Vattenfallklage gegen Atomausstieg Schiedsgericht macht auf transparent
10.10.2016, 15:22 Uhr
Vattenfall akzeptiert laut eigener Darstellung den deutschen Atomausstieg. Für die Stillegung des Kernkraftwerks Krümmel will der Konzern aber eine saftige Entschädigung.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wichtige Dokumente zur Milliardenklage von Vattenfall gegen Deutschland sind bislang geheim. Die Verhandlung vor einem privaten Schiedsgericht wird nun im Internet übertragen. Kritiker des umstrittenen Verfahrens besänftigt das nicht.
Wenn Bundestagsabgeordnete Dokumente zur Milliardenklage von Vattenfall gegen die Bundesregierung einsehen wollten, konnten sie das bislang nur in der Geheimschutzstelle des Parlaments tun. Der Energiekonzern und die Regierung hielten nahezu alle Details über den Streit vor dem Internationalen Zentrum für die Schlichtung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) um die von Vattenfall geforderte Entschädigung für die Schließung seiner Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel geheim.
Nun eine vermeintliche Kehrtwende: "Wir sind überzeugt, dass Transparenz für das Verständnis dieses Falls hilfreich ist", sagte Anne Gynnerstedt, die Leiterin der Rechtsabteilung bei Vattenfall. Sie teilte mit, dass die nun beginnende mündliche Verhandlung in Washington im Internet übertragen werde.
"Das ist ein Fortschritt", sagt Jürgen Knirsch von Greenpeace n-tv.de, "allerdings noch ein theoretischer". Denn für die nun plötzlich beschworene Transparenz gelten entscheidende Einschränkungen. Bei der Übertragung auf der Internetseite der ICSID gibt es eine Verzögerung von vier Stunden - für den Fall, dass "sensible" Informationen zur Sprache kämen, sagt eine Vattenfallsprecherin gegenüber n-tv.de. Unabhängige Beobachter oder Journalisten vor Ort im Saal gibt es nicht.
Außerdem sei es fraglich, ob man die Anhörung überhaupt nachvollziehen könne, solange die entscheidenden Schriftstücke nicht veröffentlicht seien, sagt Knirsch. "Für den Zuschauer könnte die Erkenntnis sehr beschränkt sein, wenn in der Verhandlung auf den Inhalt von Dokumenten Bezug genommen wird, die er nicht kennt."
Milliardenforderung nicht bestätigt
Bekannt ist bislang lediglich, dass Vattenfall für die Stilllegung der beiden Atomkraftwerke 2011 nach der Katastrophe von Fukushima entschädigt werden möchte. Dabei beruft sich das Unternehmen auf die Internationale Energiecharter, ein Abkommen zum Schutz von Investitionen im Energiebereich. Welche Bestimmungen Vattenfall konkret anführt, ist allerdings unbekannt. Denn vier Jahre nach Beginn des Verfahrens sind noch immer so zentrale Dokumente wie die Anklageschrift von Vattenfall und die Anträge der Bundesregierung an das Schiedsgericht geheim. Selbst die Summe von 4,7 Milliarden Euro, die das Unternehmen offenbar fordert, wurde bislang nicht offiziell bestätigt.
Diese Geheimhaltung macht es Beobachtern schwer, Vattenfalls Position nachzuvollziehen. Angenommen wird bisher, dass der Konzern die sprunghafte Politik der damaligen Bundesregierung als indirekte Enteignung einstufen lassen will. Das schwarz-gelbe Kabinett hatte gerade erst die Verlängerung der Laufzeiten für Deutschlands Atomkraftwerke beschlossen, bevor es 2011 nach Fukushima plötzlich den Atomausstieg beschleunigte und die ältesten Meiler sofort vom Netz nahm. Die Unternehmen sahen sich um ihre Investitionen gebracht.
Negatives Beispiel Schiedsgerichte?
Freihandelsgegner sehen in dem Fall ein Paradebeispiel für ihre Kritik an privaten Schiedsgerichten für Auslandsinvestitionen. Sie bemängeln an dem Vattenfall-Verfahren außer der mangelnden Transparenz auch, dass einem ausländischen Konzern ein Sonderklageweg zur Verfügung steht, den die deutschen Kraftwerksbetreiber gegen die eigene Regierung nicht gehen können. Gleichzeitig klagt Vattenfall allerdings auch gemeinsam mit Eon, RWE und ENBW vor dem Bundesverfassungsgericht.
Für Knirsch bleibt zwar die Strategie von Vattenfall zunächst weiter undurchsichtig. Dennoch erkennt er in der Übertragung des Schiedsverfahrens einen Fortschritt. "Dass der ICSID den Prozessparteien inzwischen diese Möglichkeit gibt und auch immer mehr Informationen auf seiner Homepage veröffentlicht, zeigt, dass die öffentliche Debatte über private Schiedsgerichte im Rahmen von TTIP bei den Beteiligten ankommt."
Quelle: ntv.de