
Die schwarzen Hemden passen zur Stimmung.
(Foto: dpa)
Am Sonntag tritt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg die Heimreise an, die Debakel-WM endet damit für den DFB endgültig. Zumindest in Australien. Zurück in Frankfurt soll die Aufarbeitung weitergehen. Zu einigen möglichen Gründen bezieht die Führungsriege schon in Wyong Stellung.
Das WM-Desaster hat Spuren bei Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hinterlassen, ihre Augenringe sind bei der Abschlusspressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes deutlich zu sehen. Sie spricht von einem "Schockzustand" nach dem 1:1 gegen Südkorea, das das erstmalige Ausscheiden der DFB-Frauen in einer WM-Gruppenphase besiegelte. Selbst das Wetter spielt dramaturgisch düster mit in der schwärzesten Stunde des Fußballs der Frauen beim DFB. Wo über dem Wyong Race Club bislang die Sonne schien, ist der Himmel an diesem Samstag grau und wolkenverhangen. Passend zur Stimmung in Schwarz gekleidet sind Voss-Tecklenburg und der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou, erschienen.
Alles schwarzmalen wollen sie aber nicht, die Aufarbeitung des Turniers soll in den kommenden Wochen erfolgen. Feststeht: Voss-Tecklenburg will weitermachen: "Das Einfache ist, im Leben wegzulaufen, wenn es schwierig wird. Ich bin noch nie weggelaufen, wenn es schwierig geworden ist, also habe ich weiter den festen Willen, zusammen mit allen Beteiligten die nächsten Schritte im deutschen Frauenfußball zu gehen." Auch ein Grund, warum die Bundestrainerin wie ihre Spielerinnen an diesem Wochenende in die Heimat fliegt und sich keine weiteren WM-Spiele vor Ort anschaut. Zu besprechen gibt es viel, noch mehr wird derzeit über den DFB gesprochen. Chatzialexiou betonte, er wolle sich mit vielen Spielerinnen nochmal austauschen. "Nicht um Ausreden zu suchen, warum wir ausgeschieden sind, sondern Gründe zu finden."
Zu einigen haben Voss-Tecklenburg und der DFB-Funktionär in Wyong Stellung bezogen:
Risse zwischen Team und Betreuerstab?
Die "Bild"-Zeitung hatte von Rissen zwischen dem Team und dem Betreuerstab berichtet, auch die Kommunikation sei problematisch gewesen. Ein Vorwurf, den weder Voss-Tecklenburg noch Chatzialexiou auf sich sitzen lassen wollen. Als sie von dem Bericht erfahren haben, hätten sie direkt den Spielerrat zusammengeholt, beschreibt der DFB-Funktionär die Reaktion im Teamhotel. "Aus dem Mannschaftskreis wurde uns gegenüber so etwas nicht übermittelt." Auch die Trainerin sagte: "Wir sprechen mit den Spielerinnen, wir haben das hier während des Turniers nicht erlebt." Sie gehe davon aus, dass die Dinge angesprochen würden, das hätten sie nach der WM 2019 erlebt, als es Unzufriedenheiten gab und das Trainerteam anschließend die einzelnen Aufgaben klarer verteilte. "Ich habe vollstes Vertrauen in die Ehrlichkeit der Spielerinnen."
Das Basecamp:
Die Wahl kann getrost als DFB-typisch bezeichnet werden. Gut abgeschirmt, weit ab vom Trubel, ist das Team im Mercure Kooindah Waters in Wyong weitgehend unter sich gewesen. Das kennt man bereits von den Männerteams vom berühmten Campo Bahia 2014 sowie Watutinki 2018 und auch in Katar suchte der DFB die Abgeschiedenheit. Wyong, der kleine Ort mit 4500 Einwohnern, liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Sydney, Freizeitbeschäftigungen sind Mangelware. Alles war darauf ausgerichtet, dass das Team Gruppenerster wird, dann hätte es für die Spieltage ab dem Viertelfinale nur nach Sydney fahren müssen, Flüge wären nicht nötig gewesen. "Wenn wir viele Reisetage haben, wollten wir immer ein Zuhause haben, wo wir hin zurückkehren", so Chatzialexiou.
