Wirtschaft

Big Oil ist wieder da Warum das fossile Zeitalter noch nicht beendet ist

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Morgengrauen oder Abenddämmerung: Welche Stunde hat im Ölzeitalter geschlagen?

Morgengrauen oder Abenddämmerung: Welche Stunde hat im Ölzeitalter geschlagen?

(Foto: REUTERS)

Große westliche Ölkonzerne stärken sich mit milliardenschweren Übernahmen und Käufen fossiler Konkurrenten. Passt das in die Zeit? Die Autorin und Finanzmarktexpertin Heike Buchter stand 2011 an den ersten Frackingtürmen in den USA. Vor fünf Jahren prophezeite sie in ihrem gleichnamigen Buch ein "Ölbeben". ntv.de spricht mit ihr über "eine bemerkenswerte Wiederauferstehung" und ein "neues Selbstbewusstsein" einer Branche, die bereits auf dem Rückzug war.

ntv.de: Big Oil ist mächtig auf Shopping-Tour, eine Milliardenübernahme jagt die andere. Wir sind mitten in der Transformation, weg von fossilen Rohstoffen. Was passiert hier gerade?

Heike Buchter: Wir sehen in der Tat eine bemerkenswerte Wiederauferstehung der Ölbranche. In der Pandemie, als die Nachfrage nach Öl komplett eingebrochen ist, musste die Industrie zeitweise dafür bezahlen, dass ihr jemand Öl abkauft. Inklusive Lagerkosten waren die Ölpreise negativ. Damals glaubte man, es würde mit der Ölproduktion nur noch bergab gehen ...

Das war der Peak-Oil-Moment, auf den man lange gewartet hatte. Das Öl-Aus schien so nah wie nie.

Ja. Und plötzlich sind sie alle wieder da. Die Geschäfte brummen. Exxon hat mit 56 Milliarden US-Dollar 2022 das spektakulärste Ergebnis seiner Geschichte präsentiert. Big Oil strotzt vor Selbstbewusstsein. Das Aufkaufen, die Fusionen und Übernahmen sind nichts anderes.

Wo stehen wir jetzt?

Fakt ist: Die USA sind der größte Ölproduzent der Welt. Kein Land dieser Welt hat je so viel Öl gepumpt wie die Amerikaner im Dezember. Das waren 13,3 Millionen Barrel täglich. Keiner hat sich vorstellen können, dass das je wieder so kommt. Die USA pumpen mehr als die Saudis und mehr als die Russen, und sind dazu auch noch der größte Gas-Produzent. Amerika ist wieder voll da.

Dass Öl nicht über Nacht verschwinden würde, war klar. Aber wie lässt sich diese 180-Grad-Wende erklären?

Rohöl WTI
Rohöl WTI 62,62

In den vergangenen Jahren sind einzigartige Dinge passiert. Als in der Pandemie die Nachfrage einbrach, passte es einfach gut ins grüne Narrativ der Energiewende, so zu tun, als würden wir Öl nicht mehr brauchen. Dann hat sich die Industrie erholt, die Produktion wurde wieder angeworfen - und die war durstig nach Öl. Öl ist in vielen Bereichen immer noch essenziell. Insbesondere für aufstrebende Länder wie China und Indien. Dann kamen der Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen. Wir brauchten plötzlich Öl aus anderen Quellen. Die Preise gingen durch die Decke und bescherten den Ölkonzernen sprudelnde Gewinne. Spätestens da war klar: So richtig weg war Big Oil nie. Mit dem Geld, das sie verdient haben, können sie jetzt ihre Übernahmen finanzieren.

Die europäische Konkurrenz scheint zurückhaltender. Trügt der Eindruck?

Die Ölkonzerne waren alle nie wirklich weg vom Fenster. Auch der britische Ölkonzern Shell investiert wieder stark in fossile Projekte. Einen Unterschied gibt es trotzdem: Europäische Konzerne wie BP und Shell haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr um alternative Energien bemüht als die Wettbewerber in den USA und viel investiert. Das lag auch am Druck der Regierungen in Europa. Die US-Riesen Exxon oder Chevron dagegen haben konsequent gesagt, wir bleiben bei dem, was wir können: Öl und Gas. Wir sind nicht Solar oder Wind. Das war gegen den Trend auch an der Wall Street. Investoren und Anleger wandten sich ab, weil es nicht die Zukunftsmusik war, die man zu der Zeit hören wollte. Exxon machte zudem eigene Fehler wie eine spektakuläre Fehlinvestition in Fracking-Gas, war hoch verschuldet. Vorbei! Heute verklagt Exxon seine Aktionäre, die Klimaschützer sind. Die Chefs sagen, mehr Klima, Transparenz und Einsparung an Emissionen schade dem Unternehmen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte das als Imageschaden gegolten! So haben sich die Zeiten geändert.

Das heißt, es geht mit Vollgas zurück ins fossile Zeitalter?

Die Finanzmarktexpertin Heike Buchter berichtet seit 2001 von der Wall Street. 2019 erschien ihr Buch "Ölbeben", in dem sie die US-Energiedominanz der USA thematisiert.

Die Finanzmarktexpertin Heike Buchter berichtet seit 2001 von der Wall Street. 2019 erschien ihr Buch "Ölbeben", in dem sie die US-Energiedominanz der USA thematisiert.

