Politik

"Ist schon was" Scholz gibt den Optimisten und ignoriert die Konflikte

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"Das, glaube ich, hat's noch nicht gegeben, dass wir Sonntagnachmittag das Ergebnis haben und Dienstagnachmittag die Beschlüsse", sagt Olaf Scholz. In der Corona-Politik tritt er nicht als Antreiber zaudernder Ministerpräsidenten auf, sondern als Teamplayer. Nur das RKI stört die Einvernehmlichkeit. Und natürlich der alte Streit um die epidemische Lage.

Erst zwei Wochen ist es her, dass Olaf Scholz zum Kanzler gewählt wurde - man muss noch mal in den Kalender gucken, ob es wirklich erst zwei Wochen sind, denn in der Zeitrechnung der Pandemie fühlt es sich an wie zwei Monate. Als Angela Merkel ihm damals das Amt übergab, sagte er zu ihr, er wolle anknüpfen an die "nordostdeutsche Mentalität", die bisher im Kanzleramt geherrscht habe. "So viel wird sich da nicht ändern."

Bundeskanzler Olaf Scholz (M.), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Hendrik Wüst (NRW) und seine Co-Vorsitzende Franziska Giffey (Berlin).

Bundeskanzler Olaf Scholz (M.), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Hendrik Wüst (NRW) und seine Co-Vorsitzende Franziska Giffey (Berlin).

(Foto: dpa)

Nach allem, was bei der Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz vom Dienstag zu beobachten war, ist festzuhalten: Ein bisschen was will Scholz denn doch verändern.

Es ist Scholz' zweite Ministerpräsidentenkonferenz als Bundeskanzler und damit auch erst die zweite Corona-MPK ohne Merkel, und Scholz ist erkennbar bemüht, ein bisschen Aufbruch zu verbreiten. Mehrfach betont er, dass die Empfehlung des - von ihm gerade eingesetzten - Expertenrats die Grundlage für den Beschluss der Bund-Länder-Runde gewesen sei. Die gegenwärtige Situation beschreibt er als "eine seltsame Zwischenzeit": Die Infektionszahlen und selbst die Belegungen der Intensivstationen gingen zurück. "Wir bekommen die vierte Welle also langsam in den Griff."

Aber nun droht bereits "die Welle fünf", die neue Virusvariante. Omikron werde die Zahl der Infektionen massiv ansteigen lassen, "darauf müssen wir uns jetzt einstellen". Es sei nur eine Frage von wenigen Wochen, bis sich diese Virusvariante durchsetze.

Da stellt sich die Frage, warum die von den Länderchefs und ihm selbst beschlossenen Maßnahmen nicht schon zu Weihnachten gelten. Der Zeitpunkt nach Weihnachten sei bewusst gewählt worden, sagt Scholz, und hier wird ein erster Unterschied zu Merkel deutlich. Scholz mahnt, aber er inszeniert sich nicht als Antreiber von zögernden Ministerpräsidenten, sondern als Teamplayer. Zu seinem Team gehören letztlich alle, die dazugehören wollen. Die Erfahrungen der beiden vergangenen Jahre hätten gezeigt, sagt Scholz, dass Weihnachten und Ostern keine großen Pandemietreiber seien, weil die Familien sich verantwortungsvoll verhielten.

"Wir alle sind mürbe und müde"

Einen Schwerpunkt legt er darauf, Mitgefühl zu signalisieren. "Ich hätte Ihnen gerne erfreulichere Nachrichten kurz vor den Weihnachtsfeiertagen mitgeteilt", sagt er in die Kamera. "Diese Pandemie strengt uns alle an, wir alle sind mürbe und der Pandemie müde. Das hilft aber nichts. Wir müssen abermals zusammenstehen und auch in vielen Fällen Distanz halten."

Bei allen schlechten Nachrichten ist offensichtlich, dass er auch Optimismus ausstrahlen will. Die Impfkampagne werde "mit unverminderter Kraft" über die Feiertage fortgesetzt, das Ziel der 30 Millionen Impfungen bis Ende des Jahres werde erreicht, bis Ende Januar sollen weitere 30 Millionen Impfungen erfolgen. Ohne sich zeitlich festzulegen, strebt er als "Zwischenziel" eine Impfquote von 80 Prozent an, "und wenn wir das erreicht haben, müssen wir das nächste Ziel in den Blick nehmen".

