
Lindner, Habeck, Scholz: die Regierungsbank am Donnerstag im Bundestag.
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Kurz vor der Europawahl erlebt Deutschland eine Woche der Gewalt und des Verderbens. Die Politik scheint aus solchen Ereignissen aber nichts zu lernen.
Der Polizist Rouven L. wurde von Sulaiman A. auf einem Marktplatz in Mannheim erstochen. In Oberbayern ertrank ein Feuerwehrmann in den Fluten. Die zwei Familienväter fanden den Tod bei der Arbeit für andere, für das Gemeinwohl. Sie riskierten ihr Leben für uns, irgendwelche Leute also, und beide Männer arbeiteten, obwohl sie nicht wussten, welcher Religion, Partei, Überzeugung oder Herkunft die Menschen in der Allgemeinheit angehörten.
Der Tod dieser beiden Gemeinwohl-Stifter führte nun allerdings nicht zur landesweiten Einigkeit und geistiger Einkehr, so schön das auch wäre. Die Flut und die Messerattacke schienen die Gräben eher noch zu vertiefen: Es war ein bisschen, als schickten uns die Katastrophen dieser Woche durch eine politische Personenvereinzelungsanlage.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Lamya Kaddor wies in einem Post auf X zuerst darauf hin, dass das unmittelbare Ziel des Messerstechers ein "Islamkritiker" sei, "der durchaus Abwertendes und Hasserfülltes zum Islam kundtut". Das mag seitens Kaddor, deren Vater in Syrien durch Islamisten getötet wurde, eine Ungeschicklichkeit sein - und doch ist es das, was in anderen Lagen seitens der Grünen als "Victim Blaming" beschrieben wird, als Schuldzuweisung an das Opfer, etwa der Klassiker: Ja, das war Vergewaltigung, aber sie hatte auch einen kurzen Rock an.
Es wurde gelacht
Es wurde, uff, auch gelacht. Diesmal nicht in der Flut, sondern im Berliner Landesparlament. SPD-Innensenatorin Iris Spranger nutzte die etwas ungeschickte Formulierung "Der schreckliche Tod von Mannheim", und die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt rief: "Mannheim ist tot?", und lachte hörbar auf. Vermerkt ist das in alle Ewigkeit durch das Sitzungsprotokoll. Derlei Unernst ist schon Eva Högl auf die Füße gekracht und hat bekanntlich die Kampagne von Armin Laschet versenkt. So infam und eiskalt wie hier wirkte es aber nie.
Björn Höcke fragte, wie viele von "uns" noch sterben müssten, was wohl melodramatisch klingen sollte, aber mit seinem derzeitigen "Stolzmonat"-Sonnenbrillen-Profilbild noch grotesker wirkte.
Auf eines konnte man sich immerhin ganz überwiegend einigen: Auf Abschieben, Abschieben, Abschieben! Da ist auch der Bundeskanzler ganz vorn dabei, er hatte das eh vor, bekanntlich "im großen Stil". Was das ganze Geschiebe mit Sulaiman A. zu tun hat, ist nicht klar, denn der hatte bislang nichts verbrochen. Selbst wenn er nach einer möglichen Gefängnisstrafe wieder auf freien Fuß ist, bekommt man ihn womöglich nicht in die alte Heimat: Er ist verheiratet, hat zwei deutsche Kinder und mit den Taliban wird bislang nicht verhandelt - auch wenn man in Kabul mit großer Freude auf die Ankündigung des Kanzlers reagierte.
Abschieben - oder verschieben?
Beim Abschieben scheint es daher vor allem um ein Verschieben der Debatte zu gehen - die tatsächlichen Ursachen sind heikel und vermeintlich komplizierter, da muss man sich die Rolle des politischen Islam anschauen und mit einer ganzen Reihe von Verbänden und Einrichtungen anlegen.
FDP-Chef Christian Linder warnte nach der Attacke von Mannheim vor "falscher Toleranz". Welche meinte er? Jene gegenüber Afghanen? Tolerieren wir Islamisten? Vielleicht: Obwohl selbst grüne Spitzenpolitiker seit Jahren die Schließung des islamischen Zentrums in Hamburg fordern, kommt das Bundesinnenministerium nicht aus dem Quark.
Auch auf das Hochwasser findet die Spitzenpolitik keine sinnvollen Antworten. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zeigte sich allen Ernstes überrascht von der Lage. Damit "konnte auch oder hat keiner normalerweise gerechnet" - außer, ja, eigentlich jeder, der die Klimadebatte der vergangenen vierzig Jahre auch nur durchs Fernglas verfolgte.
