Politik

Sprechstunde beim Präsidenten Putin isst gern Brei

Bereit zum TV-Talk: Wladimir Putin und Moderatorin Waleria Korabljowa.

Bereit zum TV-Talk: Wladimir Putin und Moderatorin Waleria Korabljowa.

(Foto: REUTERS)

Einmal im Jahr wird aus Wladimir Putin der Late-Night-Talker der Nation. Der Präsident stellt sich den Fragen der Russen. Die sind teilweise absurd, manchmal ziemlich privat und oft erstaunlich kritisch.

Ganz Russland schaut zu. Präsident Wladimir Putin bittet zum "heißen Draht", der Bürger-Sprechstunde im russischen Fernsehen, die es seit 2001 gibt. Dramatische Musik erklingt, Putin betritt den Teil des Fernsehstudios, der einem Callcenter gleicht. Bis zum Start der Sendung sind mehr als eine Million Fragen eingegangen. Putin weiß genau, was ihn erwartet, es ist seine 14. Sprechstunde. Das Format hat sich bewährt. Bietet es Putin doch die Möglichkeit, sich als modernen und bürgernahen Regierungschef zu präsentieren. Als Politiker, der auch unangenehme Fragen nicht scheut.

Gleich die erste Frage ist kritisch. Ekaterina, per Video aus Omsk zugeschaltet, beklagt den schlechten Zustand der Straßen. Es gebe überall Schlaglöcher, die Autos gingen kaputt. Der Präsident wirkt nicht überrascht. Noch gestern habe er sich damit befasst. Putin, der Kümmerer, verspricht Besserung. Zum 300. Geburtstag der Stadt in diesem Jahr solle die Stadt - natürlich - in gutem Zustand sein. Die Moderatoren führen Putin in den zweiten Teil des Studios. Die Zuschauer erheben sich und klatschen. Putin nimmt an einem Tisch Platz und sieht jetzt ein bisschen aus wie ein Late-Night-Moderator. Weiter geht's.

Die zweite Frage kommt von Ludmilla aus Moskau. Sie habe immer 5000 Rubel pro Woche für Essen ausgegeben, jetzt seien es 10.000. Ständig höre sie, die Krise sei beendet. Wo stehe die Wirtschaft, Schwarz oder Weiß, fragt sie. "Grau", sagt Putin. Es gebe positive Entwicklungen, die Landwirtschaft sei um drei Prozent gewachsen. Klingt doch ganz gut. Tatsächlich ist die Situation schwierig. Das Land steckt in der Rezession. Hohe Inflation, teure Kredite, der Ölpreis niedrig. Umfragen zufolge fehlt 39 Prozent der Russen das Geld, um sich ausreichend Lebensmittel und Kleidung zu kaufen. Der Moderator wechselt zu einem angenehmeren Thema. Syrien. Die Erfolge Russlands würden weltweit anerkannt. Putin lacht.

Putin kommt auf jeden Fall

Doch die Krise wird der Präsident nicht los. Dmitri, ein vierfacher Familienvater aus dem Ural, hat seit Monaten kein Gehalt bekommen. Eine Frau ärgert sich am Telefon über die teuren Medikamente. Putin antwortet ausführlich. Kritische Zwischenfragen muss er nicht befürchten. Am Ende verspricht er, die Regierung werde sich kümmern. Ortswechsel auf die Krim, auf die Baustelle zur geplanten Brücke von Kertsch. Die soll eines Tages die annektierte Halbinsel mit dem russischen Festland verbinden und das Versorgungsproblem lösen. Die russische Straßenbehörde hatte erst in dieser Woche erklärt, dass die 19 Kilometer lange Brücke erst Ende 2019 in Betrieb genommen werden könne. Die Krim müsse wirtschaftlich unabhängig sein, man bereite sich auf die Urlaubssaison 2016 vor, alle Russen sollten kommen, sagt eine Frau auf der Baustelle in das Mikrofon. "Ich komme auf jeden Fall. Danke für die Einladung", sagt Putin und lacht.

