"Große Opfer, wenig Nutzen" Griechenland spart sich arm
19.03.2015, 16:03 Uhr
Ein Mann spricht vor seinem Mittagessen in der Suppen-Küche der Orthodoxen Kirche "Galini" ein Tischgebet.
(Foto: REUTERS)
Nach den aufgeheizten Griechenland-Debatten der vergangenen Tage würde Ökonom Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) das Augenmerk gerne wieder auf Probleme der griechischen Bevölkerung legen. Einer von dem gewerkschaftsnahen IMK in Auftrag gegebenen Studie zufolge ist hier die Situation noch düsterer als erwartet: Überzogene Lohnkürzungen und Steuererhöhungen haben die Einkommen einbrechen und die Armut wachsen lassen. Insgesamt gingen den Haushalten im Schnitt rund 40 Prozent an Einkommen verloren.
"Millionen von Menschen sind durch eine überharte und sozial völlig unausgewogene Austeritätspolitik wirtschaftlich abgestürzt", erklärt Horn. Volkswirtschaftlich betrachtet hätten die Opfer wenig Sinn gehabt, konstatieren die Athener Wirtschaftsprofessoren Tassos Giannitsis und Stavros Zografakis, die die IMK-Studie durchgeführt haben. Die Löhne und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage seien so stark gesunken, dass die griechische Wirtschaft noch lange brauchen wird, um auf die Beine zu kommen.
n-tv.de: Ihre Studie kommt zu einem verheerenden Ergebnis. Haben Sie mit einem derartigen Einbruch der Einkommen in Griechenland gerechnet?
Gustav Horn: Von der Tendenz her sicherlich. Aber im Ausmaß bin ich erschüttert. Das ist eine Studie über ein Land, das verarmt. Das ist sehr bedrückend. Stellen Sie sich vor, Ihnen würden 40 Prozent Ihres Einkommens fehlen, um Lebensmittel zu kaufen, das tägliche Leben zu bestreiten. Eine dramatische Entwicklung. Insbesondere da sich hinter dieser schon sehr hohen Durchschnittszahl für einzelne Einkommensgruppen und Haushalte noch viel stärkere Rückgänge messen lassen.
Tassos Giannitsis: Die Studie zeigt vor allem, wie sich das Gesicht der Armut verändert hat. So mussten vor allem Mitarbeiter privater Unternehmen Lohneinbußen hinnehmen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind dagegen geschont worden.
Wie setzen sich die rund 40 Prozent an Einkommenseinbußen zusammen?
Tassos Giannitsis: Durchschnittlich sind alle Bruttoeinkommen um 24 Prozent zurückgegangen. Plus Steuern sind wir bei einem Rückgang von 32 Prozent. Wenn man noch den Inflationseffekt hinzu zieht, kommt man auf einen realen Rückgang von mehr als 39 Prozent.
Geben die Zahlen Finanzminister Yanis Varoufakis Recht, der von einer durch den Sparkurs ausgelösten humanitären Krise spricht?
Gustav Horn: Es ist eine humanitäre Krise, das ist unbestreitbar. Nur muss man vorsichtig sein mit den Zuschreibungen von Schuld und Unschuld. Der Beginn der Krise liegt in Griechenland. So haben unter anderem die hohen Inflationsraten die Krisenmaßnahmen ja erst erforderlich gemacht.
Aber es waren vielleicht falsche und überzogene Krisenmaßnahmen, die auch noch falsch und überzogen umgesetzt wurden. Da haben also viele daran mitgewirkt, dass es zu dieser Katastrophe gekommen ist.
Hatte der Sparkurs auch einen messbaren Nutzen? Steht Griechenland in einigen Bereichen besser da als vor dem Austeritätskurs?
Gustav Horn: Die Haushaltslage hat sich in dem Sinne verbessert, dass Griechenland mittlerweile einen sogenannten Primärüberschuss hat. Das bedeutet, dass die laufenden Ausgaben aus dem laufenden Haushalt bestritten werden können. Nur die Zinszahlungen sind noch nicht abgedeckt. Griechenland ist beim Export, im Tourismus wettbewerbsfähig geworden. Das ist ein Erfolg. Aber der Preis dieses Erfolges ist sehr hoch.
Die neue Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras hat ein 200-Millionen-Paket zur Bekämpfung der Armut aufgelegt. Ist das genug?
Gustav Horn: Ich würde das als einen sinnvollen Anfang bezeichnen. Wir sehen, dass gerade Haushalte aus dem niedrigen Einkommensbereich besonders gelitten haben. Wenn man diese Menschen gezielt fördert, ist das sicherlich für die gesamte Wirtschaft Griechenlands gut. Weil diese Haushalte das Geld auch wieder ausgeben werden. Das kommt dann wieder der griechischen Wirtschaft zugute.
Was muss die Regierung noch ändern?
Gustav Horn: Natürlich gibt es langfristige und kurzfristige Dinge, die getan werden müssen. Zum langfristigen zählen sicher der Aufbau eines vernünftigen Steuersystems, was auch die Eintreibung der Steuer beinhaltet sowie die korrekte Messung der Steuerbasis wie Kataster und ähnliches. Das muss in Angriff genommen werden. Ebenso das Problem der Steuervermeidung. Das sind aber langfristige Vorhaben. Kurzfristig würde ich die Ausgaben etwas steigern, sowohl investiv als auch im Sozialbereich bei niedrigen Einkommen.
Tassos Giannitsis: Wenn man Wachstum will, braucht man Stabilität und Vertrauen. Neben Investitionen und einer Ausgabenpolitik brauchen wir eine gezieltere Sozial- und Beschäftigungspolitik. Das Problem ist, dass diese Themen nicht nacheinander, sondern parallel angepackt werden müssen. Das überfordert das Land, die Gesellschaft, die Regierungen.
Was müssen Ihrer Ansicht nach die Troika und Geberländern, insbesondere Deutschland, tun?
Gustav Horn: Wir brauchen jetzt einfach einen Verhandlungsprozess, der den Spielraum bei den Ausgaben erhöht. Außerdem brauchen wir eine tragfähige Schuldenregelung für die griechische Regierung. Die griechische Regierung sollte die hier eingegangenen Verpflichtungen einhalten.
Das IMK der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat nach eigenen Angaben eine repräsentative Stichprobe von Steuerdaten ausgewertet. Dazu gehörten unter anderem Datensätze von rund 260.000 Haushalten aus den Jahren 2008 bis 2012. Hier geht es zur Studie.
Professor Gustav A. Horn leitet seit 2005 das IMK. Dort ist Horn auch für die Konjunkturprognose des Instituts zuständig. Horn ist SPD-Mitglied.
Professor Tassos Giannitsis lehrt an der Athener Universität. Der Wirtschaftswissenschaftler hatte zudem unter verschiedenen griechischen Regierungen Ministerämter inne, zuletzt war er vom November 2011 bis Mai 2012 griechischer Innenminister. Giannitsis gehört der sozialdemokratischen PASOK an.
Das Interview führte Samira Lazarovic
Quelle: ntv.de