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Verunsicherung bei Autoindustrie Die Abkehr vom Verbrenner-Aus wäre eine Sackgasse

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Die EU will die Produktion von Verbrenner-Antrieben ab 2035 verbieten.

Die EU will die Produktion von Verbrenner-Antrieben ab 2035 verbieten.

(Foto: picture alliance / Neundorf/Kirchner-Media)

Vor der Europawahl werden Forderungen laut, das Verbot von Verbrenner-Motoren ab 2035 zurückzunehmen. Damit würde sich die EU aber nicht nur umweltpolitisch in eine Sackgasse manövrieren, sondern auch den Zorn mancher Autohersteller auf sich ziehen.

Einst war der Green Deal die ambitionierteste Klima-Agenda, die es in der Europäischen Union jemals gab. Doch Ursula von der Leyen muss ihr Herzensprojekt teilweise aufgeben, da sie für ihre Wiederwahl als Kommissionspräsidentin auf die Unterstützung der EVP, ihrer Fraktion im EU-Parlament, angewiesen ist. Die konservative Parteienfamilie verlangte bereits Zugeständnisse bei den Klima-Gesetzen, die Bauern auf die Barrikaden gebracht hatten. Nun fordert der EVP-Vorsitzende Manfred Weber auch eine Kehrtwende bei dem Verbot von Verbrenner-Motoren ab 2035, das Teil des Green Deals war. Mit einer Rücknahme des Verbots würde sich die EU jedoch nicht nur umweltpolitisch in eine Sackgasse manövrieren. Auch bei einigen Autoherstellern stößt die Idee auf wenig Begeisterung - aus Kostengründen.

Weber bezeichnet das Verbrenner-Verbot als schweren industriepolitischen Fehler, von dem China profitiere. Chinesische Autobauer sind ihrer europäischen Konkurrenz bei der Produktion von E-Autos inzwischen weit voraus. Sie können billiger und besser produzieren, weshalb sie ihren Export jetzt ausbauen. 2023 exportierte Peking staatlichen Medien zufolge 1,2 Millionen E-Autos, ein Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nach Daten des Kraftfahrtbundesamtes stieg die Zahl neu zugelassener Fahrzeuge aus China hierzulande im gleichen Zeitraum um 47,6 Prozent. Zahlenmäßig lagen chinesische Autos mit 33.699 Stück jedoch weit hinter der Konkurrenz aus anderen Ländern. Unter den fünf größten Importmarken in Deutschland gibt es keine chinesische.

Weber zeigt sich dennoch besorgt, dass aus dem Green Deal ein "China Deal" werden könnte, wenn europäische Verbraucher chinesische E-Autos bevorzugen. "Wir müssen die europäischen Arbeitsplätze im Blick haben, nicht die chinesischen", sagt er. Auch die Union, die der EVP im Europäischen Parlament angehört, hatte ein Programm zur Europawahl verabschiedet, in dem sie ein Ende des Verbots fordert.

VW-Chef beschwert sich über Unzuverlässigkeit der Politik

Die Abkehr vom Verbrenner-Aus wäre ein zweischneidiges Schwert, sagt Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der FHM Hannover, ntv.de. Ein Vorteil bestehe darin, dass die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der EU-Hersteller dadurch einen Schub bekommen könnte. Aus einem simplen Grund: Falls das Gesetz ab 2035 in Kraft tritt, werden nur die europäischen Unternehmen an der Produktion von Verbrennern gehindert, doch für den Rest der Welt bleibe "die Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren nicht unwesentlich" so Schwope.

Einen entscheidenden Nachteil sieht er in milliardenschweren Mehrkosten, die Firmen dann wieder in die Förderung der Verbrenner-Technologie stecken müssten. Die Weiterentwicklung von zwei Antriebssystemen, Elektro und Verbrenner, führe unweigerlich zu Doppelstrukturen. Für einige Geschäftsführer großer Autokonzerne Grund genug, sich dagegen auszusprechen. "Was die Unternehmensführer haben wollen, ist insbesondere Planungssicherheit und kein Hü-und-Hott der Politik."

So überrascht es nicht, dass etwa Oliver Blume, Konzernchef von Volkswagen, die Kontinuität bei der Gesetzgebung vermisst. "Ich sage hier sehr deutlich: Wir brauchen verlässliche und verbindliche Vorgaben von der Politik. Die Autoindustrie ist langzyklisch, wir können nicht alle drei, vier Jahre unsere Entscheidungen infrage stellen", sagte Blume der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er verwies darauf, dass VW umfangreich investiert habe, um die Produktion ab 2035 komplett auf Elektro-Antriebe umzustellen. Die gestaffelten CO2-Ziele der Gesetzgebung müssten aus seiner Sicht zwar immer wieder überprüft und realistisch angepasst werden. Zugleich betonte Blume aber, dass die Dekarbonisierung "eine der wichtigsten Verantwortungen unserer Generation" sei.

