Politik

EU bereitet Sanktionen vor Polen wirft Belarus Staatsterrorismus vor

Kanzlerin Merkel hofft auf eine "humane" Lösung.

Kanzlerin Merkel hofft auf eine "humane" Lösung.

(Foto: picture alliance/dpa/BelTA)

In den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze hungern, frieren und sterben Menschen. Sie reisten dorthin mit Unterstützung der Regierung in Belarus, lautet der Vorwurf aus der EU. Mit der Situation beschäftigt sich der UN-Sicherheitsrat, Kanzlerin Merkel fordert eine "humane Lösung".

Angesichts steigender Zahlen von Menschen an der östlichen EU-Außengrenze bereiten die EU-Staaten den Boden für Sanktionen gegen beteiligte Fluggesellschaften. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte nach Beratungen mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington: "Wir teilen absolut die Einschätzung, dass es sich um einen hybriden Angriff eines autoritären Regimes handelt, mit dem versucht wird, demokratische Nachbarn zu destabilisieren." Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warf der belarussischen Führung in Minsk Staatsterrorismus vor.

Die Lage an der Grenze soll am morgigen Donnerstag den UN-Sicherheitsrat beschäftigen. Frankreich, Estland und Irland beantragten die Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums für den Nachmittag in New York, heißt es aus Sicherheitskreisen. Der Rat soll hinter verschlossenen Türen tagen.

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine humane Lösung für die Lage an der Grenze zu Belarus gefordert. Man müsse das Problem so lösen, "dass es human zugeht", sagte sie vor Gesprächen mit den Regierungschefs von Portugal und Lettland, António Costa und Krisjanis Karins, in Schloss Meseberg nördlich von Berlin. "Das tut es im Augenblick leider nicht", ergänzte sie.

"Staatliches Schleuser- und Schleppertum"

"Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, dass die EU ihre Außengrenzen schützen kann." Merkel dankte Polen, Lettland und Litauen für den Schutz der EU-Außengrenze. Sie habe in einem Telefongespräch den russischen Präsidenten Wladimir Putin gebeten, auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko einzuwirken. "Denn hier werden Menschen benutzt. Sie sind Opfer einer menschenfeindlichen Politik. Dagegen muss etwas unternommen werden." Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: "Was da von der Regierung in Minsk, dem Regime in Minsk veranstaltet wird, ist natürlich staatliches Schleuser- und Schleppertum."

Der Führung in Belarus wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu Polen zu bringen. Die Vermutung ist, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat. Das neue EU-Sanktionsinstrument, das etwa gegen Fluggesellschaften oder Reiseveranstalter zum Einsatz kommen könnte, soll nach Angaben von Diplomaten bereits am kommenden Montag bei einem EU-Außenministertreffen formell beschlossen werden.

Im nächsten Schritt könnten dann konkrete Strafmaßnahmen verhängt werden. Von der Leyen sagte in Washington: "Wir werden unsere Sanktionen gegen Belarus Anfang nächster Woche sehr schnell ausweiten." Es werde Lukaschenko nicht gelingen, die EU-Demokratien zu destabilisieren. "Wir werden unsere Demokratien schützen." Die Kommissionspräsidentin sprach von "einer Herausforderung für ganz Europa".

Die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze ist angespannt. Mehrere Gruppen von Migranten durchbrachen nach polnischen Medienberichten vom Dienstagabend die Grenze von Belarus nach Polen. Zahlreiche weitere Menschen kampieren demnach auf belarussicher Seite im Grenzgebiet. Diese Angaben lassen sich derzeit kaum verifizieren, der Zugang zur Grenze ist abgeriegelt.

"Hetzerische Rhetorik" angeprangert

Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen. Ein dpa-Journalist, der im Grenzgebiet unterwegs war, erhielt eine englischsprachige Push-Nachricht des polnischen Innenministeriums, die offenbar weiträumig verschickt wurde und auf Migranten abzielte: "Die polnische Grenze ist abgeriegelt. Die belarussischen Behörden haben Ihnen Lügen erzählt. Gehen Sie zurück nach Minsk!"

Trotz der immer schärferen Sicherung der EU-Außengrenzen kommen weiter Hunderte Flüchtlinge auf der Route über Belarus und Polen nach Deutschland. Seit Anfang November registrierte die Bundespolizei insgesamt 1246 unerlaubte Einreisen mit Bezug auf Belarus, wie die Behörde mitteilte. Seit Jahresbeginn waren es inzwischen 9087. Über Belarus kommen seit dem Sommer vor allem Iraker, aber auch Syrer, Afghanen und andere Nationalitäten.

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Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte prangerte die verstärkte Truppenpräsenz und die "hetzerische Rhetorik" im Konflikt an der Grenze an. Sie sei entsetzt, dass Migranten und Flüchtlinge in verzweifelter Lage bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ihrem Schicksal überlassen würden, teilte Michelle Bachelet in Genf mit. "Ich beschwöre die beteiligten Länder, umgehend Schritte zu unternehmen, die die Lage deeskalieren und die nicht hinnehmbare Situation lösen". Bachelet rief zudem dazu auf, humanitäre Helfer in die Gebiete vorzulassen, ebenso Anwälte, Journalisten und andere Angehörige der Zivilgesellschaft. Das internationale Recht schreibe vor, dass niemand davon abgehalten werden dürfe, Asyl zu beantragen oder Schutz zu suchen.

Polen erwägt laut Regierungssprecher Piotr Müller, die Grenze zu Belarus komplett zu schließen. Dies werde als Option in weiterreichenden Szenarien berücksichtigt, sagte er im Interview mit dem Portal "Wirtualna Polska". Die belarussischen Behörden seien informiert worden, dass eine solche Möglichkeit bestehe, wenn sie ihre Aktivitäten nicht einstellten. Eine Rückmeldung von belarussischer Seite habe es dazu bislang nicht gegeben.

Quelle: ntv.de, ses/dpa

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