K(r)ampf mit dem Verbrenner-Aus Warum Auto-Bosse genervt sind und von der Leyen immer mehr einknickt
12.09.2025, 19:37 Uhr Artikel anhören
Das Verbrenner-Aus ab 2035 kommt "schnellstmöglich" auf den Prüfstand. Ist das die Rolle rückwärts in der EU?
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Spitzen der europäischen Autoindustrie werben bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erneut für mehr Spielraum beim geplanten Verbrenner-Aus. Von der Leyen signalisiert: Der Kurs bleibt, rückt aber in Trippelschritten davon ab. Manche können die Debatte nicht mehr hören.
Der EU-Beschluss steht seit 2022: Ab 2035 dürfen Neuwagen mit klassischen Verbrennungsmotoren nicht mehr zugelassen werden. Damit soll der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Zwei Zugeständnisse hatte Brüssel beim Verbrennerverbot bereits gemacht - eine Ausnahme für E-Fuels sowie eine Lockerung der CO2-Flottengrenzwerte. Die neuen Grenzwerte müssen nach der Lockerung im Frühjahr nicht mehr in diesem Jahr erreicht werden, sondern nur im Durchschnitt der drei Jahre 2025 bis 2027. Doch die Branche fordert vehement weitere Entlastungen.
Am heutigen Freitag kamen Vertreter der Autoindustrie mit der EU-Kommission zusammen, um erneut über die Zukunft einer Branche mit 13 Millionen Beschäftigten in der EU zu beraten, die ohnehin unter Druck steht. Im Vorfeld hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zwar hohen Erwartungen eine Absage erteilt. In einem Positionspapier, das dem "Handelsblatt" vorlag, betonte sie, die EU halte am Zeitplan für das Verbrenner-Aus fest. "Die Zukunft ist elektrisch", hatte sie auch in ihrer Rede zur Lage der EU am Mittwoch bekräftigt. Nach dem Treffen hörte sich das jedoch anders an: Die EU will das Verbot von Verbrennermotoren bei Neuwagen ab 2035 ein Jahr früher als geplant, noch Ende dieses Jahres, überprüfen. Von der Leyen erklärte bei X, sie habe "die Bedenken der Industrie gehört".
Autoindustrie unter Druck
Drei Jahre nach dem Beschluss und mehreren Anpassungen später geben die Branchenvertreter nicht auf. Nachrichten über Gewinneinbrüche und Stellenstreichungen aus der Branche reißen nicht ab. Hersteller und Verbände beklagen hohe Kosten durch die Transformation zur Elektromobilität, eine schwache Nachfrage nach Elektroautos und massiven Druck durch die Konkurrenz aus China. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) und auch Bundeskanzler Friedrich Merz fordern deshalb mantraartig "mehr Flexibilität".
Stand heute müssen die Autobauer ihre Flottenemissionen schrittweise senken: Bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 2021, bis 2035 auf null. Wer die Ziele verfehlt, riskiert Milliardenstrafen. Der europäische Branchenverband ACEA rechnet allein für das Jahr 2025 mit Strafzahlungen von bis zu 15 Milliarden Euro für die europäische Autoindustrie. Das würde ihre angespannte Lage weiter verschärfen.
Selbst einzelne Vertreter der Grünen, lange wichtigste Verteidiger des Verbrennerverbots, signalisierten Bereitschaft zu einem Verschieben der Zielvorgaben. Parteiveteran Cem Özdemir sprach sich im Interview mit dem "Handelsblatt" für einen "Schulterschluss von Industrie und Politik" aus, der beim "Wann" Spielräume lassen solle - beim "Wohin" aber klar bleiben müsse. Özdemir ist Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 8. März nächsten Jahres im Autoland Baden-Württemberg. Auch Grünen-Faktionschefin Katharina Dröge befeuerte mit Äußerungen im "Bericht aus Berlin" die Debatte.
Die Zermürbung wächst
Das Hin und Her beim Verbrenner-Verbot sorgt in der Branche aber auch zunehmend für Frust. Audi-Chef Gernot Döllner hält die Debatte um eine erneute Aufweichung für "kontraproduktiv": "Ich kenne keine bessere Technik als das Elektroauto, um in den nächsten Jahren beim Klimaschutz voranzukommen", sagte er jüngst der "Wirtschaftswoche". Anstatt die Vorzüge des E-Autos zu betonen, werde immer wieder die Diskussion um den Erhalt des Verbrenners geführt. Jeder neue Streit um den Verbrenner verunsichere die Kunden.
