
Polizisten im Gespräch mit einem Demonstranten in Chemnitz, der die Reichsfarben auf dem Mundschutz trägt (Archivbild).
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Nach den teils rechtsradikalen Protesten gegen die Corona-Politik wird voraussichtlich das Zeigen der sogenannten Reichskriegsflagge verboten. Viele andere Symbole des Deutschen Reiches aber sind wohl auch in Zukunft öffentlich zu sehen. Wofür sie stehen, ist eindeutig.
Die Chancen stehen gut, dass der kurze Sommer der Reichskriegsflagge noch im Jahr 2020 zu Ende geht. Bundesinnenminister Horst Seehofer begrüßt Initiativen der Länder für ein Verbot der seit jeher bei Rechtsradikalen beliebten Flagge. Bund und Länder reagieren damit auf die plötzliche Weiterverbreitung der Flagge über den Kreis rechter Extremisten hinaus ins vermeintlich bürgerliche Spektrum, in dem sich viele Gegner der Corona-Politik wähnen. Rechtsaußenaktivisten hatten die teils regierungsfeindlich auftretenden Corona-Demonstranten unterwandert und diese ihrerseits offensichtlich die Berührungsängste nach rechts verloren. Auch Reichsbürger mischen bei den Demonstrationen mit, für die das deutsche Reich ohnehin nie zu existieren aufgehört hat. So wurde die Reichskriegsflagge auch von jenen Demonstranten geschwenkt, die Ende August die Treppen des Reichstagsgebäudes gestürmt hatten.
Ein Verbot dieser Flagge - ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund, in der Mitte ein Adler und links oben schwarz-weiß-rote Streifen mit einem Kreuz - würde aber keinesfalls ein Ende der Reichs-Symboliken bedeuten. Schließlich handelt es sich dabei nur um eine spezifische von vielen Fahnen, die Kriegsflagge der deutschen Streitkräfte zwischen 1871 und 1935. In Internetshops zahlreich zu findende Abwandlungen sowie die einfache Fahne des Deutschen Reiches, die schwarz-weiß-roten Querstreifen, bleiben legal. Darauf werden sich mutmaßlich auch in Zukunft Demonstranten berufen, die ihre größtmögliche Distanz zum Berliner Politikbetrieb ausdrücken möchten. Zugleich fühlen sich die meisten von ihnen diffamiert, wenn sie in Medien als rechts bezeichnet werden.
Preußen trifft Hanse
Das mag daran liegen, dass Fahnenschwenker und ihre Kritiker grundverschiedene Auffassungen davon haben mögen, wofür die Reichsfarben stehen. Historisch ist das aber relativ eindeutig: Als sich das den deutschsprachigen Raum dominierende Königreich Preußen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufmachte, unter der Führung von Reichskanzler Bismarck mit Gewalt das Deutsche Reich zu formen, fusionierten 1866 zwei Flaggen: die schwarz-weiße Preußens mit den rot-weißen Fahnen der Hansestädte. Die Flagge des späteren Norddeutschen Bundes ist Symbol des preußischen Siegs über den Deutschen Bund aus Sachsen, Bayern und Österreich. Diese hatten die Reichseinigung unter preußischer Führung abgelehnt.
Die Flagge wurde auch übernommen, als 1871 - ein Jahr nach dem Sieg über Frankreich - mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs endgültig der Flickenteppich deutschsprachiger Kleinstaaten im Herzen Europas zu Grabe getragen wurde. Der 1888 inthronisierte Kaiser Wilhelm II. nutzte die Farben für den Kult um seine Person und das von ihm massiv geförderte Militär. Vor allem die Marine, die zuerst die Reichskriegsflagge hisste, hatte es Wilhelm II. angetan.
Das Reich: ein imperialistischer Obrigkeitsstaat
Egal, wie man zur Reichseinigung unter Bismarck steht: Schwarz-Weiß-Rot ist die Farbe des gewaltsamen Sieges der Preußen und der erzwungenen Unterwerfung zuvor freier Staaten wie Bayern und Sachsen durch die Großmacht in Berlin. Vor diesem Hintergrund mutet es widersprüchlich an, dass die Reichsfahne gerade bei den sogenannten B96-Protesten in Sachsen besonders oft zu sehen ist, teilweise neben der Flagge des Königreichs Sachsen.
