Politik

Koalition droht Krach im Krieg Scholz' Ansagen haben Sprengkraft für die Ampel

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Sind nach drei Monaten im Amt schon mit einem möglichen Weltkrieg befasst: Baerbock, Habeck, Scholz und Lindner.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit seiner Ankündigung eines 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens überrumpelt Kanzler Scholz die Koalitionspartner und die eigene Partei. Auch wenn ihm die SPD erstmal folgen will, könnten Scholz Ansagen das Fundament der Ampel erschüttern.

Es war eine historische Kehrtwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Sonntag im Bundestag verkündete: Deutschland rüstet auf, rüstet sich für eine dauerhafte Auseinandersetzung mit einer aggressiven politischen Führung Russlands. Die von Scholz beschworene "Zeitenwende" rief ein weltweites Echo hervor, die verteidigungspolitische Neuausrichtung der Bundesrepublik bezeichnete auch die "New York Times" als historischen Schritt. Und in Deutschland? Da ist die Sache längst nicht ausgemacht, denn sowohl Art und Weise der Scholz-Ankündigungen als auch ihr Inhalt stellen den Zusammenhalt der Ampelkoalition auf die Probe.

"Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal - das kostet viel Geld. "Wir werden dafür ein Sondervermögen 'Bundeswehr' einrichten", sagte Scholz. Im gut gefüllten Plenum lauschten die Parlamentarier konzentriert, zumindest die Spitzen der Regierungskoalitionen waren bis zu diesem Punkt hin eingeweiht in die Pläne des Bundeskanzlers. Dann der Paukenschlag: "Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten." Unruhe in den Regierungsfraktionen, auch deren Spitzen tauschten fragende Blicke aus.

Wer alles von dieser gewaltigen Summe vorab wusste, ist auch drei Tage später noch unklar. Sicher ist nur, dass Finanzminister Christian Lindner zu den Co-Architekten des Vorhabens gehört. Schwer vorstellbar, dass dann nicht auch zumindest Vize-Kanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock eingeweiht waren. Das aber wirft die Frage auf, warum sie Scholz die Parteispitzen der Grünen überrumpeln ließen. Weder die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Hasselmann noch die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang wussten, welch gewaltige Hausnummer da kommen würde. Scholz wird sich dagegen bei der Parteiführung abgesichert haben und Lindner ist ohnehin Vorsitzender seiner Partei.

Scharfe Kritik der Grünen Jugend

Kritik kommt bislang nur zurückhaltend auf, am schärfsten äußert sich die in der Grünen-Fraktion stark vertretene Grüne Jugend: "Ich habe schon das Gefühl, dass ein Stück weit eine gesellschaftliche Verunsicherung und berechtigte Angst vor Krieg genutzt wird, um sehr weitreichende Maßnahmen zu beschließen", sagt deren Co-Vorsitzender Timon Dzienus im Gespräch mit ntv.de. "Ich finde das vom Stil her fragwürdig und halte das auch nicht für angebracht." Dzienus besteht darauf, die Fragen einzeln zu debattieren, keine Entscheidung übers Knie zu brechen und lehnt ein im Grundgesetz verankertes Sondervermögen ab.

Bei Grünen-Chefin Ricarda Lang, bis vor drei Jahren selbst noch Sprecherin der Parteijugend, klingt die Kritik vorsichtiger durch. Ihre Partei stehe wegen des russischen Angriffskrieges "vor der Aufgabe, auch alte Gewissheiten zu hinterfragen". Ihre Partei sei nicht um jeden Preis pazifistisch: "Friedenspolitik ist nicht die Ablehnung jedes militärischen Mittels", stimmt Lang ihre Partei milde auf Veränderungen ein. Doch auch sie interpretiert Scholz' Ankündigungen erstmal als Vorschläge: "Wir sind uns einig, dass die Verteidigungsausgaben steigen müssen." Der Rest steht zur Verhandlung.

Scholz überzeugt die Fraktion

Auch der zweiten von drei Parteien im Ampelbund, die sich als Abrüstungskraft versteht, versetzte die Scholz-Rede einen mittelschweren Schock. Im Imbiss neben dem Plenarsaal, der einzigen Futterquelle während der ersten Bundestagssitzung an einem Sonntag, ist den Sozialdemokraten die Verwirrung über die handstreichartige Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik anzumerken. Scholz nimmt sich deshalb auch am Dienstag fast zwei Stunden Zeit für seine Fraktion, hält eine ausführliche Ansprache, in der er Erwägungen und Entscheidungsabläufe erläutert.

