Stimme aus der Vergangenheit Egon Krenz erklärt die Welt
24.02.2018, 10:11 Uhr
Egon Krenz war nur anderthalb Monate lang SED-Generalsekretär.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seit mehr als 28 Jahren befindet sich Egon Krenz im politischen Abseits. Der ehemalige SED-Generalsekretär ist von seiner Partei verstoßen worden. Doch nun meldet sich Krenz wieder zu Wort. Vor allem China hat es ihm angetan.
Der Saal im Karl-Liebknecht-Haus ist voll, es müssen sogar noch zusätzliche Stühle organisiert werden, damit alle Platz finden. Für einen Politiker, den vor mehr als 28 Jahren der Wind der Geschichte hinweggefegt hat, muss dies eine große Genugtuung sein. Egon Krenz freut sich auch sichtlich, dass so viele Menschen, der größte Teil weit über die Siebzig und vereinzelt mit Gehhilfen, den Weg zu ihm gefunden haben. Schließlich ist der Sitz der Partei Die Linke auch für den letzten SED-Generalsekretär kein heimischer, denn die Vorgängerpartei hatte ihren ehemaligen Vormann im Januar 1990 ausgeschlossen. Dementsprechend bewegt gibt sich Krenz, und er betont, dass er "das erste Mal nach vielen Jahren" wieder den Weg ins Karl-Liebknecht-Haus gefunden habe.
Krenz, der im kommenden Monat 81 wird, wirkt außerordentlich fit und tritt wie in früheren Jahren unbeugsam und kämpferisch auf. Moderatorin Inge Pardon, die die letzte Leiterin des SED-Parteiarchivs war, stellt ihn als einen Mann vor, der "mit Gorbatschow auf Augenhöhe" war. Das ist sogar Krenz zu viel, und er lächelt angestrengt. Der Mann der Vergangenheit, der im Ostsee-Urlaubsort Dierhagen ein kleines Häuschen hinter dem Deich bewohnt, will dennoch über die große Politik sprechen - über die gegenwärtige Lage in China und Russland, basierend auf Reisen in diese Länder.
Ein ziemlich ambitioniertes Unterfangen, und Krenz kann sein Versprechen auch nicht halten. So wird sein Referat zu einer Lesung aus seinem Buch "China. Wie ich es sehe" (edition ost), das am 14. März herauskommen soll. Die Beleuchtung der gegenwärtigen Politik Russlands wird nur zu einer Randnotiz - zum Missfallen einiger Anwesender.
China: das "Bollwerk gegen Unsicherheit"
Es liegt wohl auch daran, dass Krenz das sozialistische China politisch nähersteht. Das Adjektiv "kommunistisch" vermeidet er mit Absicht, denn "Kommunismus habe es bislang noch in keinem Land gegeben". Kürzlich war der ehemalige SED-Spitzenfunktionär zum fünften Mal in der Volksrepublik - während des XIX. Parteitages der KP Chinas - und er habe "eine andere Sicht für die Dinge bekommen". Krenz lächelt bei dieser Ausführung spöttisch, werde ihm doch immer vorgeworfen, "ein Betonkopf und nicht lernfähig" zu sein. Zum einen imponieren dem ehemaligen DDR-Staatsoberhaupt natürlich die politischen Zustände in China: klar, stabil, übersichtlich. Zum anderen würdigt Krenz sowohl das Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas als auch die "ökologischen Bemühungen der Kommunistischen Partei". Schließlich würden im Reich der Mitte rund eine Million Elektroautos über die Straßen rollen. Berichte hiesiger Medien über den in der Hauptstadt Peking herrschenden Smog findet Krenz oberflächlich, weil China trotz seines kräftigen Wirtschaftswachstums viel für die Umwelt tue.
Überhaupt: China ist für Krenz ein "Bollwerk gegen die Unsicherheit" in einer immer komplizierter werdenden Weltlage. "China ist die einzige Großmacht, die an keinem Krieg beteiligt ist." Vor allem aufgrund seiner ökonomischen Stärke befinde sich Peking auf Augenhöhe mit der "kapitalistischen Hauptmacht USA". Zudem schuldeten die Amerikaner dem sozialistischen China sehr viel Geld. Krenz ist überzeugt, dass China spätestens am Ende dieses Jahrhunderts die Vereinigten Staaten als ökonomisch stärkste Macht überholen wird.
