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Aktien und Anleihen im Sinkflug Ist das die größte Krise aller Zeiten?

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Manchmal  sieht die Sache schlimmer aus als sie ist. Hoffentlich.

Manchmal sieht die Sache schlimmer aus als sie ist. Hoffentlich.

(Foto: imago images/Wetzkaz)

Seit Wochen Kursverluste an den Märkten. Corona, Krieg, Inflation, Zinserhöhung und weiterhin Probleme bei den Lieferketten. Wie man sich nun als Anleger verhalten sollte, erfordert keine Glaskugel. Es reicht, die Kursverluste und das Marktumfeld im Detail zu betrachten.

Der Chart der 100-jährigen Staatsanleihe Österreichs (ISIN AT0000A2HLC4, Laufzeit bis 2120) mutet wie der Absturz einer spekulativen US-Technologie-Aktie an. Fast 70 Prozent Kursverlust musste die ausfallsichere Staatsanleihe in den letzten Monaten hinnehmen.

100-jährige Österreich-Anleihe.

100-jährige Österreich-Anleihe.

(Foto: Börse Frankfurt )

Ein Extrembeispiel. Und eine erschreckende Parallele zur Finanzkrise 2008/2009. Seinerzeit brachen die Kurse von Zinspapieren ein, die von Ratingagenturen als ausfallsicher bewertet und von institutionellen Anlegern entsprechend gekauft und verbucht wurden.

Auch dieses Mal haben Zinspapiere bester Bonität dramatisch verloren. So auch ganz normale Staatsanleihen mit 10 bis 15 Jahren Laufzeit. Die sind 10 bis 20 Prozent im Verlust - und das sind die Brot- und-Butter Anlagen von institutionellen Anlegern, wie Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen.

Dr. Andreas Beck bewertet als unabhängiger Finanzmathematiker die Qualität von Vermögensverwaltungen. Unter anderem testet er zusammen mit n-tv und Focus Money seit über zehn Jahren die Portfolios der führenden Privatbanken in Deutschland. Daneben leitet er die Index Capital, welche für Banken und Fondsgesellschaften wissenschaftlich fundierte Portfoliomodelle entwickelt.

Dr. Andreas Beck bewertet als unabhängiger Finanzmathematiker die Qualität von Vermögensverwaltungen. Unter anderem testet er zusammen mit n-tv und Focus Money seit über zehn Jahren die Portfolios der führenden Privatbanken in Deutschland. Daneben leitet er die Index Capital, welche für Banken und Fondsgesellschaften wissenschaftlich fundierte Portfoliomodelle entwickelt.

Verlassen wir Staatsanleihen und betrachten die Risikoprämien von Unternehmensanleihen. Typisch für Krisen wäre, dass sich die Risikoprämien deutlich ausweiten, also die Zinsen ausfallgefährdeter Unternehmensanleihen relativ zu ausfallsicheren deutlich steigen. Tatsächlich ist hier alles in ruhigen Fahrwassern, es ist weit und breit nichts von einer Krise zu sehen. Die Risikoprämie (beispielsweise gemessen am US Corporate BBB Option-Adjusted Spread) liegt heute mit 1,8 Prozent im langfristigen Mittel der letzten zwanzig Jahre. Zum Vergleich: in der Krise 2008/2009 sprangen die Risikoprämien auf 7,8 Prozent und auch in der Corona-Krise im März 2020 auf immerhin 4 Prozent.

Alles halb so wild

Betrachten wir noch den weltweiten Aktienmarkt (in US-Dollar). Auf den ersten Blick sehen die Verluste von über 20 Prozent des MSCI World seit seinem letzten Höchststand so aus, als wären wir in einer typischen Krise. Aber auch an den Aktienmärkten gibt es eine Besonderheit, denn Hightech- und Plattform-Unternehmen haben besonders hohe Verluste erlitten. Der Nasdaq 100 hat seit seinem letzten Höchststand 34 Prozent verloren, obwohl gerade solche Unternehmen häufig weder von Krieg, noch von Inflation, noch von Lieferkettenproblemen direkt betroffen sind.

Die verworrene Lage klärt sich auf, wenn man sich die durchschnittliche Entwicklung der Unternehmensgewinne auf der Welt ansieht. Diese sind nach wie vor sehr gut, was schlicht daran liegt, dass die Unternehmen es aktuell recht problemlos schaffen, Preissteigerungen bei ihren Kunden durchzusetzen. Die Mineralölkonzerne sind dabei keine unrühmliche Ausnahme, sondern eher die Regel. Insgesamt gesehen befinden sich die Unternehmensgewinne nicht in einer Krise, weshalb auch die Risikoprämien bei Unternehmensanleihen nicht anziehen. Das gilt selbst unter der pessimistischen Annahme, dass wir möglicherweise vor einer längerfristigen Abkühlung der Konjunktur stehen.

Oder anders formuliert: Wer breit gestreut in Aktien investiert ist, braucht sich keine großen Sorgen zu machen. Wer nicht investiert ist, sollte jetzt darüber nachdenken zu investieren. Bei den jetzt relativ niedrigen Bewertungen sind die langfristigen Perspektiven sehr gut. Ganz unabhängig davon, ob es jetzt nochmal neue Tiefststände gibt oder nicht.

Keine Gefahr einer neuen Finanzkrise

Natürlich können auch neue Probleme an den Märkten auftreten. Das gilt allerdings immer, und es gibt nach Kurseinbrüchen keinen Grund bezogen auf neue mögliche Probleme pessimistischer zu sein als nach boomenden Aktien- und Anleihenmärkten.

Um nochmal auf den Anleihenmarkt zurückzukommen, der 2008/2009 ja fast zu einem Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems geführt hätte. Bislang geht von hier trotz der hohen Kursverluste bei langlaufenden Staatsanleihen keine zu 2008 vergleichbare Gefahr aus.

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Staatsanleihen mit gutem Rating können auch dann ihr gutes Rating behalten, wenn sie wie das Beispiel aus Österreich 70 Prozent Kursverlust erlitten haben. Institutionelle Investoren müssen solche Wertpapiere nicht zum Marktwert bilanzieren und können einfach abwarten. Die Kursverluste lösen somit nicht wie 2008 einen Flächenbrand aus, als scheinbar ausfallsichere Papier über Nacht ein schlechtes Rating bekamen und damit plötzlich als ausfallgefährdet und illiquide galten (und damit anders zu bilanzieren waren).

Dr. Andreas Beck bewertet als unabhängiger Finanzmathematiker die Qualität von Vermögensverwaltungen. Unter anderem testet er zusammen mit n-tv seit über zehn Jahren die Portfolios der führenden Privatbanken in Deutschland. Sein neuestes Buch "Erfolgreich wissenschaftlich investieren" kann auf www.globalportfolio-one.de kostenlos heruntergeladen werden.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 14. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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