IS ist im Irak nicht zu besiegen Und ewig kämpft der Westen
21.08.2014, 20:24 Uhr
Ein F18-Kampfjet der Vereinigten Staaten. Flugzeuge dieses Typs sind jetzt auch im Irak im Einsatz.
(Foto: REUTERS)
Luftschläge der US Airforce, panzerbrechende Waffen der Bundeswehr - die Vereinigten Staaten und Europa wollen die Dschihadisten-Gruppe IS aus dem Irak bomben. Doch so kann der Westen nur scheitern.
Der Kampf gegen die Dschihadisten-Gruppe IS erinnert an das naive Spiel eines Kindes mit einem Wasserbett. Das Kind drückt auf den Fuß des Bettes und freut sich, dass das Wasser weicht. Nur erkennt das Kind nicht, dass das Wasser nicht verschwindet. Es versteht nicht, dass es sich nur im Kopf des Bettes staut. Verringert das Kind den Druck dann, ist das Wasser plötzlich wieder da.

Die Bundeswehr wird wahrscheinlich panzerbrechende Waffen des Typs Milan in den Irak schicken.
(Foto: Reuters)
USA und EU konzentrieren all ihre Kraft im Kampf gegen IS derzeit auf den Nordirak. Washington lässt Luftangriffe fliegen. Paris, London und demnächst auch Berlin liefern Sturmgewehre und panzerbrechende Waffen an die Kurden in der Region. Dabei ist eines eigentlich offensichtlich: Stoßen die radikalen Muslime von IS im Nordirak auf zu heftigen Druck, weichen sie zurück nach Syrien, sammeln ihre Kräfte - und schlagen bei nächster Gelegenheit wieder zu.
"Wenn sich der Westen im Kampf gegen IS nur auf den Irak konzentriert, dann werden die Islamisten in Syrien umso stärker", sagt Bente Scheller vom Nahost-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. "Der Westen begeht einen strategischen Fehler." Die entscheidende Frage dabei ist: Sind USA und EU so naiv wie das Kind mit dem Wasserbett? Oder gibt es Gründe für ihre Strategie? Denn eines ist klar: IS besiegen können Washington und Berlin nur, wenn sie IS die Rückzugsräume nehmen, und die liegen zweifelsfrei in Syrien. Der mutmaßliche Hauptsitz von IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi befindet sich in Rakka, im Nordosten Syriens, nicht im Irak.
Der andere Völkermord
Spätestens beim Gedanken an mögliche Gründe dafür, dass der Westen nur bis zur syrischen Grenze bombt, nicht darüber hinaus, tritt ein Paradox hervor: Washington und Berlin rechtfertigen ihre militärischen Interventionen damit, Menschenleben im Irak zu schützen, die Leben von Kurden und Jessiden, Christen und anderen Minderheiten. Die Angst vor einem zweiten Ruanda oder Srebrenica ist groß. Doch auch in Syrien droht so etwas wie ein Völkermord, ist vielleicht sogar schon im vollen Gange. Erst Mitte August berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass IS-Kämpfer binnen zwei Wochen 700 Mitglieder des Stammes der Schaitat ermordet hätten. Es dürfte Washington und Berlin auch schwer fallen, den Syrern zu erklären, dass sie seit nunmehr drei Jahren mitansehen, dass Präsident Baschar al-Assad einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Nach Angaben der Vereinten Nationen fielen dem Regime zwischen März 2011 und Dezember 2013 mehr als 130.000 Menschen zum Opfer.
Warum USA und EU nicht gegen Assad vorgehen, ist hinlänglich bekannt: Wenn es nicht gerade um die eigene Einflusszone geht, lehnt Russland jede Intervention in das Handeln einer fremden Regierung ab. Und so verhindert Moskau mit seinem Veto-Recht bei den Vereinten Nationen alle Versuche der Staatengemeinschaft, etwas gegen Assads Morden zu unternehmen. Lediglich die USA lieferten vorrübergehend ein paar Waffen an die gemäßigten Rebellen.
