
Zuletzt gab es die wundersame Mischung aus Freude und Entsetzen.
(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)
WM-Debakel, Trainer-Chaos, Kommunikations-Pannen: Das Jahr 2023 läuft nach dem begeisternden Hoch ein Jahr zuvor für die DFB-Frauen total mies. Sie kommen immerhin mit einem blauen Auge davon, der Traum von Olympia lebt. Aber er wird begleitet von zahlreichen großen Aufgaben.
Tänzchen auf dem Rasen, strahlende Augen und breites Grinsen, Tore für die Euphorie. Nur wenige Tage später: Nichts mehr davon. Auf den WM-Wucherauftakt mit 6:0-Sieg gegen Marokko folgt das erstmalige Ausscheiden in der Gruppenphase. Auf das entscheidende 3:0 in der Nations League gegen Dänemark folgt das maue 0:0 gegen Wales. Die DFB-Frauen leisten sich ein Jahr voller Kontraste. Beim Jahresausgang kommen sie mit einem blauen Auge davon.
Die eigene Kraft erlahmt, der Blick bang aufs Parallelspiel gerichtet - beinahe hätte es für die DFB-Frauen am 4. Dezember ein Déjà-vu gegeben. Ein dramatisches, wegweisendes, mitten rein in die Sackgasse. Turnier-K.-o., der zweite innerhalb von vier Monaten. Auf WM-Debakel folgt die vorzeitige Olympia-Absage. Doch das wurde knapp abgewendet, der Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris lebt.
Herzlich bedanken muss sich das DFB-Team bei Island, das in der Nations League im letzten Spiel gegen Dänemark gewann und so dafür sorgte, dass das wieder einmal erschreckend schwache 0:0 Deutschlands in Wales für den Gruppensieg des DFB reichte. Die Nationalelf kann damit im Finalturnier um das Ticket nach Paris spielen. Dabei hatte das Team von Interimstrainer Horst Hrubesch nur drei Tage zuvor gegen Dänemark sein strahlendes Gesicht gezeigt und mit dem 3:0-Sieg die Konkurrentinnen in der Tabelle entscheidend überholt, um das Finalturnier zu buchen.
Im Sommer war dieselbe Situation noch anders geendet. Bei der Weltmeisterschaft in Australien hatte Deutschland im dritten Gruppenspiel gegen Südkorea nur 1:1 gespielt, da Marokko im Parallelspiel gegen Kolumbien gewann, war das Team der damaligen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erstmals in der WM-Gruppenphase ausgeschieden. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Aufmerksamkeit nie größer war. Die EM-Euphorie aus dem Vorjahr hatte so viele Verheißungen entfacht. Stattdessen: Enttäuschung. Auf allen Seiten.
Team mit zwei Gesichtern
Seitdem ist viel passiert, vor allem abseits des Rasens. Voss-Tecklenburg ist ausgelaugt, kann nicht mehr, lässt sich krankschreiben. Ihr Aus folgt nach Kommunikationsdebakel seitens des Verbands und ihr persönlich, Auftritten als Rednerin im bis dato nicht bekannt gewordenen Urlaub nach der Krankschreibung, Spielerinnen-Enttäuschung und -Gegenwehr, Gerüchten über internen Zwist auch im Trainergespann und Bevorzugung beziehungsweise Ignorieren von Spielerinnen. Inmitten des ganzen Chaos tritt Heilsbringer Hrubesch nach 2018 zum zweiten Mal bei den DFB-Frauen an. Im Dezember wird Nia Künzer für den neuen Posten als Sportdirektorin für den Fußball der Frauen beordert, während der langjährig tätige Joti Chatzialexiou seinen Hut nimmt.
Und auf dem Rasen? Da schafft Hrubesch die sportliche Wende zumindest teilweise. Die Spielerinnen äußern sich begeistert über den 72-Jährigen, der mit vielen noch seit seinem ersten Einsatz Kontakt hält. Fußballerisch wechseln sich Partien mit Spielfreude ab mit lahmenden Einsätzen. Ist das Team nun so gut wie gegen Dänemark oder so schlecht wie gegen Wales? Die zwei Gesichter bereiten Sorgen, zeigen sich aber nicht nur im Nationalteam.
Zwei internationale Turniere in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, dazu die Wolfsburgerinnen, die es bis ins Endspiel der Champions League schafften - es sind kräftezehrende Saisons. Das zeigt sich derzeit bei den Niedersächsinnen, die es nicht durch die Quali zur diesjährigen Champions-League-Saison schafften, die längst nicht so dominant wie sonst auftreten, bei denen etwa Sechserin Lena Oberdorf vielen kleinen Zipperlein Tribut zollt und zuletzt gar nicht für den DFB-Kader nominiert werden kann.
Immerhin: Unter Hrubesch ist beim DFB-Team ein leichter Aufwärtstrend erkennbar. Am Ende des Jahres steht das Minimalziel Teilnahme am Finalturnier Ende Februar. Auch, weil es das Glück diesmal gut mit dem Team meint.
