DUH knöpft sich die Ampel vor "Das Heizungsgesetz wird sein Ziel nicht erreichen"
02.11.2023, 16:59 Uhr Artikel anhören
Deutschland muss einen Wärmeversorgung dekarbonisieren, doch auch unter dem neuen Heizungsgesetz dürfen Gas- und Ölheizungen vorerst weiter eingebaut werden.
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Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kennt sich vor Gericht bestens aus. Anwälte gehen im Auftrag der Umweltorganisation seit Jahren gegen die deutsche Politik oder deutsche Unternehmen vor. Auf ihrer Webseite lädt die DUH die Bevölkerung sogar ein, für kommende Auseinandersetzungen eine Patenschaft für Klimaklagen zu übernehmen. "Durch unsere Klagen passieren Dinge, von denen es hieß: Das geht nicht", erklärt DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner im "Klima-Labor" von ntv die Beweggründe. Auch gegen das Heizungsgesetz würde die Umwelthilfe gerne klagen, wenn sie könnte, denn im Kompromiss von SPD, FDP und Grünen spiele der Klimaschutz keine Rolle mehr, beschwert sich Müller-Kraenner. "Doch diese Wahrheit wollte man nicht hören. Vermutlich sind wir deswegen nicht zur Anhörung im Bundestag eingeladen worden."
ntv.de: Wie viele Anwälte arbeiten eigentlich bei Ihnen?

Sascha Müller-Kraenner (l.), Barbara Metz und Jürgen Resch bilden die dreiköpfige DUH-Geschäftsführung.
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Sascha Müller-Kraenner: Ein halbes Dutzend regelmäßig, die machen aber auch andere Dinge. Wir haben etwa einen Anwalt, der uns über Jahre bei den Klagen für saubere Luft in deutschen Städten begleitet hat. Die Grenzwerte wurden jahrzehntelang überschritten, viele Leute mit Atemwegsproblemen können davon berichten. Die Politik hat sich nicht gekümmert, also haben wir das Recht auf saubere Luft eingeklagt. Zusammen mit jungen Menschen haben wir auch durchgesetzt, dass Klimaschutz Grundrecht wird.
Sind Gerichte denn der richtige Weg, um Klimaschutz und Umweltschutz voranzubringen?
Wir ziehen nicht jedes Mal vor Gericht, das ist das Ende eines langen Prozesses. Vorher versuchen wir, Menschen von konsequentem Klimaschutz, konsequentem Naturschutz und Nachhaltigkeit zu überzeugen. Wir reden mit Politik und Wirtschaft. Das sind teilweise sehr konstruktive Dialoge, aber manchmal hält man sich dort einfach nicht an die Dinge, die in einem Gesetzesblatt stehen. Für solche Fälle sind in einem Rechtsstaat Gerichte da.
Sie sehen sich als Kontrollinstanz der deutschen Politik?
Natürlich, die Klage-berechtigten Umweltverbände haben eine ähnliche Kontrollfunktion wie der Mieterschutz für die Mieterinnen und Mieter. Im Rechtsstaat ist vorgesehen, dass Verbände die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Und wie gesagt: Wir klagen nur, wenn Gesetze klare Vorgaben für saubere Luft, sauberes Wasser oder Klimaschutz machen, aber nichts passiert. Wenn Vorschläge ignoriert werden, muss man das Ganze rechtlich klären.
Haben Sie den Eindruck, dass sie erfolgreich sind? Wird die Luft ihretwegen sauberer?
Das kann man eindeutig sagen. Es wurde jahrelang bestritten, dass die Luft überhaupt schmutzig wäre. Aber es gibt eindeutige, von der EU festgelegte Grenzwerte, die gemessen werden. Dann hieß es immer, die Luft würde automatisch sauberer, weil Autos sauberer würden. Das stimmte auch nicht. Wir haben gesehen, wie die Autokonzerne geschummelt haben, teilweise bis zum Betrug. Deswegen haben wir gesagt, es muss etwas passieren. Der öffentliche Nahverkehr muss ausgebaut werden oder die Möglichkeit, mit dem Rad bestimmte Strecken zurückzulegen. Das haben viele Städte infolge dieser Klagen getan. Deswegen ist die Luft in den meisten deutschen Städten sauberer geworden. Das ist ein Erfolg unserer Klagen.