Mit Fraktionschef Rolf Mützenich stellt sich ein anerkannter Friedenspolitiker hinter die Entscheidungen des Kanzlers. In der Aussprache gibt es vor allem Lob, wenig Unmut. Scholz bleibt bis zum Ende zugeschaltet, erscheint 15 Minuten später als geplant zu seinem Abflug nach Israel. Die Parlamentarische Linke, der rund die Hälfte aller Abgeordneten angehören, erklärt hernach, dass sie sich hinter den Ausführungen von Scholz und Mützenich "voll versammelt". Und: "Die Errichtung eines Sondervermögens ermöglicht, dass andere wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag gesichert sind." So kann auch Parteichefin Esken am Mittwochmorgen bei ntv über Scholz-Pläne verkünden: "Die SPD steht da ganz klar an seiner Seite."

Immer Rücksicht auf die FDP

Einzig die Vorsitzende des SPD-Nachwuchses Jusos, Jessica Rosenthal, hatte bereits am Dienstag in der "Süddeutschen Zeitung" aufgemuckt: Die Summe von 100 Milliarden Euro habe sie "sehr überrascht" und stelle Fragen nach der Verwendung der Mittel. Es bringe nichts, "weitere Milliarden in einem schwarzen Loch zu versenken" Zudem stellt sich die relativ kleine SPD-Gruppe Forum Demokratische Linke quer: "Für eine gut ausgestattete Bundeswehr braucht es weder Sondervermögen noch weitere Milliarden", erklärt das Forum und kündigt an, sich dem vehement entgegenzustellen.

In dem noch überschaubaren Widerstand gegen zusätzliche Bundeswehr-Milliarden sowie gegen bewaffnete Drohnen und neue Atomwaffen-fähige Kampfjets steckt Sprengkraft für das ganze Ampelgefüge. Dass Scholz mit seinem Vorpreschen viele Akteure überrumpelt und so unter Druck setzt, sich - gerade in Kriegszeiten - hinter ihm einzureihen ist das Eine. Schwerer wiegt aber die Frage der Finanzierung: Denn der Kniff eines Sondervermögens ist dem dritten Partner geschuldet, der mit der Aufrüstung die wenigsten ideologischen Schwierigkeiten hat, der FDP.

Die Handlungsräume der Koalition, die gerade mit Blick auf die Energiewende, aber auch mit Blick auf soziale Vorhaben sehr ambitioniert gestartet ist, werden immer kleiner: Die im Anschub extrem teure Energiewende muss nun noch schneller vorankommen, während die Auswirkungen der steigenden Energiekosten auf Verbraucher und Unternehmen ebenfalls teuer abgefedert werden müssen. Nun kommen weitere Belastungen auf die deutsche Wirtschaft wegen der Russland-Sanktionen zu und niemand weiß, wie viele Menschen am Ende aus der Ukraine nach Deutschland fliehen müssen.

Schuldenbremse wieder Verhandlungsmasse

Die immer weiter steigende Ausgabenlast mit Sondervermögen und andere Umgehung trotz Schuldenbremse zu stemmen, ist auch für Bundesfinanzminister Lindner heikel. Auf Seiten von SPD und Grünen wird deshalb der Ruf nach einer Reform der Schuldenbremse ebenso laut wie eine neue Debatte, Vermögende stärker zu belasten. Auch die Union, deren Zustimmung zur Reform der Schuldenbremse gebraucht würde, wird sich in dieser Frage womöglich bewegen müssen, weil sie jetzt ja selbst für Aufrüstung und Erneuerbare ist.

So stehen auch plötzlich Glaubensgrundsätze der Liberalen zur Disposition, an denen die Koalitionsverhandlungen auch hätten scheitern können. SPD und Grüne hatten schließlich ein Einsehen, dass die FDP nur mit Schuldenbremse und ohne Mehrbelastung der Vermögenden ins Boot kommt. Doch wenn nun linke Sozialdemokraten und Grüne ihre Überzeugungen über Nacht über Bord werfen sollen, wird Scholz schwerlich umhinkommen, von der FDP dasselbe einzufordern. Andernfalls schaffen es seine vermeintlich historischen Ankündigungen des Kanzlers vielleicht nicht einmal als Fußnoten ins Geschichtsbuch.

Quelle: ntv.de

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