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Nächster Regierungschef stürzt Macron braucht jetzt die Linken - aber die sind wütend

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In französischen Medien kursieren Spekulationen, ob Macron einen neuen Premierminister aus dem linken Lager ernennen könnte.

In französischen Medien kursieren Spekulationen, ob Macron einen neuen Premierminister aus dem linken Lager ernennen könnte.

(Foto: picture alliance / abaca)

Die Blockade bei den Haushaltsverhandlungen bringt Macron in Bedrängnis. Nach nur neun Monaten Amtszeit stürzt mit Bayrou der nächste Premierminister in Paris. Mithilfe der Linken könnte sich der Präsident aus der Sackgasse manövrieren - er muss sie vorher aber milde stimmen.

François Bayrou versuchte, die Ruhe zu bewahren. Aber es fiel ihm schwer. Zwischenrufe störten seine Regierungserklärung im französischen Unterhaus. Kaum einen Satz konnte der französische Premierminister zu Ende bringen, ohne dass Abgeordnete des linken und rechten Lagers dazwischenfunkten. Bayrou versuchte, es mit Humor zu nehmen. "Wenn Sie schreien, dann trinke ich", sagte er milde lächelnd und prostete der Nationalversammlung zu. Wer genau hinschaute, sah jedoch die zitternden Hände Bayrous, wenn er die Blätter auf seinem Pult sortierte.

Die aufgeheizte Stimmung ließ bereits erahnen, was wenige Stunden später folgen würde: Bayrou verlor die Vertrauensfrage, die er den Abgeordneten gestellt hatte. Es war ein Scheitern mit Ansage. Dass er höchstwahrscheinlich gestürzt werden würde, war Bayrou bewusst. Die Alternative wäre gewesen, seinen Budgetplan zur Abstimmung zu stellen. Der Entwurf sah Einsparungen von 44 Milliarden Euro vor, um den maroden französischen Staatshaushalt zu sanieren. Doch keine der politischen Parteien außerhalb des zentristischen Lagers signalisierte dafür ihre Zustimmung. Bayrou ging lieber, statt ihnen fiskalische Zugeständnisse zu machen.

Besonders bemerkenswert: Die größten Störenfriede während Bayrous Rede kamen nicht etwa aus dem rechten Block des Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen, sondern aus den Reihen der Linken. Am lautesten schrien Abgeordnete der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI). Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet versuchte, sie mehrmals zur Ordnung aufzurufen. Ohne Erfolg.

PS bietet sich als Partner für Macron an

Dabei braucht Präsident Emmanuel Macron ausgerechnet die Linken, um eine neue Regierung zu bilden, die länger als einige Monate hält. Bayrous Regierung war neun Monate im Amt, die davor nur drei. Im Streit um die Lösung für das Haushaltsdefizit haben sich die Zentristen in Macrons Minderheitsregierung mit den Linken und Rechten überworfen. Jetzt muss Macron einen neuen Premierminister finden, dem es gelingt, unter den Abgeordneten verschiedener Lager Verbündete zu finden. Dafür bieten sich momentan vor allem die Linken an, wenn auch nicht die Populisten von La France insoumise.

Im linken Spektrum kann die gemäßigte Parti socialiste (PS) ein Partner werden, um mit einer neuen Regierung doch noch einen Haushaltsentwurf zu verabschieden. Auch die Sozialisten fordern Einsparungen, allerdings mit 22 Milliarden Euro nur die Hälfte der Summe, die Bayrou vorschwebte. Dass die Vorstellungen weit auseinanderlagen, wurde während der Debatte in der Nationalversammlung offensichtlich.

Bayrou inszenierte die Vertrauensfrage als Abstimmung über die Zukunft des französischen Staats, der unter seiner Schuldenlast bald zusammenbrechen würde. Er verteidigte seinen Budgetplan als einziges Mittel, "damit Frankreich in einigen Jahren der unaufhaltsamen Schuldenflut entkommen kann, die es in vier Jahren erdrücken wird". Das Überleben des Landes stehe auf dem Spiel, sagte Bayrou. "Ein Land, das nicht in der Lage ist, seine öffentlichen Finanzen auszugleichen, ist ein Land, das sich selbst aufgibt", fügte er hinzu.

Sozialisten wollen Superreiche stärker besteuern

Frankreichs Schuldenstand erreicht inzwischen knapp 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nächstes Jahr muss Frankreich 66 Milliarden Euro allein an Zinsen zahlen. Im vergangenen Jahr erreichte das Haushaltsdefizit fast das Doppelte des EU-Limits von drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Der erneute Sturz des Premierministers dürfte die nach Deutschland zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone noch weiter in die Krise treiben.

Bayrous Sparprogramm für die Sanierung des Haushalts trägt eine eher neoliberale Handschrift. Geld soll gespart werden durch den Abbau von Stellen im Öffentlichen Dienst, die Senkung der Sozialausgaben, das Einfrieren der Gehälter von Staatsbediensteten und die Abschaffung von Feiertagen. Zudem soll eine "Solidaritätsabgabe" für Gutverdiener eingeführt werden.

Die Vision der Sozialisten ist eine andere. Sie wollen durch die Besteuerung von Reichen mehr Geld in die Staatskasse spülen. Dabei zielen sie vor allem auf Hunderte Vermögende in Frankreich, die mehr als 100 Millionen Euro an Kapital besitzen. Zudem fordern sie, einige Steuererleichterungen für Unternehmen zurückzuziehen und das Rentenalter wieder abzusenken - also im Grunde eine Korrektur von Macrons Gesetzen.

