Gibt es das Wunder von München? FC Bayern kämpft gegen die Trauma-Monster
05.12.2017, 12:12 Uhr
Thomas Müller und sein FC Bayern wollen sich im Rückspiel den PSG-Schock aus Körper und Geist spielen.
(Foto: imago/kolbert-press)
Den Gruppensieg thematisieren sie beim FC Bayern nicht. Vor der Champions-League-Revanche gegen Paris Saint-Germain beschwören sie die Demut. Allerdings: Ein wuchtiges Zeichen soll gegen die Franzosen schon gesetzt werden.
Jupp Heynckes hat vorgebaut. Er trainiert die Fußballer des FC Bayern ohne gültiges Arbeitspapier. Ob das nun bei der Abrechnung des vermutlich nicht so schlechten Trainergehalts irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht? Vermutlich nicht. Wichtiger als das ist aber ohnehin: Die Vertragslosigkeit macht ihn unangreifbar. Denn wer nicht angestellt ist, der kann auch nicht gekündigt werden. Nicht, dass er eine entsprechende Handlung der bayerischen Führungsspitze zu befürchten hätte. Dennoch ist es schon irgendwie interessant, dass der Trainer seine Untätigkeit bei der Unterzeichnung ausgerechnet zwei Tage vor der Champions-League-Revanche gegen Paris Saint-Germain (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) öffentlich machte.
FC Bayern München: Ulreich - Kimmich, Boateng, Hummels, Alaba - Martinez, Tolisso - Müller, James, Coman - Lewandowski; Trainer: Heynckes
Paris St. Germain: Areola - Dani Alves, Marquinhos, Thiago Silva, Kurzawa - Verratti, Rabiot, Draxler - Mbappe, Cavani, Neymar; Trainer: Emery Schiedsrichter: Cüneyt Cakir (Türkei)
Stadion: Allianz-Arena, München
Denn die saftigste bayerische Fußball-Watsch'n der 2010er-Jahre, die krasse 0:3-Hinspiel-Demontage durch die ultrateure französische Scheich-Spieltruppe im Prinzenparkstadion samt Carlo-Ancelotti-Entlassung, hatte Heynckes am 6. Oktober ja erst wieder vom fleißigen Hausmann und Gelegenheitsgartenarbeiter zum Bayern-Trainer auf Zeit aufsteigen lassen. Was sie in München sehr genießen. Und ist der Erfolg (zehn Siege in elf Spielen) erst einmal zurück, lassen sich auch die Traumata der Pariser Tempomonster und der vergangenen Monate generell deutlich leichter aufarbeiten. Im Sanduhrtempo offenbarte zuletzt ein Spieler nach dem anderen, wie sehr er unter der Laissez-faire-Führung des italienischen Maestro gelitten hatte. Und während die Sandlast der Unzufriedenen immer weniger wird, so wächst gleichsam die Zuversicht, Europa heute Abend ein wuchtiges Zeichen der Stärke zu senden.
"Wir wollen zeigen", so erklärte Stürmer Robert Lewandowski nach dem 3:1-Erfolg am 14. Spieltag der Bundesliga gegen Hannover 96 ", dass wir eine bessere Mannschaft sind als PSG". Das ist ambitioniert, entspricht aber Anspruch und derzeit demütiger Linie des Klubs. Denn obwohl der Gruppensieg mit einem sehr klaren Erfolg (mindestens vier Tore Vorsprung) noch möglich wäre, nennen sie die Premiumposition für das erste K.-o.-Runden-Los noch einen "unwahrscheinlichen Wunschtraum". Daran ändern auch die aus Paris herüberwandernden Nachrichten von der Liga-Peinlichkeit gegen Racing Straßburg, dem offenbar immer noch schwelenden Elfmeter-Alphatier-Konflikt zwischen Edinson Cavani und Neymar sowie dessen von den Mitspielern kritisch beäugte Extravaganzen nichts.