Warum die Vereinigten Staaten und Europa zwar gegen IS im Irak, nicht aber gegen IS in Syrien vorgehen, ist etwas komplizierter. Ein Kampf gegen die Islamisten in Syrien setzt eines voraus: Der Westen müsste eine Allianz ausgerechnet mit dem Despoten Assad schließen. Die Rebellen in Syrien, die Freie Syrische Armee, ist mittlerweile schließlich so geschwächt, dass sie selbst mit massiven Waffenlieferungen aus dem Westen nichts gegen IS ausrichten könnte - zumal sie gleichzeitig noch gegen Assad kämpfen muss. Deshalb bleiben im Kampf gegen die Islamisten nur Luftschläge oder gar Bodeneinsätze von amerikanischen oder europäischen Truppen. Dafür ist aber die Zustimmung Assads nötig, will der Westen nicht zugleich in einen Krieg mit Damaskus schlittern. Und so würde eine Allianz entstehen, die dem Westen nicht besonders gut stünde. Dem weitgehend geächteten Assad käme sie nämlich gleich doppelt gelegen. Erstens versucht er gerade selbst, die Dschihadisten in Rakka mit Luftschlägen zu schwächen. Denn es ist auch IS und anderen radikalislamischen Organisationen zu verdanken, dass Damaskus den Widerstand in Syrien noch nicht ersticken konnte. Zweitens wäre so eine Allianz eine Chance für Assad, sich langsam aus der diplomatischen Schmuddelecke zu befreien. Sein Informationsminister Omran al Zobi sagte bereits Sätze wie: "Niemand kann den Terror allein bekämpfen." Er bot auch schon Kooperation bei militärischen Maßnahmen und der humanitären Hilfe im Irak an. Ausgerechnet Assad könnte sich dank des Westens so am Ende als Herrscher gerieren, der Minderheiten vor radikalen Islamisten schützt.
Drei Strategien, keine ist befriedigend
Was bleiben dem Westen also für Möglichkeiten? Die Grünen im Bundestag fordern, die Finanzierungsquellen von IS auszutrocken. "Dabei braucht es auch mehr Druck auf Staaten wie Saudi-Arabien und Katar, aus denen die IS massiv unterstützt wird", sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Doch Experten zweifeln bereits daran, dass es möglich ist, IS durch Druck auf diese Staaten wirklich zu schwächen. Laut dem Politikwissenschaftler Patrick Johnston von der Denkfabrik Rand Corporation hat IS sich nie auf Geldgeber aus dem Ausland verlassen. "Wir haben Hunderte von IS-Dokumenten untersucht, die Amerika und die irakische Armee seit 2005 erbeuten konnten, und wir haben keine Belege gefunden, dass IS sich je auf ausländische Finanziers verlassen hat."
IS finanziert sich laut Johnston vor allem durch die lokalen Märkte und Ressourcen seiner Eroberungen. Der Rand Corporation zufolge wird IS allein in diesem Jahr 100 bis 200 Millionen US-Dollar an Überschüssen erbeuten, die die Organisation nicht nur unabhängig machen, sondern ihr auch die Möglichkeit bieten, die Wirtschaft in den eroberten Regionen anzukurbeln.
Wenn Washington und Berlin sich nicht darauf verlassen wollen, dass regionale Mächte IS Einhalt gebieten, bleiben ihnen deshalb letztlich wohl nur drei Möglichkeiten, eine unbefriedigender als die andere. Sie riskieren einen Krieg mit Assad und dem Islamischen Staat - wegen Russland ohne UN-Mandat. Sie bilden eine schmutzige Koalition mit Assad, um die Welt vor einem noch schlimmeren Übel zu befreien. Oder sie tun das, was sich gerade abzeichnet: Sie stellen sicher, dass IS sich nicht allzuweit über die Grenzen Syriens hinaus ausbreitet. Sie drücken auf den Fuß des Wasserbettes, immer und immer wieder. Bis sie die Lust oder irgendwann die Kraft verlieren.
Quelle: ntv.de