Voss-Tecklenburg berichtete davon, dass die Wahl der Unterkunft nach akribischer Abwägung aller Vor- und Nachteile gefallen sei, acht Tage habe sich eine Delegation des DFB Zeit genommen, um die verschiedenen Möglichkeiten in Australien vor Ort zu besichtigen. Prioritäten seien letztlich die Nähe zum Trainingsplatz sowie die Freiräume beim Wohnen gewesen. Lange Hotelflure, wo man eingeengte Zimmer ohne Fenster zum Öffnen hat, sollten vermieden werden, es ging dabei auch um die Schlafqualität und Regeneration.
Als sich nach der Niederlage gegen Kolumbien die Wahrscheinlichkeit erhöhte, nur als Zweite weiterzukommen, wurde spät ein Plan B entworfen. Doch auch der wurde nun nicht benötigt. Es sei bei einem 23er-Kader schwer, es allen Spielerinnen recht zu machen, so Chatzialexiou. Für ihn habe Wyong den kleinen "Nachteil, dass es kein Café, keine Eisdiele gibt". Beides gibt es, allerdings im Ortszentrum, das Teamhotel liegt nochmal abseits dessen. Für die Spielerinnen gab es daher wenig Ablenkung vom Sport außer mal Kängurus gucken oder am etwa 20 Auto-Minuten entfernten Strand spazieren. Lena Lattwein bezeichnete die Lage einmal als "Einöde". Andere Teams haben sich mitten in den Großstädten eingebucht, können sich vom Trubel mitziehen lassen und die WM-Stimmung aufsaugen - von der in Wyong nichts zu spüren ist.
Allerdings gibt es in den Medien auch Kritik am Verhältnis zwischen Training und Freizeit. Ein ums andere Mal hatten die DFB-Sprecherinnen mitgeteilt, dass der Nachmittag für die Spielerinnen frei ist, nach dem Auftaktsieg gegen Marokko gab es sogar einen kompletten Tag ohne Training. Das Thema kam bei der Pressekonferenz nicht zur Sprache, doch es drängt sich der Gedanke auf, dass das Wort "Belastungssteuerung" sehr zu Gunsten der Freizeit ausgelegt worden ist. Dass Voss-Tecklenburg die Zügel schleifen ließ, obwohl die Spielerinnen selbstkritisch die Baustellen, an denen im Training noch zu feilen ist, nach der Pleite gegen Kolumbien angesprochen hatten.
Streit mit dem FC Bayern:
"Du musst gemeinsam arbeiten, um eine starke Nationalmannschaft zu haben", spricht Chatzialexiou eine Mahnung an die Bundesliga-Teams aus. "Wir haben eine gewisse Abhängigkeit von den Vereinen und da geht es um ein vertrautes Miteinander." Die Warnung kommt nicht von ungefähr, Spielerinnen des FC Bayern durften vor dem WM-Start überraschend erst fünf Tage später als etwa der Rest zur Vorbereitung des Nationalteams nach Herzogenaurach reisen. Der DFB ärgerte sich massiv über diesen Abstellungsstreit, Chatzialexiou hatte dem Klub sogar "Wortbruch" vorgeworfen.
Nun sagt er: "Ich will jetzt nicht von einer alten Kamelle sprechen, natürlich hat das Einfluss genommen auf unsere Vorbereitung." Die Folge war, dass beim vorletzten Testspiel gegen Vietnam (2:1) keine Münchnerin im Kader stand, die Eingespieltheit konnte also nicht so schnell gelingen. Für die Zukunft sei klar, dass man "Hand in Hand" arbeiten müsse, so Chatzialexiou.
