Sichere Herkunftsstaaten Im Bundestag werden die Grünen geschont
13.05.2016, 11:58 Uhr
Innenminister de Maizière nahm die Gegenargumente in seiner Rede vorweg.
(Foto: dpa)
Um die Zahl der Migranten aus dem Maghreb zu reduzieren, erklärt der Bundestag Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten. Für die Bundesregierung ist das eine "klare Ansage nach innen und außen".
Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der Bundestag die Einstufung der drei Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko als "sichere Herkunftsstaaten" beschlossen. Anders als man vielleicht hätte erwarten können, verschonten die Redner der anderen Parteien die Grünen in der Debatte, die der Abstimmung vorausgegangen war.
Denn die widersprüchliche Position der Grünen lädt ja eigentlich zu Kritik geradezu ein: Im Bundestag lehnen sie die Regelung ab, in Baden-Württemberg hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Zustimmung im Bundesrat in den Koalitionsvertrag geschrieben.
Der Grund für den freundlichen Umgang mit den Grünen dürfte diplomatischer Natur sein: Sie werden gebraucht. Ohne die Zustimmung von mindestens drei grün regierten oder mitregierten Ländern im Bundesrat hat das Gesetz keine Chance. Im Oktober 2015 hatten die meisten Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung der Einstufung der Balkan-Staaten Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zugestimmt – die von den Linken regierten oder mitregierten Bundesländer nicht.
De Maizière nimmt die Gegenargumente vorweg
Trotz der Festlegung ihrer Parteifreunde im Südwesten traten die Grünen in der Bundestagsdebatte auf, als sei eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Koalition völlig unvorstellbar. Die Abgeordnete Luise Amtsberg warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor, er wolle Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, obwohl er selbst erkenne, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gebe. Der Bundesregierung gehe es nicht um "die Menschen vor Ort", sondern um Innenpolitik.
Tatsächlich hatte de Maizière die Aussprache mit einem Eingeständnis eröffnet, das die wichtigsten Argumente der Opposition aufgriff, bevor diese überhaupt zu Wort gekommen war. Die Bundesregierung kenne natürlich die kritischen Fragen, die mit der Menschenrechtslage in diese Ländern verbunden seien, sagte de Maizière. Dabei wurde der CDU-Politiker sehr konkret: In Algerien bleiben Vergewaltiger straffrei, wenn ihr Opfer minderjährig war und sie es nach der Tat heiraten. In Marokko muss strafrechtliche Verfolgung fürchten, wer den Anspruch des Landes auf die annektierte Westsahara infrage stellt. In Tunesien stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe.

Volker Beck rief die SPD auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Seine Parteifreunde im Südwesten erwähnte er mit keinem Wort.
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Dies so deutlich zu sagen, war ein kluger rhetorischer Schachzug: Mehrfach leiteten die Redner der Linken und Grünen ihre Argumente mit der Formulierung ein, der Innenminister habe das ja schon gesagt.
"Mutmaßlich sichere Herkunftsländer"
De Maizières zentrales Argument war die sinkende Gesamtschutzquote – also die Zahl der anerkannten Asylbewerber aus diesen Staaten. Im ersten Quartal 2016 lag diese Quote bei 0,7 Prozent. Sollte heißen: Marokkaner, Algerier und Tunesier, die nach Deutschland kommen, wissen, dass sie kaum Chancen haben, als Flüchtlinge oder Asylbewerber eingestuft zu werden. Zugleich betonte der Innenminister, der individuelle Anspruch auf Asyl bleibe auch nach der Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten bestehen.
Auch Amtsbergs Vorwurf, der Bundesregierung gehe es nur um die Innenpolitik, nahm de Maizière vorweg. Der Bundesregierung gehe es mit dem Gesetzentwurf um "klare Ansagen nach innen und nach außen" – also um ein Signal an die Menschen in den Maghreb-Staaten, dass sie in Deutschland keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben, und an die Deutschen, dass die Bundesregierung die Zahl der Flüchtlinge weiter reduziert.
Ähnlich äußerte sich der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka: "Wenn wir Demokraten nicht klare Grenzen ziehen, überlassen wir das Feld den Rechtspopulisten und Fremdenfeinden." Der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann plädierte dafür, nicht von "sicheren Herkunftsländern" zu sprechen, sondern von "mutmaßlich sicheren Herkunftsländern", da es um eine "widerlegbare Vermutung der Verfolgungsfreiheit" gehe.
"Schwarzer Freitag für das Asylrecht"
Der Linken-Politiker Andrej Hunko sprach dagegen von einem "schwarzen Freitag für das Grundrecht auf Asyl in Deutschland", es sei "eine weitere Verstümmelung des Asylrechts". Hunko appellierte an die Grünen, das Gesetz im Bundesrat gemeinsam mit den Linken zu stoppen. "Es wird sehr wichtig sein, genau hinzuschauen, wie der Bundesrat im Juni entscheidet", sagte er.
Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck kritisierte, die Bundesregierung habe zwar zugesichert, dass die Regelung nur für Menschen aus Marokko mit marokkanischer Staatsangehörigkeit gelten solle – also nicht für die Sahrauis, die Bewohner der von Marokko besetzen Westsahara. Aber wie komme ein Sahraui nach Europa, fragte Beck. "Wenn er nicht durch Mauretanien flieht, muss er durch Marokko. Dann muss er sich einen marokkanischen Pass holen."
Die Grünen legten einen Entschließungsantrag vor, in dem sie forderten, dass Länder, in denen Homosexuelle verfolgt werden, grundsätzlich nicht zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden können. Dieser Antrag wurde nur von den Linken unterstützt und fand daher keine Mehrheit.
Bevor abgestimmt wurde, forderte Beck die SPD-Abgeordneten auf, dem Gesetz im Bundestag nicht zuzustimmen. Seine Parteifreunde im Südwesten erwähnte er mit keinem Wort.
Quelle: ntv.de