
Trump wettert wieder gegen die europäischen NATO-Mitglieder.
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Trump tönt im Wahlkampf gegen die NATO. Würde er als Präsident europäische Länder überhaupt verteidigen? Dahinter steht die Frage, warum Amerikaner mehr Steuergeld für Verteidigung ausgeben sollen als die Europäer. Aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht.
In einer Wahlkampfrede hat Donald Trump mal wieder einen seiner Wahlkampfschlager vom Stapel gelassen: die NATO und die mangelnde Zahlungsmoral der Europäer. Seine Botschaft war: kein Geld, kein Schutz. Wer nicht zahlt, könne im Falle eines russischen Angriffs nicht damit rechnen, dass die USA Beistand leisten. Das schlug wie üblich heftige Wellen dies- und jenseits des Atlantiks. US-Präsident Joe Biden nannte die Äußerungen "gefährlich, dumm und unamerikanisch". NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beeilte sich klarzustellen, dass die gegenseitige Beistandspflicht der Mitgliedsstaaten gilt.
Die Regeln der NATO sind eigentlich eindeutig: Wenn einer angegriffen wird, zum Beispiel von Russland, werden alle angegriffen - das ist der innerste Kern des Verteidigungsbündnisses, wie er in Artikel 5 des NATO-Vertrags niedergelegt wurde. Doch niemand kann einen NATO-Staat zwingen, seiner Bündnispflicht nachzukommen, auch die USA nicht - Vertrag hin oder her. Daher ist das gegenseitige Vertrauen nach innen und die Glaubwürdigkeit der Partner nach außen mitentscheidend für die Stärke des Bündnisses. Sicherheitsexperte Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, schrieb auf X: "Die USA unter einem Präsidenten Trump müssen die NATO nicht verlassen, um sie zu schwächen. Solche Sätze reichen."
Aber, ketzerisch gefragt - was haben die Amerikaner eigentlich von der NATO? Ist sie für die USA nichts als ein Zuschussgeschäft? Oder hilft sie auch ihnen?
Schutz
Die USA stellen Europa einen nuklearen Schutzschirm bereit. Konkret heißt das, sie würden auf einen Atombomben-Angriff beispielsweise von Russland mit einem nuklearen Gegenschlag reagieren. Das könnte in der gegenseitigen Vernichtung enden und soll so beide Seiten abschrecken. Doch auch Briten und Franzosen verfügen über Atomwaffen, dadurch wird die Abschreckung noch größer.
Allerdings sind die USA auch allein die größte Militärmacht aller Zeiten. Nie war ein Land in der Lage, so schnell und so umfassend an den Brennpunkten der Welt präsent zu sein und Militärschläge durchzuführen. Zumindest auf den ersten Blick scheinen die Europäer die USA mehr zu brauchen als umgekehrt. Doch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Recht, als er am Mittwoch sagte: Niemand führt Kriege allein. Selbst für die Supermacht sind viele Konflikte eine Nummer zu groß. Durch das Bündnis mit den anderen Staaten der NATO wachsen die Möglichkeiten dagegen noch weiter. Nicht zuletzt dadurch, dass sich in mehreren europäischen Staaten Standorte des US-Raketenabwehrsystems befinden.
Dass die Solidarität innerhalb der NATO funktioniert, zeigte sich nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 in New York und Washington. Damals wurde zum ersten Mal der Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen. Gemeinsam kämpften NATO-Verbündete in Afghanistan und bewiesen, dass die gegenseitige Beistandspflicht gilt.
Führung und Einfluss
Dass die Amerikaner mit rund 600 Milliarden Dollar deutlich mehr für Verteidigung ausgeben als die Europäer mit ihren jetzt rund 380 Milliarden, sichert ihnen auch die Führungsrolle in Fragen der internationalen Sicherheit. Das zeigt sich gerade am Beispiel der Ukraine. Die amerikanische Hilfe entscheidet maßgeblich darüber, ob das Land seinen Verteidigungskampf gegen die Russen fortsetzen kann. Dadurch ist ihnen Einfluss auf die Regierung in Kiew sicher. Mehr noch: Es war eine der häufig übersehenen Leistungen von US-Präsident Joe Biden, dass die NATO auf den russischen Überfall auf die Ukraine geschlossen reagierte. Wären die Europäer selbst hochgerüstet, hätten die Amerikaner diesen Einfluss nicht.
Durch die militärische Abhängigkeit der Europäer, aber vor allem das gegenseitige Vertrauen wird auch eine enge Zusammenarbeit in anderen Bereichen gefördert. Sei es bei Cyberbedrohungen, Pandemien, Massenmigration oder dem Klimaschutz. Weder China noch Russland verfügen über so ein Netzwerk. Man darf davon ausgehen, dass sie es gern hätten.
