Heikle Mission im "Schlüsselland" Steinmeier bietet der Türkei Hilfe an
18.09.2015, 11:06 Uhr
Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge im Land: Die Bundesregierung erklärt die Türkei zum "Schlüsselland".
(Foto: REUTERS)
Wenige Wochen vor den Wahlen sucht Steinmeier in Ankara das Gespräch mit führenden Politikern. Es geht um viel Geld, den Krieg und die Frage, wie die Bundesregierung vor Ort helfen kann, um die massenhafte Abwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland zu verhindern.
Deutschlands Außenminister in schwieriger Mission: Frank-Walter Steinmeier ist zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise in der Türkei eingetroffen. Auf dem Programm der kurzfristig organisierten Reise steht unter anderem ein Treffen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu.
Gleich zu Beginn seines eintägigen Besuchs stellte Steinmeier der Türkei weitere Hilfe bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Aussicht. Zugleich mahnte der SPD-Politiker eine "gerechte Lastenverteilung" innerhalb Europas an. Dazu gehöre, dass Transitländer und Länder, die in den vergangenen Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen hätten, besondere Unterstützung bekommen müssten. "Ich hoffe, dass das wenigstens gemeinsame europäische Auffassung ist."
Bei den Gesprächen in der türkischen Hauptstadt Ankara dürfte es neben der Flüchtlingskrise auch um den Konflikt zwischen türkischen Sicherheitskräften und Kurden im Osten des Landes gehen. Im Nordirak unterstützt Deutschland kurdische Peschmerga-Kämpfer im Kampf gegen die Terrormiliz IS unter anderem mit der Lieferung von Waffen. Die Regierung in Ankara geht unterdessen im eigenen Land militärisch gegen Kurden vor.
Zwei Millionen Flüchtlinge
Steinmeier will Beobachtern zufolge ausloten, wo Deutschland mehr Unterstützung leisten kann, um die Abwanderung der Syrer aufzuhalten, und welche Rolle die Türkei bei der Bewältigung des Syrien-Konflikts spielen wird. Längst bedroht dort der Krieg im Nachbarland die Stabilität der gesamten Region.
Allein in der Türkei leben bereits mehr als zwei Millionen Syrer, die vor den Kämpfen zwischen Islamisten, Rebellen und der Armee des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geflohen sind. Die Türkei zählt damit zu den am schwersten von der Flüchtlingskrise betroffenen Ländern.
Steinmeier bezeichnete die Türkei vor diesem Hintergrund als "Schlüsselland" - auch für die Bemühungen um ein Ende des Syrien-Konflikts. "Nur gemeinsam kann es gelingen, vernünftige, humane und tragfähige Lösungen zu finden", betonte der Bundesaußenminister im Vorfeld seiner Reise.
An die EU-Staaten richtete Steinmeier zugleich den dringenden Appell, mehr Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu zeigen. Im Streit zwischen den EU-Ländern um die Einführung von Flüchtlingsquoten, sollte die Staatengemeinschaft erwägen, notfalls "auch das Instrument der Mehrheitsentscheidung anzuwenden", zitierte ihn die "Passauer Neue Presse".
Enorme Belastung
Die türkische Regierung hat eigenen Angaben zufolge bereits Mittel in Höhe von umgerechnet 7,6 Milliarden Dollar aus dem Staatshaushalt für die Versorgung der 2,2 Millionen syrischen Flüchtlingen im Land zur Verfügung gestellt. Bei den internationalen Bemühungen, die Ursachen für Flucht und Vertreibung in Syrien zu bekämpfen, lässt sich die Türkei Beobachtern zufolge bisher allerdings nur widerstrebend einbinden.
Das Nato-Mitglied an der Schwelle von Europa nach Asien fliegt in Syrien inzwischen zwar nach langem Zögern auch mit den eigenen Streitkräften Luftangriffe auf Stellungen des "Islamischen Staats". Doch zugleich bombardiert die Türkei kurdische Stellungen, obwohl die Kurden derzeit eine der stärksten Kräfte gegen den IS stellen.
Türkei im Wahlkampf
Die Lage in der Türkei ist im Vorfeld der Parlamentswahl am 1. November gespannt. Kritiker werfen Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, den Kurden-Konflikt aus innenpolitischen Erwägungen anzuheizen, um mit der Wahl seine Macht deutlich auszubauen.
Die Reise Steinmeiers nach Ankara zu diesem Zeitpunkt ist ungewöhnlich und der aktuellen Entwicklung geschuldet, heißt es aus Berliner Regierungskreisen. Üblicherweise verzichten deutsche Außenminister kurz vor größeren Wahlterminen auf derartige Besuche, um den Eindruck einer innenpolitischen Einflussnahme von vornherein auszuschließen.
Ob Steinmeier auch mit Präsident Erdogan zusammentreffen wird, war zunächst unklar. Geplant sind bislang nur Gespräche mit Ministerpräsident Davutoglu, Außenminister Feridun Hadi Sinirlioglu sowie Vertretern der türkischen Opposition, der Kurdenpartei HDP und der weitgehend machtlosen selbst ernannten syrischen Exilregierung.
Außerdem will Steinmeier ein Zentrum der Organisation Asam besuchen, wo Flüchtlinge registriert werden. Deutschland hat seit 2012 eine Milliarde Euro zur humanitären Unterstützung syrischer Flüchtlinge zur Verfügung gestellt sowie zur Stabilisierung von Teilen Syriens, die von der Opposition verwaltet werden.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa/rts