Und wie steht der Westen zu China? Krenz hat eine einfache Antwort. Was diesen am meisten an China störe, sei die Herrschaft der KP und ihr Festhalten am sozialistischen Weg unter der "demokratischen Diktatur des Volkes". "Ich gehöre zu den Bewunderern des Projekts", sagt Krenz. Er würdigt die Rolle von KP- und Staatschef Xi Jinping, der den "Sozialismus chinesischen Charakters" seiner Vorgänger Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao fortsetze. Den von 1987 bis 1989 amtierenden KP-Generalsekretär Zhao Ziyang, der nach der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Pekinger Tiananmen-Platz seinen Posten aufgeben musste, erwähnt Krenz nicht.
Gorbatschow bremst Honecker aus

Krenz als FDJ-Chef mit Erich Honecker im Jahr 1981 beim IX. Parlament des DDR-Jugendverbandes.
(Foto: imago/Hohlfeld)
Das darf nicht verwundern, denn das SED-Politbüro - in dieser Zeit selbst in arger Bedrängnis - hatte seine Solidarität mit der chinesischen Entscheidung bekundet, dem "konterrevolutionären Aufruhr" militärisch ein Ende zu bereiten. Krenz selbst reiste Ende September 1989 zu den Feierlichkeiten des 40. Jahrestages der Volksrepublik China in das Reich der Mitte. Er sagte dort, Klassensolidarität sei für die Kommunisten der DDR "eine Sache der Klassenehre und Klassenpflicht". Man stehe "auf der Barrikade der sozialistischen Revolution" dem gleichen Gegner gegenüber. Zhao Ziyangs Nachfolger Jiang Zemin bedankte sich damals bei Krenz "für die Gefühle brüderlicher Verbundenheit".
In der sich anschließenden Diskussion plaudert der ehemalige SED-Chef ein bisschen aus dem Nähkästchen. So habe sein langjähriger politischer Ziehvater Erich Honecker seit Ende der 70er-Jahre versucht, die angespannten Beziehungen der DDR zu China zu normalisieren. Doch ohne den Segen der sowjetischen Führung ging nichts. Und der neue KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow sei in dieser Frage unwillig gewesen. "Moskau zwingt uns, untätig zu sein", habe Honecker geklagt. Laut Krenz machte die damalige Pekinger Führung unter Hu Yaobang Gorbatschow ein Gesprächsangebot und wollte die Dienste der DDR nutzen, weil Honecker und Hu sich sehr gut kannten und gegenseitig schätzten. Doch aus Moskau kam ein klares Njet. "Die Mittlerfunktion der DDR war zu groß für unser kleines Land." Krenz kann sich dennoch die Bemerkung nicht verkneifen, damals auch ein bisschen "Weltpolitik gemacht" zu haben.
Gorbatschow und die DDR-Führung: Über das letzte sowjetische Staatsoberhaupt kommt kein gutes Wort über Krenz’ Lippen. Gorbatschow habe die Lage in seinem Land nicht im Griff und für die Reformen überhaupt kein Konzept gehabt. Krenz bezeichnet ihn sogar als eitel und unehrlich und führte dabei seine Gespräche mit Gorbatschow als SED-Generalsekretär an. Einige Jahre nach dem Ende von DDR und UdSSR habe er einmal Ex-Außenminister Eduard Schewardnadse gefragt, ob die Moskauer Führung die DDR aufgeben wollte. Schewardnadse habe geantwortet: "Wir wollten die Sowjetunion erhalten und mussten deshalb Ballast abwerfen." Große Empörung im überwiegend mit SED-Altkadern gefüllten Saal.
Lob für Putin
Krenz lobt dann noch den russischen Präsidenten Wladmir Putin. Dieser habe seinem Land nach den chaotischen Jahren unter Boris Jelzin "seine Würde zurückgegeben". Er verurteilt auch die Politik des Westens gegenüber Moskau und erntet damit Zustimmung im Saal. Aber einen Seitenhieb gibt es von Krenz dennoch: Man dürfe nicht davor die Augen verschließen, dass Russland ein kapitalistisches Land sei.
Aber Sozialismus und Kapitalismus müssten dennoch zusammenarbeiten, zum Beispiel bei der Verwirklichung der Neuen Seidenstraße. "Welthandel gegen Weltkrieg", nennt Krenz das ambitionierte Vorhaben. So enden seine Ausführungen doch versöhnlich, denn schließlich verstehe sich Putin mit seinem chinesischen Kollegen Xi gut. Das Verhältnis zwischen Moskau und Peking sei "besser als zu unserer Zeit". Früher war also doch nicht alles besser, und die Zuhörer können einigermaßen beruhigt nach Hause gehen.
Quelle: ntv.de