Auch VW-Chef Oliver Blume warnte vor einem "ständigen Infragestellen". BMW-Chef Oliver Zipse nennt das Verbrenner-Aus zwar einen "Riesenfehler", doch selbst er lehnt weitere Aufweichungen ab: "Wir kennen die Ziele seit 2019. Wer sie nun verschiebt, verspielt Glaubwürdigkeit." Diese Gefahr sieht auch Branchenexperte Stefan Bratzel: "Man kann sich auf Entscheidungen nicht mehr verlassen." Das Verbot habe zu "ideologischen Grabenkämpfen" geführt. Ein Rückzug vom Verbot wäre "hochkritisch" und würde die Verunsicherung von Kunden und Investoren verstärken, sagt der Leiter des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach im Gespräch mit ntv. Es könnte zudem das Signal an die Hersteller sein, den Fuß vom Gas zu nehmen.
Fortschritte bei der Elektrifizierung
Während die Industrie laut stöhnt, ist die Elektrifizierung längst Realität. Laut dem Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation (ICCT) hat Europa im ersten Halbjahr 2025 einen Rekordmarktanteil von 17 Prozent neu zugelassenen reinen Elektroautos erreicht - Tendenz steigend. Die EU ist inzwischen Nettoexporteur vollelektrischer Fahrzeuge und der weltweit zweitgrößte Produzent. "Die Entscheidung ist getroffen, es geht Richtung reine Elektrofahrzeuge", sagt ICCT-Europa-Chef Peter Mock im Gespräch mit ntv.
Auch bei den Klimazielen gibt es laut ICCT Fortschritte. "Die Hersteller sind nur noch neun Gramm von ihrem nächsten CO₂-Ziel für 2027 entfernt", sagt Mock. Sinkende Batteriekosten und ein Fahrt aufnehmender Ausbau der Ladeinfrastruktur verbessern die Perspektiven zusätzlich.
Lange galt der Preis als größtes Hindernis für E-Autos. Doch auch hier hat sich der Markt verändert. Eine Studie der Boston Consulting Group im Auftrag von Charge France zeigt: Elektroautos sind in der Anschaffung kaum noch teurer als Verbrenner - und im Unterhalt bereits günstiger.
China ist die Benchmark
Der größte Druck, die Transformation zu beschleunigen, kommt von außen. Wer international mithalten will, muss sich am Weltmarktführer messen lassen. Laut dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) sind in China mittlerweile über 30 Millionen E-Autos unterwegs - mehr als die Hälfte des Weltbestands an reinen Stromern, Plug-in-Hybriden und E-Autos mit Range Extender, bei denen es neben der Batterie eine kleine Verbrennungsmaschine gibt, die ausschließlich dazu dient, Strom für die Batterie zu erzeugen. Die Volksrepublik setzt konsequent auf Elektromobilität.
Experten wie Frank Schwope sehen die Debatte in Europa deshalb vor allem als Ausdruck der Spaltung innerhalb der Branche, wie er im April im Interview mit ntv.de sagte. Einige Hersteller seien schon gut aufgestellt, andere hinkten deutlich hinterher. Besonders Zulieferer fürchten um ihr Geschäft, so der Lehrbeauftragte für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover.
Bosch-Chef Stefan Hartung warnte im "Spiegel", in vielen europäischen Ländern seien die Infrastruktur und die Nachfrage nicht "annähernd reif für 100 Prozent E-Mobilität". Ein abruptes Ende des Verbrenners könne sogar kurzfristig zu steigenden Verkäufen bei Verbrennern führen - zum Schaden des Klimas. Doch Schwope betont: Ein Aufschieben des Ausstiegs würde Zulieferer teuer zu stehen kommen. Doppelte Entwicklungsstrukturen für Verbrenner und Elektroantriebe seien wirtschaftlich riskant.
In zehn Jahren wollte Europa nur noch komplett emissionsfreie Neuwagen auf die Straße bringen. Je nachdem, was nun die vorgezogene Prüfung der CO2-Grenzwerte ergibt, könnte jedoch schon bald die nächste Lockerung folgen. Werden auch die Fristen für die Zielvorgaben für 2030 und 2035 aufgeweicht, wäre das Verbrenner-Aus verschoben. Die Debatte ist noch lange nicht vorbei. Die Chefin des Branchenverbands VDA kommentierte bereits direkt nach dem Gipfel, die Kommission agiere "noch zu unentschlossen".
Quelle: ntv.de