Und wer dachte, das Land sei nach Putins Überfall auf die Ukraine wieder auf dem Kurs politischer Vernunft, der wurde durch die SPD-EU-Spitzenkandidatin Katarina Barley enttäuscht: Nach ihrem Vorbildsozialdemokraten (m/w/d) befragt, nannte sie - ausgerechnet Manuela Schwesig. Also jene Politikerin, die mit einer von Russland finanzierten Stiftungs-Matruschka trickste, um die russische Gaspipeline Nord Stream 2 zu sichern. In der Wahlwerbung nennt sie sich unter anderem "Katarina, die Gerechte", es sind Anspielungen auf Katharina die Große - die russische Zarin, die sich die Krim einverleibte. Klingelt’s da ein wenig? Armin Laschet wiederum behauptet bei "Miosga" unverdrossen, das Land sei zu keinem Zeitpunkt abhängig gewesen von russischem Gas.
Mehr als kleine Fehlerchen
Da hat sich offenbar nicht viel gewendet, in der Zeitenwende. Das alles mögen kleine Kommunikationsfehlerchen sein, aber in der Summe wecken sie einen unangenehmen Verdacht: Bleiben politische Großereignisse wie Ukraine, Mannheim und Flut ohne Lerneffekt?
Dabei können Katastrophen ein Land eigentlich auf einen Kurs einen, für eine Weile jedenfalls. Der 11. September 2001 hat das gezeigt. Die Messerattacke von Mannheim hat in seiner visuellen Wucht einiges gemein mit dem Terror von damals: 9/11 bot mir vermutlich die erste Gelegenheit meines Lebens, einen Menschen auf dem Weg in den Tod zu beobachten. Eine kleine Menschsilhouette stürzte aus den brennenden Türmen herab und es war klar, dieser Mensch lebt gleich nicht mehr. Wer sich auf den verbreiteten Videos angesehen hat, wie Suleiman A. sein Messer in Rouven L. rammt, dürfte Ähnliches empfunden haben.
Die schiere Aggression der 9/11-Terroristen, die Sichtbarkeit des Sterbens hatten eine erstaunliche Wirkung auf die amerikanische Bevölkerung: Die Menschen standen für kurze Zeit beisammen, zeigten Flagge, im Wortsinne, sie vertrauten der Regierung wie sonst in vierzig Jahren nicht. Sie vertrauten auch, das muss man sich einmal vorstellen, den Medien mehr als sonst: Im November 2001 waren die Ratings für die Professionalität der Medienhäuser so hoch wie nie. Das alles drehte sich dann zwar mit der nächsten Katastrophe, dem Wirbelsturm Katrina - aber für eine Weile stand Amerika zusammen. Mannheim ist nicht New York City, es ist, unter anderem, kleiner. Und das Jahr 2024 hat wenig gemein mit dem Jahr 2001. Dennoch hätte man vor allem nach dem Tod des Helden Rouven L. etwas anderes erwartet als würdelose Kakofonie.
Land ohne Vektor
Hat Deutschland noch einen Vektor, ein Momentum? Die jetzt geforderten Abschiebungen scheitern an den Grünen. Die Elementarschadenversicherung scheitert an der FDP. Manch eine Ukraine-Hilfe scheitert an der Friedenskampagne der SPD. Olaf Scholz ist ein Fähnlein im Wind: Dass er sich am Freitag durchrang, die TU-Präsidentin nach deren antisemitischen Likes aus einem Beratergremium zu werfen, war kein Zeichen von Führung - sondern schlichte Selbstverständlichkeit.
Klar: Politik hatte noch nie die Wirkung, die ihre Protagonisten uns versprechen. Klima, Konjunktur und Kriege entziehen sich ziemlich unserer Kontrolle. Doch diese Wirkgrenzen könnten durch kommunikative Führung verdaubar werden. Aber da ist ja bekanntlich keine: Zur Flut sagte Olaf Scholz einen Satz, der im Text liegt wie ein totes Tier am Straßenrand: "Wir werden die Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, nicht vernachlässigen dürfen."
Deutschland trudelt mit vakantem Pilotensitz durch das Wahljahr 2024. Ich hoffe, der Souverän macht am Sonntag keinen Quatsch an der Urne - wenn er denn hingeht.
Quelle: ntv.de