Zu der Expertenanhörung zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Bundestag wurden Sie im Sommer aber nicht eingeladen, obwohl es sich um eines der wichtigsten klimapolitischen Regelungen dieses Jahrzehnts handelt. Stattdessen hat man die Immobilienwirtschaft, der Wärmepumpenverband, die Energie- und Wasserwirtschaft angehört. Können Sie sich erklären, warum Klima- und Umweltverbände nicht dabei waren?
Es ist problematisch, dass sich die Politik bei einem Gesetzgebungsprozess lieber von der Gaslobby als von Umweltverbänden beraten lässt. Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit dem GEG. Schon die vorletzte Regierung wollte etwas tun. Die letzte Große Koalition ist 2021 kurz vor der Bundestagswahl am Veto der Union gescheitert. Bei der Ampel haben wir uns erhofft, dass nach Jahren der Versäumnisse endlich etwas passiert, mussten aber feststellen, dass das Ergebnis der mühsamen Verhandlungen zwischen SPD, FDP und Grünen mit Klimaschutz nicht mehr viel zu tun hat.
Was stört Sie denn an diesem Gesetz?
Wir haben einen großen Gebäudebestand, der zu einem großen Teil immer noch mit Öl und Gas beheizt wird. Alle wissen, dass wir aus diesen Technologien aussteigen müssen, wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will. Das sagen nicht wir, sondern das Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition beschlossen hat. Aber es werden keine Veränderungen im Fernwärmebereich oder im Gebäude selbst mit etwa Wärmepumpen vorgenommen, sondern nach wie vor neue Gasheizungen und sogar Ölheizungen eingebaut. Man sieht auch Holzpelletheizungen, deren Pellets aus abgeholzten Tropenwäldern in anderen Regionen der Welt stammen. Das sind Fehlentwicklungen. Die Ampel hat schlecht verhandelt und einen politischen Kompromiss geschmiedet, bei dem der Klimaschutz keine Rolle mehr spielt. Das hätten wir bei der Anhörung im Bundestag gesagt, vermutlich sind wir deswegen nicht eingeladen worden: Diese Wahrheit wollte man nicht hören.
Vielleicht war es nach dem öffentlichen Streit der einzige Kompromiss, der politisch machbar war.
Das wäre sehr schade, denn Technologien wie die Wärmepumpe sind bewährt. Fast alle Nachbarländer haben einen hohen Wärmepumpenanteil. In skandinavischen Ländern werden sogar fast alle Gebäude damit beheizt. Was daran in Deutschland schwierig sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Ja, man muss die Menschen finanziell unterstützen, wenn sie eine neue Heizung einbauen sollen. Man muss dafür sorgen, dass die Handwerker ausreichend ausgebildet sind. Dieser Probleme hätte man sich vielleicht ein wenig früher annehmen müssen. Man kann nicht einfach 40 Millionen deutschen Wohnungs- und Hausbesitzern sagen, ihr müsst über Nacht etwas verändern. Aber übrig geblieben ist ein Gesetz, das sein Ziel nicht erreichen wird.
Werden Sie dagegen vorgehen?
Gegen das Heizungsgesetz können wir nicht klagen, dazu sind wir nicht berechtigt. Aber wir werden ganz genau darauf achten, dass die Klimaziele erreicht werden. In zwei Jahren wird wieder gewählt. Wie sieht es dann mit den Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich und im Verkehrsbereich aus? Was hat sich bei den Kraftwerken getan? Es gab jahrelang Stillstand. Alle haben gehofft, dass die Ampel sich beim Klimaschutz viel vornimmt. Bei der Bundestagswahl wird abgerechnet.
Sie werden also auch in Zukunft auf die Sektorziele achten? Die Ampel hat diese ja abgeschafft, weil man inzwischen sagt: Wenn im Verkehr nichts passiert, wird das eben an anderer Stelle ausgeglichen.