(Foto: Heike Buchter, Fotograf Stefan Falke)

Nein. So verblendet sind die Ölkonzerne nicht. Keiner sagt, das wird für ewig sein. Der Klimawandel ist nicht vergessen. Jeder in der Ölbranche ist sich dessen bewusst, die Saudis ebenso wie die Amerikaner. Die Nachfrage wird schrumpfen, vielleicht irgendwann gar nicht mehr da sein. Die Frage ist nur, wann? Und was ist bis dahin? Jeder Ölkonzern will bis zum Schluss den letzten Tropfen Gewinn rausquetschen. Sie wollen der "Last Man Standing" sein. Der Boss bis zum Schluss.

Angesichts der Klimaziele, die wir haben, scheint das eine wenig zielführende Strategie. Bremst das die Energiewende?

Nein, nicht wirklich. Denn auch die USA bauen Unmengen an Erneuerbaren hinzu. Letztlich - und da sollten wir uns ehrlich machen - hängt die Zukunft, wie viel Öl noch gefördert wird, nicht von den Ölkonzernen ab, sondern maßgeblich von uns, den Konsumenten. Solange wir Öl nachfragen, ist den Ölfirmen nicht viel vorzuwerfen. Wir bestimmen. Wenn Chevron oder Exxon das Öl nicht pumpen, dann pumpt es jemand anders. Ist es besser, wenn die Saudis das tun?

Es gibt unverhofft ein gigantisches Ölvorkommen vor der Küste des kleinen Guyana in Südamerika, das Exxon im Moment ausbeutet. Wie wichtig ist dieses Öl in einer Zeit multipler Krisen?

Der Fund in Guyana ist extrem wichtig. Auch für uns in Europa! Wenn es früher eine Krise im Nahen Osten gab, sind die Ölpreise enorm gestiegen. Wir haben jetzt den Krieg in Israel. Die Huthis, die mit den Palästinensern sympathisieren, beschießen Öl-Tanker im Roten Meer. Die Ölpreise müssten eigentlich durch die Decke gehen. Tun sie aber nicht. Das Nordseeöl Brent kostete vor dem Beginn des Israel-Kriegs 85 US-Dollar je Barrel. Mitte Dezember lag der Preis bei 73 US-Dollar. Der Ölpreis ist in einer der größten Krisen im Nahen Osten gesunken. Warum? Weil dank Fracking in Texas und Förderung in Guyana alle entspannt sind. Dank der Amerikaner und ihrer Öl- und Gasriesen sind wir nicht mehr so abhängig von den Märkten in Krisengebieten.

Welche Rolle spielt Fracking in diesem Endspurt, bis der letzte Tropfen Öl versiegt ist?

Brent
Brent 66,88

Fracking ist enorm wichtig für die Last-Man-Standing-Strategie. Eine Bohrung in der Arktis bedeutet einen wahnsinnigen Aufwand. Bis die Anlage aufgebaut ist und der erste Tropfen Öl fließt, kann es bis zu einem Jahrzehnt dauern. Fracking lässt sich schneller umsetzen, da geht es um Monate, nicht Jahre. Das Öl versiegt zwar auch schneller, aber es ist günstiger und es lässt sich besser auf die Nachfrage abstimmen. Wenn wir beide unser Erspartes zusammenlegen und noch von Freunden borgen, könnten wir uns eine Rig, einen Bohrtum, mieten und irgendwo in Texas auf einem von uns geleasten Gelände aufstellen und dort nach Öl bohren. Das ist natürlich übertrieben (lacht) Aber Fracking-Operationen sind vergleichsweise überschaubar. Ölriesen wie Exxon hat das Thema deshalb lange nicht interessiert. Heute ist Fracking viel ausgereifter, viel effizienter. Und anders als die Fracking-Pioniere, oft sogenannte Wildcatter, die nicht zuletzt die Begeisterung für die Suche antreibt, haben die großen Konzerne Zugang zum Kapitalmarkt, die müssen nicht um Geld betteln, die können klotzen.

In Ihrem Buch "Ölbeben", das 2019 herausgekommen ist, haben Sie die Renaissance des Ölzeitalters thematisiert. Anlass war der Fracking-Boom und Donald Trump, der alles fördern wollte, was mit Öl und Gas zu tun hatte, um Amerika wieder großzumachen. Wie es aussieht, kommt nicht nur Big Oil zurück, sondern möglicherweise auch Trump. Platzt der Traum von der grünen Wende?

Trump ist nicht ideologisch und er ist kein Idiot, er wird auf keinen Fall seinen Fans und Freunden das Geld abdrehen für irgendwelche Projekte, wie sinnvoll oder nicht die auch sein mögen. Da muss man sich keine Sorgen machen. Trump wird nicht hingehen und sagen, das Batteriewerk in Michigan, das mit Subventionen aus Washington gebaut wird, wird nicht gebaut. Denn das würde seine Wähler treffen. Von Obama über Trump, Biden und jetzt möglicherweise wieder Trump - alle US-Regierungen haben alles gefördert. Egal, ob Öl, Gas, Solar oder Geothermie. So ist Amerika. Kein US-Präsident hat je etwas abgewürgt, was die Wirtschaft voranbringt. George W. Bush beispielsweise hat dafür gesorgt, dass Texas heute der größte Anbieter von Windenergie ist. Oklahoma, wo Öl fast noch mächtiger ist als in Texas, macht in Windenergie. Auch Solarenergie wird ausgebaut. Amerika hat nicht nur die Energie, sondern vor allem auch großzügiges Kapital, sie zu erzeugen. Und das nutzen die Konzerne. So, wie es ihnen gerade passt.

Mit Heike Buchter sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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