Dunkle Welt des Sportswashing "Schauspieler" Ronaldo verkommt zum Machtinstrument
11.01.2023, 19:53 Uhr
Cristiano Ronaldo schreitet in eine neue Karriere.
(Foto: picture alliance / AA)
Im Fahrwasser von Cristiano Ronaldo sollen Heerscharen alternder Fußballstars wie Marco Reus aus Europa nach Saudi-Arabien wechseln. Die Gerüchteküche kocht über, das Geld sprudelt aus dem Boden. Das Wettrennen um die Macht am Golf nimmt Fahrt auf. Es geht um Milliarden und die Zukunft.
Cristiano Ronaldo richtet es sich weiter gemütlich in seiner neuen Scheinwelt ein. Der ehemalige Weltklasse-Spieler entwickelt sich in Saudi-Arabien zu einem mächtigen Magneten, der die einst großen Namen des europäischen Fußballs nach Riad zieht. Die können sich in der Hauptstadt Saudi-Arabiens die letzten Jahre der Karriere zumindest finanziell angenehm gestalten. Im Gegenzug schenken sie dem Wüstenstaat ihre Namen für die Verwirklichung der Vision 2030. Diese soll das Königreich mit dem latenten Hang zur Menschenrechtsverletzung und Journalistenzerstückelung neu aufstellen, von der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten befreien und ein neues, freundlicheres Image bescheren.
Marco Reus, Sergio Ramos, Eden Hazard, Luka Modrić, N'Golo Kanté und Roberto Firmino: Sie alle wurden in den Tagen seit dem Ronaldo-Wechsel auf das Plateau inmitten der saudischen Wüstenlandschaft mit Al Nassr in Verbindung gebracht. Der Tabellenführer der Saudi Pro League hat sich binnen weniger Wochen zum womöglich beliebtesten Klub der Mit- und Enddreißiger des Weltfußballs verwandelt, wird bei Vertragsgesprächen nun als das alternative Jahrhundertangebot ins Gespräch gebracht. "Es ist doch ganz normal, dass andere Vereine Interesse haben an einem Spieler wie Marco, dessen Vertrag in sechs Monaten ausläuft", erklärte dazu Reus-Berater Dirk Hebel kürzlich und freute sich gewiss über die aufblühenden Gerüchte vor den anstehenden Vertragsgesprächen in Dortmund.
Das neueste Gerücht sieht Barcelonas Mittelfeldlegende Sergio Busquets auf dem Weg nach Riad. Mit 34 Jahren befindet sich der nach der WM aus der spanischen Nationalmannschaft zurückgetretene Busquets ebenfalls auf der Zielgeraden seiner Laufbahn. Den katalanischen Giganten Barça wird er im Sommer verlassen. Bislang galt als gesichert, dass er sich dann David Beckhams MLS-Projekt Inter Miami anschließen wird. Doch die Verhandlungen mit dem Klub aus Florida ziehen sich hin, es gibt noch keine Einigung. Wieso also nicht Saudi-Arabien, das Land, in dem Cristiano Ronaldo mittlerweile in einem gigantischen Flaschenöffner, dem "Four Seasons Hotel" in Riad, residiert?
Saudi-Arabien nach verschlafenem Start unter Druck
Was auf den ersten Blick nur ein Argument in den Vertragsverhandlungen ist, stellt auf den zweiten Blick natürlich auch eine Amerikanisierung des saudischen Fußballs dar. Noch vor einigen Jahren zog es alternde Fußballer nahezu ausschließlich in die US-Profiliga MLS. Doch dort stehen keine vier Jahre vor der Nordamerika-WM 2026 genauso viele Weltmeister unter Vertrag wie in der Bundesliga (sowohl Leverkusens Exequiel Palacacio als auch Atlanta Uniteds Thiago Almada blieben in Katar Randfiguren). Die Entwicklung des Fußballs in den Vereinigten Staaten ist längst fortgeschritten. Fußballer aus den europäischen oder südamerikanischen Ligen unterschreiben dort nur noch selten, um noch einmal abzukassieren. Aus der Rentnerliga ist eine etablierte Liga geworden, aus der sogar eine Rückkehr nach Europa möglich scheint.