Die Große Koalition von Union und SPD hat diese Sektorziele aus guten Gründen eingeführt. Denn wenn man ein "globales" Ziel festlegt, fühlt sich keiner dafür verantwortlich. Jeder sagt: Bei mir geht nicht mehr, das muss jemand anderes machen. Wenn Verkehrsminister Volker Wissing sagen kann: Bei ihm ist es besonders schwierig, Emissionen zu reduzieren, das muss im Gebäudebereich passieren, dann sagt der Gebäudebereich: Bei uns ist das auch schwierig, das muss die Industrie leisten! Die wird sich aber auch beklagen. Am Schluss hat man ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit erreicht, in dem alle mit dem Finger aufeinander zeigen. Deswegen wurden für jeden Bereich eigene Verantwortlichkeiten festgelegt. Noch gibt es die Sektorziele übrigens: Im November wollen wir vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erreichen, dass auch Verkehrsminister Wissing sie einhalten muss.
Angenommen, Sie sind erfolgreich: Haben Sie keine Angst, dass die Politik das Klimaschutzgesetz weiter aufweicht, statt zu sagen: Wir müssen uns ranhalten.
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Ein Gesetz, das so vage formuliert ist, dass man das Recht auf Klimaschutz nicht durchsetzen kann, ist wenig wert. Klar, man kann allgemeine Bekenntnisse oder ein Ziel für das Jahr 2045 formulieren und in 20 Jahren gucken, ob's geklappt hat. Aber dann ist von den Verantwortlichen niemand mehr im Amt. Deswegen ist es wichtig, dass man sich klare Ziele setzt und sagt: Bis dann und dann muss das Folgende erreicht werden. Das ist doch in der Wirtschaft auch so. In jedem Unternehmen erhält jede Abteilung bestimmte Produktionsziele. Warum gerade die FDP als Wirtschaftspartei dieses Prinzip für die Politik nicht akzeptiert, leuchtet mir nicht ein.
Aber auch mit Sektorzielen hat sich Volker Wissing ja nicht für die Vorgaben interessiert, sondern einfach gesagt: Mehr geht nicht.
Diese Haltung von Herrn Wissing muss man bei der nächsten Bundestagswahl bewerten. Es kann sein, dass ihm das Gesetz nicht gefällt. In unserem Land hält man sich an die Gesetze. Und wenn das für die kleinen Leute gilt, muss es bei den Großen auch so sein.
Mit diesem Ansatz hat man es doch aber im Gebäudebereich versucht, damit die eigenen Umfragewerte torpediert und der AfD wahrscheinlich viele Sitze im neuen Bundestag beschert.
Man hat den Leuten sehr viel zugemutet, ja. Viele Menschen sorgen sich auch, weil die eigene Heizung etwas sehr Persönliches ist. Ich glaube aber, mit guter Politik hätte man den Menschen diese Sorgen nehmen können. Denn aus Sicht des Klimaschutzes ist am Ende einfach zu wenig übrig geblieben. Man sieht auch in allen Umfragen: Die Menschen erwarten sich Fortschritte beim Klimaschutz.
Zeigen die Umfragen nicht eher, dass den Menschen Klimaschutz egal ist?
Wir haben weiterhin in allen Umfragen ein sehr hohes allgemeines Bekenntnis zum Klimaschutz. Was man in den Umfragen aber auch sieht, ist ein allgemeines Gefühl der Überforderung. Es passiert zu viel parallel. Man hätte sich mit dem Heizungsgesetz vielleicht noch ein bisschen mehr Zeit lassen und ein halbes Jahr warten können. Aber am Ende des Tages wissen die Menschen schon, dass mit unserem Klima etwas fundamental nicht in Ordnung ist. Die Wahlerfolge der AfD hängen übrigens auch mit dem Verhalten der Politik zusammen: Sie verspricht Dinge und hält sie dann nicht ein.
Mit Sascha Müller-Kraenner sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
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Quelle: ntv.de