Heynckes packt die psychologische Stichelei aus
"Ich habe der Mannschaft gesagt", so erklärte Coach Heynckes der "Süddeutschen Zeitung" in einem sehr langen und launigen Interview, "das ist ein Spiel, in dem es ums Prestige geht. Also: Nicht ein 4:0 im Kopf haben - ein 1:0 im Kopf haben. Das Spiel gewinnen und dem Gegner zeigen, wozu wir in der Lage sind". Alles andere, so sagte der 72-Jährige, "ist unrealisitisch". Aber nicht unmöglich. Und deswegen packt der Seniorcoach am Tag vor dem Showdown nochmal sein Basiswissen in Psychologie - Grundkurs erfolgreiche Stichelei - aus. So erklärte er: "Eine Mannschaft, die die Champions League gewinnen will, muss zwar Topspieler haben, aber sie muss auch homogen sein. Es muss eine gute Atmosphäre herrschen, es darf kein Neid aufkommen, die Spieler müssen sich untereinander verstehen."
Wer nun genau der Adressat dieser Botschaft ist, das benannte Heynckes nicht. Aber sowohl die mitunter doch sehr kindlich-dickköpfigen PSG-Granaten als auch Vorgänger Carlo Ancelotti dürften sich in den Worten wiedergefunden haben. Der doch lange Zeit sehr zurückhaltende Maestro hatte sich nämlich am Sonntagabend für seine Verhältnisse einigermaßen vehement gegen das stete und ständige Auskeilen über Menschenführung und Trainingsgestaltung aus München gewehrt. "Meine Methode basiert auf Qualität vor Quantität. Welche Entscheidung man auch trifft, wenn der Verein dich nicht schützt, bist du tot", sagte er im TV-Sender Rai Sport.
PSG-Coach redet den Straßburg-Schock klein
In Paris kämpfen sie derweil noch nicht mit dem Trainer, wohl aber mit der Niederlage gegen Straßburg. In Erinnerung an den fatalen 1:6-Kollaps gegen den FC Barcelona im Achtelfinal-Rückspiel der vergangenen Champions-League-Saison, warnt die Zeitung "Le Parisien" die aktuell sichere Tabellenführung in München nicht noch zu vergeigen. "Um das zu erreichen, muss Paris alles tun, eine Niederlage mit vier Toren Unterschied zu vermeiden". Coach Unai Emery, der nach dem Barcelona-Debakel schon einmal kurzzeitig zum Abschuss freigegeben schien, war indes bemüht, die Liga-Schlappe von Straßburg als einmaligen Ausrutscher herunterzuspielen. "Unser Team hat seinen Optimismus nicht verloren. Das Spiel gegen die Bayern wird ein großer Test. Ich bin nicht besorgt. Wir wollen auch ein Zeichen setzen."
Nochmal, so wie im besonders eindrucksvollen Hinspiel. Weshalb sie in München zwar nicht über den Gruppensieg reden, wohl aber das Wort Revanche bemühen. So sagt der formstarke Kingsley Coman: "Klar ist das eine Art Revanche und das Hinspiel ist noch in unseren Köpfen." Und dort soll es trotz aller Gelüste ruhig zugehen. "Wir werden sicherlich nicht mit sechs Stürmern attackieren, weil wir ein 4:0 brauchen", sagt Thomas Müller. "Sollte sich aber doch noch die Möglichkeit ergeben, auf Gruppensieg zu spielen, werden wir anrennen", legt Mats Hummels nach. Und das hemmungslos. Schließlich ist es ja auch so: Vor 20 Jahren gelang dem FC Bayern in der Gruppenphase bereits einmal ein 5:1 daheim gegen PSG. Giovane Elber (4./73.), Carsten Jancker (20./47.) und Thomas Helmer (50.) hatten getroffen. Allerdings endete der Traum vom Triumph damals dann in der ersten Runde der K.-o.-Phase, im Viertelfinale, gegen Borussia Dortmund.
Quelle: ntv.de