Ronaldo bringt seinem neuen Klub sehr viel Aufmerksamkeit.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
All das ist vorerst kein Thema für Saudi-Arabien. Sie wollen nur glänzen und mit Cristiano Ronaldo die Welt und die eigene Bevölkerung, die zu 70 Prozent unter 35 ist, ein wenig unterhalten. Was ihnen für den Moment auch respektabel gelungen ist. Der Instagram-Account des Vereins legte seit der Verpflichtung Ronaldos Ende Dezember bereits um über zehn Millionen Follower auf mehr als elf Millionen zu, der arabischsprachige Twitter-Account erreicht mit 3,8 Millionen Followern beinahe die 4,3 Millionen von Borussia Dortmund. Der außerhalb Asiens wenig bekannte Verein hat sich innerhalb kürzester Zeit auf die Landkarte des Weltfußballs gesetzt, wenn auch nicht aus sportlichen Gründen.
"Saudi-Arabien hat vor ein paar Jahren erkannt, dass es mehr braucht als nur Hard Power, also militärische und politische Ressourcen, um international eine mächtige Nation zu sein", sagte Danyel Reiche, ein Gastwissenschaftler an der Georgetown University Qatar, kürzlich auf CNN: "Man muss ebenso in Soft Power investieren. Katar zeigt, dass das ziemlich gut funktionieren kann." Der kleine Nachbar Saudi-Arabiens sichert seine Existenz bereits seit gut einem Vierteljahrhundert durch Sportveranstaltungen ab, konnte sich durch die damals noch über die ausgerechnet vom Königreich Saudi-Arabien initiierte Blockade Mitte der 2010er retten.
Das große Vorbild Katar

Kronprinz Mohammed bin Salman trifft den Emir von Katar (v.r.) im Dezember 2022 beim GCC in Riad.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Die Winter-WM 2022 war der Schutzschild des Emirats, das längst auch feinmaschig mit der internationalen Politik verwoben war. Mit dem Ende des letztendlich nur in Europa und den USA umstrittenen Turniers fielen einige Katarer laut der lokalen Nachrichtenseite "Doha News" in "Post-WM-Depressionen". Andere stürzten sich mit Eifer in die Vorbereitungen für die geplante Olympia-Bewerbung 2036. Katar soll langfristig zur Sportkapitale der Welt werden. Und baut parallel weiter am eigenen Imperium im Weltfußball. Wie auch die sich im mehrheitlichen Besitz der Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate befindlichen City Football Group mit dem Flaggschiff Manchester City und dem MLS-Klub New York City FC, strebt auch Katar langfristig Dominanz im Klubfußball an.
Nasser al-Khelaifi, Präsident und Lenker des Messi-Klubs Paris Saint-Germain, soll mit seiner Qatar Sports Investment (QSI) nun auch eine Minderheitsbeteiligung an mindestens einem Verein der englischen Premier League anstreben. Tottenham Hotspur, der FC Liverpool und Manchester United sind in der engeren Wahl. In den letzten zwölf Jahren konnte sich Al-Khelaifi bei der UEFA, der europäischen Fußballunion, eine Hausmacht aufbauen. Bayern München verhandelt unterdessen dieser Tage über einen neuen, hoch dotierten Vertrag mit Qatar Airways. Der Werbedeal ist zwar bei den Fans des Rekordmeisters auf großen Widerstand gestoßen, bis zu den Vereinsoberen sind die Argumente jedoch nie durchgedrungen. Zu den anderen Investments des Emirats gehören unter anderem prestigeträchtige Pferderennen in England und Frankreich, Investitionen in den Cricket-Sport und natürlich auch die Ausrichtung der Leichtathletik- und Handball-Weltmeisterschaften in den 2010er Jahren.
Viele Weltmeisterschaften, Olympia-Ambitionen, Fußballklubs, Pferderennen: So weit ist Saudi-Arabien noch lange nicht. Doch nach dem Vorbild des kleinen Nachbarn will auch das Königreich jetzt den Sport als geopolitisches Instrument einsetzen. Nach dem ersten großen Investment beim englischen Traditionsverein Newcastle United locken sie nun also die Stars direkt in die Wüste, auch um ihren Bemühungen um die WM 2030 Nachdruck zu verleihen. Mit Ronaldo und der Verpflichtung Lionel Messis als Botschafter des Königreichs außerhalb des Platzes sind die beiden prägenden Figuren des Weltfußballs der letzten Generation vertraglich an Saudi-Arabien gebunden.