Dass es hinter den Kulissen geknirscht hat, wird deutlich, als der amtierende MPK-Vorsitzende, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst, das Wort ergreift. Wüst weist darauf hin, dass das Robert-Koch-Institut kurz vor der MPK Empfehlungen vorgelegt hatte, "die mit den Auffassungen der Bundesregierung in einigen Teilen nicht übereinstimmen und über die Empfehlungen des Expertenrats hinausgehen". Es ist der Elefant im Raum. Anders als früher waren aus der Konferenz der Länderregierungschefs mit dem Kanzler nicht viele Zitate öffentlich geworden. Dieses schon: Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte gesagt, es sei "nicht ideal und nicht abgestimmt", dass das RKI kurz vor der Bund-Länder-Runde "maximale Kontaktbeschränkungen" gefordert hatte. "Man muss sicher nicht in jedem einzelnen Punkt die Auffassung des RKI teilen, aber es ist aus meiner Sicht wichtig, dass dem RKI der Respekt entgegengebracht wird, den es verdient", sagt Wüst dazu.

Scholz bleibt ungerührt

Die Informationspolitik "des Bundes im weitesten Sinne", also des Expertenrats und des RKI, das eine Bundesbehörde ist, sei "chaotisch" gewesen und habe zu Verunsicherungen geführt. "Das mag man auch kritisieren", so Wüst, "aber die Institution deshalb zu kritisieren, wie ich das teilweise aus Medienberichten entnommen habe, ist unangemessen". Deutlich wird: Hier geht es um Stilfragen, nicht um Inhalte.

Man kann nur darüber spekulieren, was das RKI bewogen hat, sein Papier an diesem Tag zu platzieren. Scholz verweist darauf, dass die Entscheidung des Expertenrats einstimmig erfolgt sei - einschließlich des Vertreters des RKI. Dass es RKI-Präsident Lothar Wieler selbst ist, der dem Gremium angehört, betont Scholz nicht extra. Er sagt nur, er sei "sehr dankbar" für die Arbeit des Instituts.

Als ein Journalist den Kanzler darauf anspricht, dass Wüst die Kommunikation des Bundes gerade chaotisch genannt hatte, sagt er so ungerührt wie Merkel in ihren besten Tagen: "Der Bund hat eine sehr gute Kommunikation organisiert." Er sei "sehr froh, dass wir jetzt genau das gemacht haben, was wir uns zusammen vorgenommen haben", nämlich die Empfehlung des Expertengremiums schnell umzusetzen. "Das, glaube ich, hat's noch nicht gegeben, dass wir Sonntagnachmittag das Ergebnis haben und Dienstagnachmittag die Beschlüsse. Ist schon was."

"Das war ein klarer Fehler"

Zu den Beschlüssen gehört, dass die Betriebe der kritischen Infrastruktur sich auf die durch Omikron drohenden hohen Krankenstände vorbereiten sollen. Das RKI arbeite derzeit eine Empfehlung aus, ob die Quarantäneregeln für Mitarbeiter solcher Betriebe - etwa Krankenhäuser, Energieversorger, Polizei und Feuerwehr - gelockert werden sollen, sagt Scholz.

Druck macht Wüst bei der Impfpflicht. Scholz habe im November gesagt, er rechne mit einer Umsetzung im Februar. "Das muss gelten." Ob die Impfpflicht so früh kommt, ist derzeit offen; die von der Ampelkoalition beschlossene Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal gilt erst ab Mitte März. Scholz bekräftigt allerdings, dass er eine allgemeine Impfpflicht auch unabhängig von Fortschritten bei der Impfquote für erforderlich hält.

Ein echter Konflikt tritt nur bei der Bewertung zutage, ob es ein Fehler der Ampel war, die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht zu verlängern. Auf eine entsprechende Frage sagt Wüst, das sei "ein klarer Fehler" gewesen - die Union argumentiert, durch diese Entscheidung fehle es den Ländern an Maßnahmen im Kampf gegen Corona, die Ampel hält dagegen, stattdessen seien ja neue Maßnahmen eingeführt worden. "Ich würde hier nicht von einem klaren Fehler sprechen", sagt denn auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die ihr Amt nur Stunden zuvor angetreten hat und nun zugleich stellvertretende MPK-Vorsitzende ist. Die Beendigung der epidemischen Lage sei "in einer anderen Lage entschieden" worden. Dann deutet sie an, dass es eine Rückkehr zur alten Regelung geben könne. Bei der nächsten MPK am 7. Januar werde man bewerten, wie "Omikron sich entwickelt hat". Den Ländern Baden-Württemberg und Sachsen ist das zu spät. In einer Protokollnotiz zum Beschluss merken sie an, dass sie die vereinbarten Maßnahmen "für nicht weitgehend genug" halten.

Von solchen Konflikten will Scholz nichts wissen: "Vielleicht ist es etwas, das neu wahrgenommen werden muss, aber wir handeln sehr einvernehmlich", sagt er. Ob das reicht, ist eine andere Frage. "Es sieht nach einer gewissen Augenwischerei aus, die über Weihnachten jetzt vielleicht die Leute noch mal beruhigen soll", hatte der Corona-Modellierer Thorsten Lehr vor der MPK über die sich abzeichnenden Beschlüsse gesagt. Er halte diese "für absolut nicht ausreichend".

Quelle: ntv.de

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