Kader mit zehn Spielerinnen des VfL Wolfsburg:
Das DFB-Team besteht fast zur Hälfte aus Spielerinnen des VfL Wolfsburg, acht von ihnen - einschließlich Neuzugang Chantal Hagel, die von der TSG Hoffenheim wechselt - standen in der Startelf gegen Südkorea. Vom Deutschen Meister FC Bayern dagegen mit Stürmerin Lea Schüller und ihrer Offensivkollegin Klara Bühl nur zwei, Sydney Lohmann wurde als Dritte in der 64. Minute eingewechselt und sorgte mit ihrer Robustheit und Zielstrebigkeit direkt für Impulse. Die "Frankfurter Rundschau" berichtete von einer angeblichen Bevorzugung der Wolfsburgerinnen durch das Trainerteam.
Jule Brand etwa ist eine Spielerin, an der sich die Geister scheiden. Der Nachwuchsstar besitzt zweifelsohne große Qualitäten, agiert beim DFB-Team sehr engagiert, aber häufig noch nicht abgeklärt genug. Auch beim Remis im Gruppenfinale lief sie sich häufig fest und blieb insgesamt unauffällig. Die Bundestrainerin aber hält große Stücke auf sie, bei Wolfsburg ist sie dagegen unter Trainer Tommy Stroot keine Stammspielerin. Die Bundestrainerin weist diesen Vorwurf knapp und deutlich von sich: "Wir nominieren unabhängig von Vereinszugehörigkeit. Wir nominieren nach Leistungsparametern, die wir für uns aufgestellt haben."
Etwas ausführlicher erklärt Chatzialexiou, die Auswahl verlaufe sehr professionell anhand von Daten, Analysen und vielen Spielbeobachtungen. "Jetzt hat Wolfsburg das Champions-League-Finale erreicht, so abwegig ist es nicht, dass dort auch viele gute Spielerinnen sind." Auch den DFB-Pokal gewann das Team. Die Auswahlprozesse würden "teilweise auch unqualifiziert bei den Männern angesprochen", sagt er und blickt dabei sicherlich auf das Unverständnis bei Borussia Dortmund, als Männer-Bundestrainer Hansi Flick zum letzten Lehrgang Niklas Süle nicht berücksichtigte oder auf den Ärger beim 1. FC Union, dass Rani Khedira immer noch kein Nationalspieler ist. "Ich wüsste nicht, was wir davon haben, wenn wir uns nur bei einem Verein bedienen", macht er deutlich. "Schlussendlich vertreten wir eine ganze Nation und nicht einen Verein."
Die Mentalität im Team:
Ob bei den Männern oder den Frauen, im Fußball wird oft die Frage nach der fehlenden Mentalität aufgeworfen. Diese sei früher ein Teil der deutschen DNA gewesen, sagt auch Chatzialexiou, so habe der DFB in der Vergangenheit Turniere gewonnen. Kapitänin Alexandra Popp sieht er dabei beim aktuellen Team als Vorbild. Für ihre Mitspielerinnen, aber auch für die Leistungszentren, die den Nachwuchs ausbilden. Der Fokus auf die Persönlichkeitsentwicklung sei ein "ganz entscheidender Faktor". Der Sportliche Leiter betont: "Möglicherweise kann die mentale Fähigkeit, der Siegeswille, gewisse andere Fähigkeiten überstrahlen."
Allerdings kann den DFB-Frauen der Wille bei dieser Weltmeisterschaft nicht abgesprochen werden. Es ist nicht so, dass die Spielerinnen auf dem Platz lustlos wirkten oder gegen Südkorea und Kolumbien die entscheidenden Punkte absichtlich hätten liegen lassen. Im Gegenteil, gegen Kolumbien erzielten sie den späten Ausgleich - und wollten mehr als ihre Trainerin. Diese sagte nach Abpfiff, das noch spätere Siegtor der Kolumbianerinnen hätte niemals fallen dürfen, weil das Remis hätte abgesichert werden können. Ein Punkt hätte zum vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale gereicht. "Die Mannschaft hatte eher das Gefühl, wir wollen noch das 2:1 erzielen." Auch gegen Südkorea liefen sie bis zum Schluss an, waren allerdings zu hektisch und verunsichert, spielten die Bälle nicht in Ruhe aus, um noch ein Tor zu erzielen.