Glückslos Frankreich gezogen
Das zeigt sich auch bei der Auslosung für die Finalspiele, der Wunsch vom Halbfinal-Spiel gegen Frankreich erfüllt sich. Sollte das Nachbarland, das als Gastgeber der Sommerspiele gesetzt ist, ins Endspiel einziehen, wäre auch der Drittplatzierte in Paris dabei. Deshalb ruhte die Hoffnung von Hrubesch auf Frankreich als Gegner. "Falls etwas schiefgeht, haben wir noch eine zweite Möglichkeit." Einziger Makel: Das DFB-Team muss am 23. Februar auswärts antreten, ein Heimspiel gibt es auch im Finale oder Spiel um Platz drei am 28. Februar nicht.
"Frankreich ist eine gestandene und gewachsene Mannschaft, die uns viel abverlangen wird", so Hrubesch. Und doch ist das Los begleitet von einem guten Omen. Denn die DFB-Frauen haben bei Welt- und Europameisterschaften noch nie gegen Frankreich verloren. Bei der so glänzend verlaufenen EM 2022 besiegte das Team dank zweier Tore von Kapitänin Alexandra Popp die Französinnen 2:1 im Halbfinale, nur zehn Wochen später gab es im Freundschaftsspiel erneut einen 2:1-Sieg.
Antreten wird das Team in Frankreich mit Hrubesch an der Seitenlinie, auch im Falle der Qualifikation wird er bei den Olympischen Spielen dabei sein, das bestätigte DFB-Präsident Bernd Neuendorf Mitte Dezember. Aber die Zwischenlösung ist auf Kante genäht, Hrubesch ist nur beim DFB, weil sein eigentlicher Arbeitgeber, bei dem er Nachwuchskoordinator ist, viel Geduld aufbringt. Ewig lässt sich diese nicht ausreizen. Und so läuft die Nachfolgersuche, jetzt unter tatkräftiger Mithilfe von Ex-Weltmeisterin Künzer, die als Pendant zu Rudi Völler bei den Männern die Weichen in eine erfolgreiche Zukunft stellen soll und will. "Es ist ganz entscheidend, dass jetzt nicht nur die Olympischen Spiele im Fokus stehen, sondern strategische Entscheidungen auf dem Weg zur EM 2025 in der Schweiz getroffen werden. Das muss jetzt zeitnah angegangen werden", hatte sie schon vor Amtsantritt der dpa gesagt. Die EM-Qualifikation startet direkt nach den Olympischen Spielen.
Coach drängt sich nicht auf
Wer Nachfolgerin oder Nachfolger von Voss-Tecklenburg und Hrubesch wird, ist natürlich eklatant wichtig. Während vor der Ernennung von Julian Nagelsmann bei den Männern zahlreiche Personalien als Gerüchte kursierten, sieht das bei den Frauen anders aus. Der Kandidatinnenkreis ist klein, Coaches im Vergleich unterrepräsentiert. Bleibt es bei einer deutschen Lösung oder kommt ein internationaler Repräsentant?
Ex-Nationalspielerin Inka Grings, nach der WM als Trainerin bei der Schweiz ausgeschieden, brachte sich schon einmal in Position: "Ich bin Deutsche, lebe in Deutschland und trage die 'deutsche Mentalität' in mir. Es ist sicherlich ein sehr anspruchsvoller Job, aber auch eine der interessantesten Stellen überhaupt", sagte sie T-Online. In 14 Länderspielen unter ihrer Regie war den Schweizerinnen, die zuvor auch Voss-Tecklenburg schon trainiert hatte, allerdings nur ein Sieg gelungen. Von internationalen Top-Größen wie Europas Trainerin des Jahres, Sarina Wiegmann, die mit England zweimal hintereinander ein Finale erreichte und zuvor mit ihrem Heimatland Niederlande Europameister geworden war, kann der DFB vermutlich aktuell nur träumen. Sie wird sogar mit Englands Nationalteam der Männer in Verbindung gebracht.
Mit der Trainerfrage, der Olympia-Qualifikation und der EM-Vorbereitung ist es aber noch immer nicht genug. Gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden bewirbt sich Deutschland um die Austragung der Weltmeisterschaft 2027. Ein weiteres Projekt, das den DFB schwer beschäftigt. Die Konkurrenz ist groß: Mexiko und die USA wollen nur ein Jahr nach den Männern auch die Frauen beherbergen, zudem meldet Brasilien Ansprüche an. Einen Favoriten gibt es nicht. Für Deutschland wäre es nach 2011 die nächste WM der Frauen. Ganz nebenbei muss Künzer auch noch die zuletzt unglückliche Kommunikation wieder in die richtigen Bahnen leiten. Nach dem WM-Debakel hatte Neuendorf Voss-Tecklenburg eine Jobgarantie ausgesprochen, diese musste zurückgezogen werden. Die Differenzen zwischen Team und Trainern während der WM und schon im Trainingslager zuvor sollen die Verbandsbosse zudem zu spät kalt erwischt haben.
Es gibt große Aufgaben zu bewältigen. Für die Spielerinnen auf dem Platz und für alle Verantwortlichen abseits des Rasens. Aus diesem Krisen-Jahr stolpern alle gemeinsam mit einem blauen Auge. Endgültiger Knockout oder triumphales Comeback? Der Kampf um das Olympia-Ticket dürfte wegweisend werden für alles, was ansteht.
Quelle: ntv.de