Machtprojektion und Reichweite
Dadurch, dass die militärische Stärke der NATO weltweit unübertroffen ist, haben die Amerikaner die Möglichkeit Macht "zu projizieren". Damit ist gemeint, dass ihr Wort überall großes Gewicht hat, weil sie im Ernstfall in der Lage wären, es militärisch zu untermauern. Die meisten Staaten Europas dabei hinter sich zu wissen, multipliziert diese Möglichkeiten. Das gilt beispielsweise auch für gemeinsame Sanktionen der USA und europäischer Staaten, auch wenn diese formell außerhalb der NATO erlassen werden.
Dass die Amerikaner über mehrere Basen in Europa verfügen, ermöglicht diese Machtprojektion erst. Ob Ramstein in Deutschland, Aviano (Italien), Rota (Spanien), Souda Bay (Griechenland) oder Incirlik (Türkei) - nur dank dieses europäischen Netzes verfügen die USA über eine Infrastruktur, die schnelle Einsätze beispielsweise im Nahen Osten möglich macht. Grundlage dafür ist die NATO. Gäbe es die Allianz und ihr Schutzversprechen nicht, hätten die Staaten weniger Anreize, den Amerikanern Stützpunkte und entsprechende Überflugrechte zu gewähren. Auch durch solche Basen gewinnen die US-Truppen an globaler Reichweite.
Training und Ausbildung
Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig es ist, gleichzeitig zu Lande, zu Wasser und in der Luft kämpfen zu können, also mit kombinierten Waffen vorzugehen. Die Ukrainer sind dazu mangels Material nicht in der Lage, die Russen ebenso wenig. Beide Seiten schaffen es nicht, die Lufthoheit zu erlangen. Die Amerikaner haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ihre Fähigkeit dazu demonstriert und sich in der Regel überall militärisch durchgesetzt - auch wenn es im Irak oder in Afghanistan nicht gelang, dauerhaft Frieden zu schaffen. Ihre exzellente Ausbildung haben die US-Truppen auch der NATO zu verdanken. Zu ihr gehören ausgiebige Manöver, in dem große und kleine Operationen mit den Verbündeten trainiert werden.
Rüstungsexporte
Die Größe der US-Armee wäre ohne eine entsprechende Rüstungsindustrie nicht denkbar. Der "militärisch-industrielle Komplex" wird vielfach kritisiert - ist aber nicht zuletzt ein wichtiger Wirtschaftszweig im eigenen Land. Die NATO-Partner sind dabei natürliche Abnehmer amerikanischer Rüstungsgüter. Sei es die F-16, die noch heute in etlichen Staaten genutzt werden, oder aktuell die F-35A, die auch die Bundeswehr bestellt hat. Solche Waffenkäufe sind gewissermaßen Teil des Deals. Bundeskanzler Olaf Scholz verwies erst kürzlich auf die Bestellung der F-35-Kampfjets, die dazu dienen sollen, die sogenannte nukleare Teilhabe mit den USA fortzusetzen. Keine NATO, keine Bestellung.
Die NATO ist für die USA billiger als Krieg
Selbst wenn man sich auf Trumps Denkweise einlässt und sich vor allem auf das Finanzielle fokussiert, ist die NATO ein guter Deal für die USA. 2018 befragte der US-Senat den früheren US-NATO-Botschafter Nicholas Burns dazu, welchen Wert die NATO heute noch für die USA habe. Er wies darauf hin, dass die NATO entscheidend dazu beitrug, dass Europa die längste Friedenszeit seiner modernen Geschichte erlebt habe. Das sei wesentlich günstiger, als dort selbst Krieg zu führen.
Während des Ersten Weltkriegs hätten die USA 14,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben. Während des Zweiten Weltkriegs seien es 37,5 Prozent gewesen und im Korea-Krieg von 1950 bis 1953 immer noch 13,2 Prozent. Ob die USA nun zwei, drei oder vier Prozent für Verteidigung ausgeben - solche Summen sind nur ein Bruchteil dessen, was ein tatsächlicher Krieg kosten würde. Dass die Gefahr real ist, das bemüht sich Putin jeden Tag unter Beweis zu stellen.
Liegt Trump also komplett falsch?
Das alles bedeutet nicht, dass Trump mit seinen Tiraden ganz falsch liegt. Seine Kritik ist platt und in sich schräg - so gibt es natürlich gar keine "Rechnung", die die USA den NATO-Verbündeten vorlegen könnte. Jeder Staat kommt selbst für seine Armee auf. Doch er ist nicht der erste US-Präsident, der darauf dringt, dass die Europäer mehr in ihre Verteidigung investieren. Schon sein Vorgänger Barack Obama tat dies. Das hat damit zu tun, dass viele US-Experten mittlerweile in China den großen Kontrahenten sehen und die Kräfte mit Blick dorthin bündeln wollen. In einem scheinen sich allerdings alle Experten einig zu sein, auch die größten Befürworter der NATO: dass Deutschland mehr Geld in die Bundeswehr stecken soll. Denn jedes Bündnis zerbricht irgendwann, wenn die eine Seite das Gefühl hat, die andere Seite trägt nicht genug bei.
Quelle: ntv.de