"Da muss jede Spielerin in den Aufarbeitungsprozess gehen. Turniererfahrung ersetzt dir niemand, schwierige Momente im Sport ersetzt dir niemand. Daraus muss man Erfahrungen ziehen und wachsen", so die Trainerin, die seit 2018 im Amt ist. Allerdings hatte unter anderen Bayern-Spielerin Lina Magull betont, dass den Profis Druck nichts Fremdes ist. Die meisten kennen K.-o.-Spiele und internationale Top-Partien aus der Champions League. Bei der WM half das aber offensichtlich nicht.
Fehlender Nachwuchs für den DFB?
In der Defensive des Teams zeigte sich, wie dünn die Personaldecke doch ist. Auf Giulia Gwinn verzichtete Voss-Tecklenburg nach deren zweiten Kreuzbandriss - "Ich möchte nicht die Stimmen hören, wenn sie sich einen dritten Kreuzbandriss holt, wie egoistisch das ist. Und von daher würde ich diese Entscheidung immer wieder so treffen" -, dann fiel Linksverteidigerin Carolin Simon im letzten Testspiel gegen Sambia mit einem Kreuzbandriss aus, sie wäre der Back-up für Felicitas Rauch gewesen, die sich ihrerseits im Turnier verletzte. Eine Linksverteidigerin gab der Kader nicht mehr her, so spielte Chantal Hagel als gelernte Offensivkraft in der Verteidigung. Mit weiteren Blessuren erst von Marina Hegering, dann auch noch von deren Back-ups Sara Doorsoun und Sjoeke Nüsken, stellte sich die Defensive fast von allein auf.
Dabei wunderte sich Südkoreas Trainer Colin Bell nach dem Remis über die Außenverteidigerinnen. Svenja Huth, die er einst beim 1. FFC Frankfurt trainierte, mag er sehr, aber sie sei nun einmal genauso wenig eine Defensivspezialistin wie Hagel. Allerdings ist es nicht so, dass das Trainerteam zahlreiche Defensivspielerinnen zu Hause ließ, die sich bereits beim DFB verdient gemacht haben. Hat der DFB bei den Frauen also ein Nachwuchsproblem? Chatzialexiou sieht "Optimierungsbedarf". Generell sei das Entwicklungstempo im deutschen Fußball verbesserungswürdig: "Zur Wahrheit gehört auch, dass unsere Mühlen leider zu langsam mahlen in Deutschland." Die Schweiz habe den Vorteil, kürzere Kommunikationswege zu haben und weniger sportpolitische Hürden nehmen zu müssen als innerhalb des großen DFB. "Wenn wir das nicht verändern, dann werden andere auf der linken Spur an uns vorbeifahren und dann sehen wir schlussendlich nur die Rücklichter", warnt der Sportliche Leiter: "Und das zeichnet sich möglicherweise dann auch bei zukünftigen Turnieren ab."
Es gibt bereits Veränderungen, die B-Juniorinnen-Liga wurde angepasst, weil sie "keine ist für die individuelle Entwicklung von Spitzenspielerinnen", so Chatzialexiou. Themen wie Trainerausbildung, Infrastruktur und Professionalität müssen ihm zufolge schleunigst angepackt werden. "Es ist nicht so, dass wir keine guten Fußballerinnen oder Fußballer haben, sondern wir haben in der Spitze einfach zu wenig Breite und daran müssen wir arbeiten."
Quelle: ntv.de