Was sich das Königreich von der WM 2030 erhofft

Bin Salman jubelt beim 2:1 seiner Saudis über Argentinien und FIFA-Boss Gianni Infantino richtet seine Hose.
(Foto: picture alliance / firo Sportphoto /PSI)
Der WM-Sieg und die endgültige Legendenwerdung Messis in Katar, dem Staat, der über Paris Saint-Germain für einen Großteil seines Auskommens sorgt, haben den Argentinier noch wertvoller werden lassen. In diesem Nach-WM-Januar ist Saudi-Arabien ohnehin das Zentrum der Fußballstar-Welt. Messi und Ronaldo werden sich in wenigen Tagen ein letztes Showduell auf dem Platz liefern und die spanische Liga fliegt ihre Stars für den Supercup ein. Auch der deutsche Weltmeister Toni Kroos wird mit Real Madrid dabei sein. Die fehlenden Rechte der LGBTQI-Community müssen ihm egal sein. Vor der WM hatte er Katar dafür noch kritisiert. Eine komplexe Welt, durch die sich die Fußballer navigieren müssen und in der sie manchmal den Überblick verlieren.
Momentan ist die gemeinsame Bewerbung mit Ägypten und Griechenland nicht mehr als ein sehr konkretes Gerücht, das noch während der WM vom allmächtigen FIFA-Präsident Gianni Infantino befeuert wurde. Der zeigte sich nicht nur gerne gemeinsam mit dem Kronprinzen Mohammed bin Salman, sondern deutete auf seiner finalen Pressekonferenz auch weitere Weltmeisterschaften im Winter an - eine zwingende Voraussetzung für eine weitere Wüsten-WM. Eine Weltmeisterschaft, von der einige Beobachter erwarten, dass sie ausschließlich in Saudi-Arabien und nicht zusätzlich noch in Griechenland und Ägypten stattfinden könnte. Ein derartiges globales Event würde dem verschlossenen und ultrakonservativen Königreich ebenfalls zu einem neuen Image verhelfen.
Wie Ronaldo zum Schauspieler wurde
Wie Katar geht es Saudi-Arabien in erster Linie nicht um den Sport. Vielmehr geht es dem Land neben der Diversifizierung und dem Sportswashing auch darum, sich in der Golf-Region gegenüber Katar oder den ebenfalls hochambitionierten Vereinigten Arabischen Emiraten als die Sporthochburg schlechthin zu positionieren. Fußball und die für 2029 geplanten, reichlich bizarren Asien-Winterspiele nahe der noch im Entstehen begriffenen Wüsten-Wolkenkratzerstadt Neom sind Bausteine dieser Strategie. Zudem hat sich das Königreich in den letzten Jahren dafür unter anderem mit der Schwergewichts-WM im Boxen zwischen Andy Ruiz Jr und Anthony Joshua sowie der als "Blutgeld-Tour" kritisierten, weil millionenschweren LIV Golf International Series einen Namen gemacht. Wie in jedem anderen Golf-Staat, der was auf sich hält - also Katar, den VAE und Bahrain - macht auch der Formel-1-Zirkus Station im Land.
Das alles ist Teil einer Entwicklung, die den Sport und natürlich in erster Linie den Fußballsport immer weiter vom Kern des Geschehens auf dem Rasen entfremdet. "Ronaldo als den bestbezahlten Fußballer der Welt zu bezeichnen ist so, als würde man Tom Cruise den bestbezahlten Kampfpiloten der Welt nennen", schrieb der "Guardian" in dieser Woche: "Es bedarf eines Realitätschecks. Ronaldo mischt im Sport nicht mehr mit. Er ist ein Schauspieler, ein öffentlicher Verstärker, ein Machtinstrument." All das war bereits bei der Fußball-WM in Katar zu beobachten. Schon dort war der achthundertfache Torschütze nicht mehr als ein viel umjubelter Fußballprofidarsteller. War er einer, der den Fußball längst hinter sich gelassen hatte, aber die Massen immer noch begeisterte - der perfekte Kandidat für die neue Schweinwelt des Fußballs, die direkt in die geopolitischen Abgründe am Golf führt.
Quelle: ntv.de