Auch der von Corona-Demonstranten beanspruchte Einsatz für mehr Demokratie und Mitsprache passt nicht wirklich zur Reichssymbolik. Auch wenn unter Historikern umstritten ist, ob der Zeitgeist im Deutschland Wilhelm II. so viel militaristischer war als bei den Großmächten Frankreich und England (Christopher Clark: "Preußen"): Das Deutsche Reich war ein nach militärischen und imperialistischen Kategorien geführter Obrigkeitsstaat, der die breite Masse unter anderem mithilfe des Sozialistengesetzes unterdrückte, und der antisemitische Propaganda duldete (H. A. Winkler: "Der lange Weg nach Westen").
Die deutschen Kindern an den Schulen wortwörtlich eingeprügelte Weltsicht bildete eine der Grundlagen für zwei Weltkriege, in denen die deutsche Kriegsführung keine Rücksicht auf das Leben kannte, auch nicht auf das Leben der eigenen Leute. Im wilhelminischen Staat schrieben Jungen zum Abitur Aufsätze darüber, warum es das höchste der Gefühle ist, für das Vaterland zu sterben. "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen", hieß ein Credo der Heranwachsenden zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Im Deutschen Reich galt der Staat alles, das Individuum nichts.
Schwarz-Weiß-Rot steht für Impfpflicht
Preußens aggressive Außenpolitik hatte in den 1870ern eine Pockenwelle nach Deutschland gebracht. Rund 150.000 Zivilisten erlagen der von französischen Kriegsgefangenen nach Deutschland eingeschleppten Krankheit, wie der Historiker Malte Thießen im WDR berichtete. Schließlich wurde im April 1874 das Reichsimpfgesetz erlassen, mit dem die Menschen auch unter Einsatz von Polizeigewalt zwangsgeimpft werden konnten. Ausgerechnet die Furcht vor einer Impfpflicht treibt ja die Reichsfahnenschwenker der Gegenwart auf die Straße.
Als 1918 die Weimarer Republik das Reich ablöste, ersetzte Schwarz-Rot-Gold die Reichsfahne. Die Mütter und Väter der Republik beriefen sich dabei auf das Hambacher Fest 1832 und die letztlich gescheiterte Revolution von 1848. Diese scheinbare Kontinuität republikanisch-demokratischer Bewegungen aus der vor-wilhelminischen Zeit bis in die 1920er-Jahre überzeugte bekanntermaßen nicht die zahlreichen Gegner der Weimarer Republik: Schwarz-Weiß-Rot waren deshalb die Kampffarben derer, die den neuen Parteienstaat ablehnten.
Zwei Lager, zwei Flaggen
"Ein Banner der Linksparteien stand gegen ein Banner der Rechtsparteien", blickte der Publizist Ernst Friedländer 1949 in der "Zeit" auf die zerrissene Republik zurück. Das erklärt wohl, warum bei einer Umfrage im selben Jahr jeweils ein Viertel der befragten Westzonen-Deutschen sich für eine der beiden Flaggen aussprach und die Hälfte mit keiner der beiden etwas anfangen konnte. Es war letztlich der Parlamentarische Rat, der sich einstimmig für Schwarz-Rot-Gold entschied. Bei den ersten freien Wahlen in Westdeutschland versuchte die nationalistische Deutsche Partei mit dem Werben für die Reichsflagge Stimmen zu gewinnen. In späteren Dekaden war es die NPD, die sie für sich zu nutzen versuchte.
Mit dem ökonomischen Erfolg und gesellschaftlichen Frieden Westdeutschlands erwarb sich Schwarz-Rot-Gold eine breite Akzeptanz, mit dem Völkerfest der Fußball-WM 2006 gab es einen fahnenschwenkenden Höhepunkt. Der Gegensatz zu den alten Farben aber blieb bestehen. So stehen Schwarz-Weiß-Rot seit nunmehr 150 Jahren für eine Ablehnung demokratischer Verhältnisse und eine Sympathie für einen sich auch unter Anwendung von Gewalt durchsetzenden Obrigkeitsstaat. Das sollte man wissen, bevor man sich im Rahmen einer freien Gesellschaft mit derartigen Fahnen am Diskurs zu beteiligen versucht.
Quelle: ntv.de