Melénchon radikalisiert sich zunehmend

Entsprechend unversöhnlich gab sich der sozialistische Fraktionsvorsitzende Boris Vallaud bei der Debatte vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage. Für Vallaud "gibt es nur eine Person, die für die Krise, das Debakel und die Unordnung in unserem Land verantwortlich ist: den Präsidenten der Republik und mit ihm seine blinden Anhänger, deren erster Apostel Sie, Herr Premierminister, sind." Macron habe dem Land weiter geschadet, die Armen verarmen lassen, die Reichen bereichert und der Zukunft den Rücken gekehrt.

So leicht lassen sich die fiskalischen Vorstellungen der Sozialisten und der Zentristen also nicht vereinen. Die PS könnte sich aber auf das Lager des Präsidenten zubewegen - um sich von La France insoumise zu distanzieren. Der LFI-Vorsitzende Jean-Luc Mélenchon driftet immer weiter ins linksradikale Spektrum ab. Mélenchon verachtet nicht nur die Europäische Union und die Nato. Er schloss sich auch der neuen Protestbewegung gegen die Sparpläne an, die ihrem Ärger über die Regierung mit ungewöhnlichen Aktionen Luft machen will - etwa durch Blockaden von Bahnhöfen und Konsumverzicht. Beobachter befürchten Ausschreitungen.

Zudem wird Mélenchon von seinen Kritikern auch vorgeworfen, Vorurteile gegen Juden zu schüren. Das zeigte sich bereits nach den Präsidentschaftswahlen 2022. Damals verprellte Mélenchon sogar Bündnispartner mit seinen antisemitischen Äußerungen. Allerdings gewann seine Partei im linken Lager die meisten Sitze bei den Neuwahlen vergangenes Jahr. Melénchon versucht seither, sich zur Führungsfigur des Wahlbündnisses linker Parteien aufzuschwingen, was der PS sauer aufstößt.

Macron lehnt Rücktritt ab

Wut machte sich im gesamten linken Lager breit, als Macron beschloss, es bei der Ernennung seiner letzten beiden Premierminister zu ignorieren - obwohl die Linken bei den Neuwahlen im vergangenen Jahr die meisten Stimmen holte. Dennoch böte die Zusammenarbeit mit Macron den Sozialisten jetzt Vorteile. Sie hätten die Gelegenheit, sich als staatstragende Partei zu zeigen, die im Haushaltschaos für Stabilität sorgt. In französischen Medien kursieren bereits Spekulationen, ob Macron einen neuen Premierminister aus dem linken Lager ernennen könnte. Fraktionschef Vallaud forderte Macron jedenfalls auf, Bayrou durch einen Regierungschef aus den Reihen der Linken zu ersetzen. Zumindest scheint Macron momentan einen Regierungschef zu suchen, der die Hand nach den Sozialisten ausstrecken könnte.

Macron könnte wieder Neuwahlen ausrufen, würde laut Umfragen damit aber vermutlich ein ähnliches Ergebnis wie vor einem Jahr erreichen - mit drei gleich großen Lagern in der Nationalversammlung. Damit wäre weder den Linken noch den Zentristen gedient, weshalb sich eine Zusammenarbeit anbieten würde.

Eine weitere Option wäre der Rücktritt Macrons vor dem Ende seiner Amtszeit 2027. Dies lehnt der Präsident kategorisch ab. Gemäß der französischen Verfassung darf Macron nicht wieder antreten. Die Frage nach Macrons Nachfolge bestimmt bereits die Geschicke der Fünften Republik. Denn die Präsidentschaftswahl spielt eine Rolle bei der Blockade der Haushaltsverhandlungen in der Nationalversammlung. So hatten sich Le Pen und der RN einst bei der Gesetzgebung gegenüber Macrons Lager zeitweise kooperativ gezeigt.

Le Pen steht juristisch unter Druck

Le Pen ging jedoch zur Fundamentalopposition über, als sie selbst durch juristische Verfahren unter Druck geriet. Wegen Veruntreuung von EU-Geldern verurteilte ein Gericht sie im März zu einer Haftstrafe und dem Ausschluss von Wahlen. Le Pen fechtet das Urteil juristisch an. Am heutigen Montag wurde der Termin für das Berufungsverfahren bekannt gegeben, das am 13. Januar 2026 starten soll.

Im Juni hatte Le Pen erstmals öffentlich erwogen, dass an ihrer Stelle auch ihr politischer Zögling, der 29 Jahre alte Jordan Bardella, antreten könne. Solange das Berufungsverfahren nicht abgeschlossen sei, wolle sie mit ihm gemeinsam Wahlkampf machen, sagte sie. Nach Umfragen würde jeder der beiden derzeit die erste Runde der Präsidentschaftswahlen gewinnen.

Im linken Lager scheint sich der frühere Präsident François Hollande auf einen neuen Präsidentschaftswahlkampf einzustellen. Während seiner Amtszeit zwischen 2012 und 2017 war Hollande jedoch laut Umfragen einer der unbeliebtesten Präsidenten in der Geschichte Frankreichs. Auch Bayrou dürfte die Vertrauensfrage mit Blick auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur gestellt haben. Kritiker werfen Bayrou vor, er wolle durch den von ihm herbeigeführten Sturz einigermaßen unbeschadet aus dem Amt scheiden, um 2027 für die Zentristen anzutreten.

Quelle: ntv.de

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