Politik

Bomben in "jede Hunnenecke" Wie der Luftkrieg die Moral erschüttern sollte

Der Bombenkrieg in Europa kostet rund 600.000 Menschen das Leben.

Der Bombenkrieg in Europa kostet rund 600.000 Menschen das Leben.

(Foto: AP)

Die Hoffnungen der Militärs sind immens: Mit Bombardements aus der Luft soll die Kampfkraft der Bevölkerung gebrochen und der Zweite Weltkrieg entschieden werden. Doch es kommt mal wieder anders als geplant.

Es ist eine apokalyptische Szene, die Victor Klemperer in seinem Tagebuch festhält: "Aus vielen Häusern der Straße oben schlugen immer noch Flammen. Bisweilen lagen, klein und im wesentlichen ein Kleiderbündel, Tote auf den Weg gestreut. Einem war der Schädel weggerissen, der Kopf war oben eine dunkelrote Schale."

Was Klemperer beschreibt, ist die Folge eines der verheerendsten Bombardements in Europa: der Angriff der britischen Luftwaffe, der Royal Air Force (RAF), auf Dresden im Februar 1945. Dresden ist nur ein Beispiel für die Wirkungen der Bombenangriffe während des Zweiten Weltkrieges. Tatsächlich wurden zwischen 1939 und 1945 Hunderte europäische Städte aus der Luft bombardiert. Rund 600.000 Menschen starben, mehr als eine Million wurden verletzt. Ganze Stadtlandschaften wurden zu Trümmerfeldern, unschätzbare Kulturgüter für immer zerstört.

Wie kam es zu diesem desaströsen Bombenkrieg und wie erfolgreich war er letztlich? Diesen Fragen geht der britische Militärhistoriker Richard Overy in seinem umfassenden Werk "Der Bombenkrieg. Europa 1939 bis 1945" nach. Detailliert rekonstruiert er die Luftangriffe, die fast ganz Europa in Mitleidenschaft zogen - ob Frankreich, Großbritannien, Russland oder Malta, was im Übrigen zum meistbombardiertesten Ort der Welt wurde. Overy beschreibt die Hoffnungen, die die Militärs in den Krieg aus der Luft setzten, ebenso wie die Schwierigkeiten und Grenzen des Bombenkriegs, der trotz horrender Ausgaben und Verluste den Krieg nicht entscheidend beeinflusste.

Berlin im Juli 1945: 55 Millionen Kubikmeter Schutt bedecken die Stadt.

Berlin im Juli 1945: 55 Millionen Kubikmeter Schutt bedecken die Stadt.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Anfang der 30er-Jahre waren die Erwartungen und Befürchtungen noch groß, Romanciers, Pazifisten und Militärs entwarfen gleichermaßen düstere Szenarien eines Bombenkrieges, der ganze Städte und Länder vernichten würde. So sprach Winston Churchill 1934 von einer Bedrohung aus der Luft, die imstande sei "zu pulverisieren ..., was von der Zivilisation noch übrig ist". Drei Jahre später, am 26. April 1937 geschah das, was "später als das schlimmste Bombenverbrechen der Vorkriegszeit galt", wie Overy schreibt: die deutsch-italienische Bombardierung der baskischen Stadt Guernica, bei der rund 240 Menschen starben.

Guernica war ein Menetekel. Als der Weltkrieg mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann, versuchten die kriegsführenden Staaten noch, das gezielte Bombardement von Zivilisten zu vermeiden. Vielmehr sollten die Bomber die Soldaten bei ihren Kämpfen an der Front unterstützen. Selbst in den Jahren des "Blitz", als die deutsche Luftwaffe von 1940 bis 1941 Tausende Bomben über Großbritannien abwarf, galt laut Overy noch dieses Ziel. Auch wenn bei den Angriffen Zehntausende Zivilisten getötet wurden, sei es vor allem darum gegangen, der Kriegswirtschaft zu schaden -  ein Ziel, das die deutsche Luftwaffe allerdings genauso verfehlte wie später die alliierten Bomber über Deutschland. Was sowohl an ständig verbesserten Abwehrmöglichkeiten lag, als auch an der mangelhaften Technik der Bomber. Bisweilen wussten die Piloten gar nicht, über welcher Ortschaft sie sich befanden, wenn sie ihre Bomben ausklinkten.

Bedürfnis nach Rache

Im Laufe des Krieges setzte die britische Luftwaffe verstärkt auf die Strategie des "Moral Bombing" - wobei auch das Bedürfnis nach Rache eine immer größere Rolle spielte, wie Overy schreibt. Durch das Bombardieren von Wohnvierteln sollte die Kampfkraft geschwächt und die Unzufriedenheit der Bevölkerung über das eigene Regime gestärkt werden. Schon 1941 forderte Churchill, "jede Hunnenecke jede Nacht" zu bombardieren.

Arthur Harris, seit 1942 Oberbefehlshaber der britischen Bomberflotte und später vor allem unter dem Spitznamen "Bomber Harris" bekannt, folgte dieser Direktive nur zu gerne. In einem totalen Krieg, so seine Auffassung, war das Töten von Zivilisten legitim, seine Flächenbombardements wurden immer wahlloser. Bereits bei der Operation "Gomorrha" im Sommer 1943 in Hamburg warf die RAF Hunderte Spreng- und Brandbomben ab mit dem Ziel, den größtmöglichen Feuersturm in der Stadt zu entfachen. Es gelang. Innerhalb weniger Tage starben rund 37.000 Menschen, viele von ihnen erstickten in Luftschutzkellern. Weite Teile der Stadt lagen in Schutt und Asche.

Doch entgegen den britischen Erwartungen ließ die Moral der deutschen Bevölkerung nicht sonderlich nach. Was schon der "Blitz" in England nicht geschafft hatte, gelang auch den britischen Bombern im totalitären Reich Adolf Hitlers nicht: Die Bevölkerung revoltierte nicht, sondern war stattdessen vielmehr auf die staatlichen Fürsorgeleistungen angewiesen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen alliierte Untersuchungen des Bombenkriegs nach 1945: Demnach hatten die Flächenbombardements die Moral nie "entscheidend" erschüttert - und auch sonst war die Wirkung der Luftangriffe begrenzt. Letztlich war vor allem die Strategie der US-Bomber militärisch sinnvoll: die Ausschaltung der deutschen Bomberflotte, Angriffe auf Raffinerien und das Transportwesen.

Während weder das "Moral Bombing" der RAF noch die Angriffe auf die feindliche Wirtschaft von nachhaltigem Erfolg gekrönt waren, zeigte der Bombenkrieg doch in einer Hinsicht eine Wirkung, wie Overy in seinem lesenswerten Werk darlegt: Zur Verteidigung ihrer Städte und zur Wiederherstellung der zerstörten Infrastruktur benötigten die Staaten - Deutschland ebenso wie die von ihm bombardierten Länder - viele Ressourcen, die an der Front dringend gebraucht wurden.

Besonders zeigt sich dies am Ende des Krieges in Deutschland. So musste die deutsche Armee unzählige Jagdflugzeuge, Artillerie und Munition an der "zweiten Front" in der Heimat einsetzen, anstatt mit ihnen die kämpfende Truppe an der Front zu unterstützen. Dies trug letztlich auch zur deutschen Niederlage an den kämpfenden Fronten bei. Allerdings, so sieht es Overy, war das mehr ein Nebeneffekt des Luftkriegs. In der ursprünglichen Absicht der Alliierten lag es nicht.

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Quelle: ntv.de

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