Rücknahme des Verbots dürfte "Ölindustrie jubeln lassen"

Die Dekarbonisierung sieht Schwope wiederum gefährdet, falls Verbrennerantriebe weiter produziert werden dürfen. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit, dass Verbrenner mit E-Fuels betankt werden könnten. E-Fuels sind synthetische Kraftstoffe, die in der Bilanz klimaneutral sind, weil bei ihrer Produktion CO2 etwa aus Industrieanlagen oder aus der Luft entnommen wird. Sie sind heute noch sehr teuer. Ihre Herstellung erfordert mehr Energie als die Produktion eines Batterieantriebs. Schwope ist überzeugt, dass sich dies in den kommenden Jahren nicht ändert und E-Fuels ein Nischen-Markt bleiben werden. "Ein Aus des Verbrenner-Aus dürfte allerdings die Ölindustrie jubeln lassen, da dies sicherlich mit dem Weiterbetrieb mit konventionellem Benzin und Diesel einhergehen würde." Die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele der EU, die bis 2050 komplett klimaneutral werden will, wären somit gefährdet.

Dennoch lehnt die Mehrheit der Deutschen ein Verbot des Verbrennermotors ab 2035 ab. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die "Automobilwoche". 67 Prozent der insgesamt 5011 Befragten finden demnach, das Vorhaben sei zu früh geplant. 17 Prozent sagen, es komme zu spät. Nur 10 Prozent stimmen ihm zu.

Auch Sahra Wagenknecht, die mit ihrer Partei BSW erstmals bei der Europawahl antritt, hält die EU-Vorgabe für eine Fehlentscheidung, da die Mehrheit der Bevölkerung nicht dahinterstehe. Wagenknecht warnt wie Weber vor einem angeblichen "Siegeszug chinesischer Batterieautos in Europa", der durch das Gesetz gefördert werde. Einer der ersten entschiedensten Gegner des Verbots war Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Er lieferte sich im vergangenen Jahr eine Fehde mit der EU-Kommission. Wissing monierte, das Verbot laufe der Technologieoffenheit bei der Entwicklung von Antrieben zuwider. Zudem würden E-Fuel-Antriebe verboten.

"Politiker exportieren deutsche Arbeitsplätze nach China"

Am Ende errang Wissing einen Teilsieg. Die Kommission sicherte zu, Autos mit E-Fuels in das Gesetz zu integrieren. Die Zusage ist allerdings rechtlich nicht bindend. Ob sie eingehalten wird, zeigt sich nach der Wahl, wenn sich die neue EU-Kommission und das nächste EU-Parlament bilden.

Die Forderung nach Technologieoffenheit bei Verbrenner-Motoren hält Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research in Bochum, für eine Scheindebatte. Der Höhepunkt sei von der Leyens Ankündigung Ende Februar gewesen, das Verbrenner-Verbot 2026 zu überprüfen. Denn im aktuellen Gesetzestext ist bereits eine Überprüfung des Verbots festgeschrieben. "Damit hat von der Leyen systematisch eine Verunsicherung der Autoindustrie und der Autokäufer produziert", sagt Dudenhöffer ntv.de. Genau die gleiche Signalwirkung haben aus seiner Sicht die Forderungen von EVP, BSW und FDP.

Der Verbrenner-Motor werde im Wahlkampf teilweise als umweltfreundlicher als der Elektro-Antrieb dargestellt, obwohl das Gegenteil der Fall sei, so Dudenhöffer. Gegen die chinesischen E-Auto-Exporte helfe eine Abkehr vom Verbot auch nicht, da es dafür sorge, dass die E-Auto-Produktion weiter nach China verlagert werde, wo bereits deutsche Konzerne wie VW und BMW vermehrt E-Autos herstellen. Das Arbeitsplatz-Argument lässt der Experte nicht gelten: "Politiker exportieren deutsche Arbeitsplätze nach China, um den Wahlkampf zu gewinnen. Die Abkehr vom Verbrenner-Verbot wäre nicht nur eine Sackgasse, sondern eine Beschädigung der deutschen Autoindustrie", sagt Dudenhöffer.

Quelle: ntv.de

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