten, "wie sehr sich viele auch mit dem Lesen identifizieren". Viele Bibliotheken und Büchereien haben diesen Trend verstanden und kümmern sich nicht nur um die Anschaffung neuer Bücher, sondern veranstalten Lesungen oder auch Silent-Book-Partys, bei denen die Handys ausgeschaltet bleiben, damit alle mal zum Lesen kommen.

Letztendlich Demokratiebildung

Trotzdem ist die Chefin der Dudenredaktion beunruhigt, wenn sie auf aktuelle Studien zum Leseverhalten von Kindern, aber auch von Erwachsenen schaut. "Die IGLU-Studie musste nach der Corona-Pandemie konstatieren, dass wirklich jedes vierte Kind in der vierten Klasse nicht ausreichend sinnentnehmend lesen kann." Das bedeute eine kontinuierliche Verschlechterung in den vergangenen 25 Jahren. Gleichzeitig sehe man, dass der Anteil von Erwachsenen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz in Deutschland aktuell stagniert. "Eine Hypothese dafür könnte sein, dass die vielen Krisen der letzten Jahre zu einfacheren Arten, seine Freizeit zu verbringen, führen. Wenn einem die Welt schon insgesamt anstrengend erscheint, will man es vielleicht leicht und unkompliziert."

"Mit uns einfach lesen"
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Eine Aktion von RTL und Stiftung Lesen.

Darin stecke jedoch eine Gefahr, die nicht zu unterschätzen sei. "Lesen können ist politisch, denn es hat mit Teilhabe zu tun und da bekommt es eine gesellschaftspolitische Relevanz." Insofern gehe es um weit mehr als um eine Bildungs- oder Freizeitdebatte. "Wenn ich eine gute Lesekompetenz habe, bin ich in der Lage, Zusammenhänge zu verstehen und Erkenntnisse zu gewinnen. Dann falle ich weniger auf Fake News oder auf politische Manipulationsversuche rein. Letztendlich geht es beim Lesen um Demokratiebildung, damit alle Menschen in der Gesellschaft in der Lage sind, selbst zu einer fundierten politischen Meinung zu kommen."

Bilderbücher, Comics, Zeitschriften, dicke Wälzer oder auch digitale Texte: Am Ende ist nicht wichtig, was gelesen wird, sondern das gelesen wird. "Das Wichtige ist, dass da ein Funke drinsteckt, etwas Inhaltliches, das die Lesenden begeistert."

Quelle: ntv.de

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