Ein Spiel, ein Haus, eine Bedrohung Das kann blutig werden - muss es aber nicht
30.08.2015, 19:34 Uhr
Hayden Panettiere spielt Sam.
(Foto: Sony)
Ein einsamer, verschneiter Berg, eine Schwester, die aus dem Totenreich spricht, eine tödliche Bedrohung - wer wird überleben? Die Verantwortung für die feierwilligen jungen Erwachsenen hat der Spieler. Dabei helfen 22 Schmetterlinge.
Es ist dunkel. Noch mehrere Stunden bleiben bis zum Morgengrauen. Trotzdem ist Michael der Gestalt in das halb verfallene Sanatorium auf dem Berg gefolgt. Nur noch ein blutverschmiertes Unterhemd trägt er am Oberkörper. In der großen Empfangshalle öffnet er eine weitere Tür. Etwas springt aus dem Schatten hervor, knurrt bedrohlich; ein Wolf. Michael überlegt kurz und entscheidet sich gegen einen Tritt. Puff. Schmetterlingseffekt.

Selten sind so viele Charaktere zusammen - häufig verläuft die Handlung an mehreren Orten zugleich.
(Foto: Sony)
Hier auf Mount Madahee verschwanden im Jahr 2013 zwei Schwestern. Ihr Bruder Josh lässt sich nicht beirren: Er lädt auch im nächsten Winter wieder seine Freunde in das Ferienhaus seiner Eltern in den Blackwood Pines. Ein abgelegener Berg, feierwillige junge Erwachsene, eine ungeklärte Vorgeschichte; so sieht eine günstige Konstellation für einen typisch amerikanischen Teen-Slasher-Horrorfilm der 1980er Jahre aus. Das Videospiel "Until Dawn" transportiert das Genre nun auf die Spielkonsole.
Fluch und Segen des Mediums Videospiel ist, dass es so viele Möglichkeiten bietet. Für Geschichtenerzähler bedeutet das meist, dass sie Schienen bauen, den Spieler auf ihre Draisine setzen und sagen: Wenn Du wissen willst, wie es weitergeht, musst Du dafür mehr tun, als nur auf den Startknopf des Bluray-Players zu drücken. Der Schmetterlingseffekt bedeutet: Jedes Vorkommnis, sogar jeder Flügelschlag eines Schmetterlings kann die Zukunft völlig verändern. Etwa entscheiden, welche Fragen eine der toten Schwestern auf dem Hexenbrett beantworten soll, um dem Geheimnis ihres Verschwindens auf die Spur zu kommen.
In "Until Dawn" gibt es 22 solcher Situationen, die auch den Tod bedeuten können. Darauf verdichtet sich der Ausflug in den Schnee, und die Autoren des Spiels schrieben dafür über vier Jahre lang ein mehr als 10.000 Seiten starkes Skript. Da der Spieler Entscheidungen treffen kann, müssen unterschiedliche Pfade für ihn angelegt werden. "Wenn eine Szene geändert wurde, bekamen wir Panik, weil es so viele andere folgende verändern konnte", erzählt Graham Reznick von Supermassive Games. Auch wenn es meist nur leichte Abweichungen sind: Während ein Durchlauf von "Until Dawn" etwa zehn Stunden dauern kann, ist ein Vielfaches davon enthalten.
Spannend und aufwühlend
Der Spieler steuert die verschiedenen Charaktere im Wechsel durch die Nacht. Mindestens eine Gestalt hat es auf die Gruppe abgesehen, das wird auch den Beteiligten schnell klar - zunächst sind es kleine Hinweise, dann zeigt sich der Angreifer offen. Wie geht der Spieler mit der Bedrohung um? Wer von den acht jungen Erwachsenen überlebt? Es sind immer diese grundsätzlichen Fragen, die sich durch das Spiel ziehen, das zeitweise wirklich wie ein Film anmutet. Wenn die unterschiedlichen Folgen dieser Entscheidungen unmittelbar erkennbar werden, hat "Until Dawn" seine stärksten Momente.
Die Entwickler haben ihre Aufgabe auch insgesamt gut gelöst: Wechselnde Kameraperspektiven, ein bisschen postpubertärer Beziehungsstress, ein paar Pseudo-Schreckmomente, die nur die Ungewissheit über die Zeitpunkte verstärken sollen, wann die externe Bedrohung seine Auftritte hat und den typischen Story-Cocktail in Flüssigsprengstoff verwandelt. Und dann gibt es da noch den übereifrig wirkenden Dr. Hill (Peter Stormare), der die Psyche des Spielers holzschnittartig vermisst, sich aber mehr und mehr in die Erzählung einfügt.
Das alles ist spannend und zuweilen aufwühlend, aber trotzdem erreicht das Spiel nicht die erzählerische und emotionale Dichte von "Heavy Rain" oder auch "Beyond Two Souls". Das hat nicht nur, aber auch mit den Gesichtszügen zu tun, die trotz Motion Capturing manchmal seltsam verzerrt wirken. Sam (Hayden Panettiere) macht die beste Miene zum tödlichen Spiel, eine ordentliche Partie liefert auch Michael (Bratt Dalton) ab.
"Until Dawn" integriert erfolgreich eine ganze Reihe von Elementen, die den Spieler in verschiedene Rollen versetzen - des Beobachters, des Detektivs, der beteiligten Charaktere, sogar der Bedrohung. Die erzählerischen Schienen sind zwar weiterhin deutlich erkennbar. Aber die Entwickler sind zumindest ein Stückchen weitergekommen: Sie haben einen Tunnel gebaut, das Licht ausgeknipst und dem Spieler eine Taschenlampe gegeben. Ihm ist überlassen, wer sie bis zum Ende in der Hand halten kann.
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Quelle: ntv.de