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Verzweifelter Kampf in London Assanges Anhänger befürchten Vergeltungsaktion der USA

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Staatsfeind und weißhaariger "Cyber-Warrior": Julian Assanges Anwälte halten die Strafverfolgung für politisch motiviert.

Staatsfeind und weißhaariger "Cyber-Warrior": Julian Assanges Anwälte halten die Strafverfolgung für politisch motiviert.

(Foto: dpa)

Julian Assange drohen 175 Jahre Haft. Der Wikileaks-Gründer hatte Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt. Vor dem High Court in London geht es für ihn nun in die entscheidende Phase. Wird der 52-Jährige an die USA ausgeliefert, fürchten seine Unterstützer um sein Leben.

Die entscheidende Anhörung im juristischen Tauziehen um die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange geht in die zweite Runde. Nachdem am Dienstag die Anwälte des 52-Jährigen ihre Argumente vor dem Londoner High Court dargelegt hatten, wird heute mit dem Plädoyer der Gegenseite gerechnet. Wann eine Entscheidung fallen wird, ist unklar. Erwartet wird aber, dass sie nicht direkt im Anschluss an den zweiten Anhörungstag verkündet werden soll.

Für Assange ist die zweitägige Anhörung die letzte Hoffnung, seine Auslieferung an die USA vor britischen Gerichten noch zu verhindern. Er hofft auf eine volle Berufungsverhandlung. Sollte er mit seinem Antrag jedoch scheitern, wäre der Rechtsweg in Großbritannien ausgeschöpft. Dann bliebe ihm nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Seine Frau Stella Assange befürchtet, dass er innerhalb von Tagen in ein Flugzeug Richtung USA gesetzt werden könnte. Er könne sich dann womöglich das Leben nehmen, warnt sie.

"Wenn er ausgeliefert wird, wird er sterben", sagte seine Frau. Seine körperliche und psychische Verfassung sei schlecht, jeder weitere Tag im Gefängnis eine Gefahr für sein Leben. Gutachter beschreiben Assange als depressiv und suizidgefährdet. "Es geht ihm nicht gut", sagte auch sein Anwalt Edward Fitzgerald zu Beginn der Anhörung am Dienstag, deshalb sei Assange nicht vor Gericht erschienen.

Für Washington ist Assange ein Staatsfeind

Die US-Regierung will dem Australier in den USA wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft. Washington wirft ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, wollte sich am Dienstag nicht direkt zu dem Fall äußern.

Auf die Frage eines Reporters, ob die US-Regierung Assange als Journalisten betrachte, antwortete er jedoch allgemein, dass es "keine legitime journalistische Tätigkeit" sei, "sich in irgendetwas einzuhacken, um Regierungsinformationen zu stehlen" oder dabei zu helfen. Man unterstützte eine freie Presse in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt. Hacking sei jedoch ein Verbrechen.

Assanges Anhänger fürchten Vergeltungsaktion der CIA

Assanges Anwälte hingegen sehen in der Strafverfolgung eine Vergeltungsaktion Washingtons, weil Wikileaks durch die Veröffentlichungen auch Kriegsverbrechen aufgedeckt hatte. Seine Unterstützer werfen dem US-Geheimdienst CIA sogar vor, Pläne zur Entführung oder sogar Ermordung Assanges geschmiedet zu haben. Für eine Freilassung des 52-Jährigen setzen sich weltweit Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände ein, auch aus Deutschland.

Man teile das Rechtsverständnis der USA nicht, was die Pressefreiheit in dem konkreten Fall angehe, betonte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz von den Grünen. Das hätten sowohl Außenministerin Annalena Baerbock als auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, gegenüber den Partnern in Großbritannien und den USA deutlich gemacht, sagte Notz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Der Wikileaks-Mitbegründer Daniel Domscheit-Berg sagte dem RND, er hoffe auf eine Freilassung Assanges. Ein fairer Prozess sei in den USA nicht zu erwarten.

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen vom Bündnis Sahra Wagenknecht bezeichnete die Haft Assanges seit knapp fünf Jahren als "Schande für ganz Europa". Er sei im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in einer Gefängniszelle von gerade einmal zwei auf drei Metern eingesperrt, "allein um eine Auslieferung an die USA sicherzustellen", so Dagdelen laut einer Mitteilung. Der Bundesregierung warf sie Tatenlosigkeit vor.

Enthüllungen kamen Donald Trump zugute

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Ab 2010 veröffentlichte Wikileaks mehr als 700.000 vertrauliche Dokumente über militärische und diplomatische Aktivitäten der USA vor allem im Irak und in Afghanistan. Die Papiere enthalten brisante Informationen, unter anderem über die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen. Assanges Image als weißhaariger "Cyber-Warrior" litt im Laufe der Jahre – insbesondere als Wikileaks 2016 während des US-Präsidentschaftswahlkampfs Tausende E-Mails aus dem Team der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton veröffentlichte, was dem Republikaner Donald Trump zugutekam. Laut dem US-Geheimdienst stammten die Dokumente von russischen Agenten, was Wikileaks jedoch bestreitet. Diese Veröffentlichung nährte bei Kritikern den Verdacht, Assange arbeite mit Russland zusammen.

Als Wikileaks Dokumente ungeschwärzt veröffentlichte und damit Quellen gefährdete, brachte Assange das auch die Kritik jener Medien ein, die zuvor mit ihm zusammengearbeitet hatten. Dennoch forderten der "Spiegel", die "New York Times" und andere Zeitungen 2022 Washington auf, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen: "Denn Journalismus ist kein Verbrechen."

Quelle: ntv.de, gut/dpa/AFP

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