Am liebsten spricht der Präsident über Außenpolitik und über die Probleme der anderen, etwa über die Türkei. Die Türken seien ein freundliches Volk, sagt Putin, man habe nur Probleme mit manchen Politikern. Die Regierung kooperiere mit Terroristen. Putin rät seinen Landsleuten von Reisen in das bei Russen eigentlich beliebte Land ab. Urlaub in der Türkei sei gefährlich, weil es ständig Terrorakte gebe und die Regierung die Sicherheit nicht gewährleisten könne. Ob er zuerst den türkischen Präsidenten Erdogan oder den ukrainischen Präsidenten Poroschenko vor dem Ertrinken retten würde? Wenn jemand ertrinken wolle, könne man ihn nicht retten, entgegnet Putin kühl.

Eine Stunde ist geschafft, da gibt es Neuigkeiten aus Omsk. Die hiesige Gebietsleitung verspricht, bis zum 1. Mai 21 schlechte Straßen in Ordnung bringen zu wollen. Putin schaut zufrieden. Die TV-Sprechstunde erlaubt es ihm, sich als Problemlöser zu inszenieren. Umfragen zeigen, dass die Russen ihre Politiker und auch die Regierung vielfach für korrupt halten, der Präsident davon aber nicht betroffen ist. Das Volk liebt Putin.

"Obama ein anständiger Mensch"

Die Nachfrage bei der TV-Sprechstunde ist entsprechend groß. 2500 Anrufe pro Minute, 8000 SMS, die meisten bemühen sich vergeblich. Putin kann sich an diesem Tag auch von seiner menschlichen Seite zeigen. "Meine Frau hat mich gebeten, Ihnen danke zu sagen für Ihre Arbeit", sagt ein Zuschauer. Putin bedankt sich. Wann er die neue "First Lady" vorstellen werde, fragt eine Anruferin den Präsidenten, der sich von seiner Frau getrennt hat. "Ich bin zufrieden, mir geht es gut", antwortet Putin. Viel mehr mag er nicht sagen. Nur so viel: "Irgendwann werde ich Ihre Neugierde befriedigen können."

Putin stellt sich auch Fragen von Kindern. Was für drei Wünsche er an einen Goldfisch richten würde, will die 11-jährige Angela wissen. Putin rät, man solle sich lieber selbst anstrengen, als sich auf einen Goldfisch zu verlassen. Die Zuschauer klatschen. Ein Junge fragt den Präsidenten, ob er auch gezwungen werde, zum Frühstück Brei zu essen. Putin muss grinsen. Er esse jeden Morgen Brei. Je weniger Zähne man habe, desto mehr möge man Brei. Gelächter im Studio. Aber auch kritische Fragen kommen nicht zu kurz. Ein Studio-Zuschauer moniert, dass hunderte Krankenhäuser und Kindergärten geschlossen würden. Ein Mann fragt, was es nutze zu wählen, wenn Putins Partei Geeintes Russland eh gewinne. "Niemand zweifelt an der Effektivität der Arbeit der Wahlbehörde", entgegnet Putin. Als ein Fragesteller die ständig gleichen Gesichter in der Politik moniert, verweist der Präsident auf die USA, auf die Bushs und die Clintons. "Da gab es auch keine Veränderungen."

Auch der Konflikt in der Ukraine ist Thema. Putin geht nicht davon aus, dass die Sanktionen des Westens bald aufgehoben werden. Im Hinblick auf das Minsker Abkommen sagt er, Russland habe alle Forderungen erfüllt. Nicht ohne Genugtuung spricht Putin über die Ukraine. Über die Inflation von mehr als 40 Prozent im Nachbarland. Über die Macht der Oligarchen, die seit dem von Russland bekämpften Machtwechsel noch zugenommen habe.

Überraschend lobende Worte findet Putin für Barack Obama. Der US-Präsident hatte die Militärintervention in Libyen kürzlich als seinen größten Fehler bezeichnet. Obama sei ein anständiger Mensch, sagt Putin gönnerhaft. Der 63-Jährige gibt geduldig Auskunft bis zur letzten Frage. Dann erfahren die Zuschauer, dass ihr Präsident obszöne Flüche verwendet. "Ja, aber nur über mich selbst", gesteht er. Auch das letzte Wort gebührt Putin. Nach mehr als dreieinhalb Stunden verspricht er den Russen, alles dafür zu tun, "dass wir mehr glückliche Tage haben", sagt danke und verabschiedet sich.

Quelle: ntv.de

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