Wirtschaft

Gefahr für die Ostsee Wo es durch Russlands Schattenflotte schon fast zur Katastrophe kam

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Der russische Öltanker "Wolgoneft 239" lief im Dezember 2024 bei einem Sturm auf Grund. Auf der Krim-Halbinsel kam es daraufhin zu einer Ölpest.

Der russische Öltanker "Wolgoneft 239" lief im Dezember 2024 bei einem Sturm auf Grund. Auf der Krim-Halbinsel kam es daraufhin zu einer Ölpest.

(Foto: action press)

Der in der Ostsee havarierte Öltanker "Eventin" wirft ein Schlaglicht auf Russlands Schattenflotte. Nicht zum ersten Mal führen technische Probleme an Bord eines dieser maroden Schiffe zu einer Beinahe-Katastrophe vor Europas Küste.

Seit Beginn Ukraine-Kriegs mehren sich die Vorfälle unter mutmaßlicher Beteiligung von Russlands Schattenflotte. Dabei handelt es sich um Schiffe, die oft unter der Flagge ferner Länder fahren und deren Eigentumsverhältnisse, Ladung oder vorgeblicher Reisezweck zweifelhaft erscheinen.

Wo sie auftauchen, kommt es zu besorgniserregenden Ereignissen - bis hin zu mutmaßlichen Sabotageakten. Auch der Fall des havarierten Öltankers "Eventin" befeuert die Debatte, wie die EU ihre Seewege und Küsten besser schützen kann. Der fast 20 Jahre alte Tanker steht nach Angaben der Umweltorganisation Greenpeace auf einer Liste mit 192 maroden Schiffen, mit denen Russland die Sanktionen auf sein Ölgeschäft umgeht. Als das Schiff vor der deutschen Ostseeküste aufgegriffen wurde, hatte es fast 100.000 Tonnen Öl geladen.

Schattenflotte transportiert 70 Prozent der russischen See-Exporte

Laut einer Schätzung der Kyiv School of Economics (KSE) wickelt Russland mittlerweile rund 70 Prozent seiner auf dem Seeweg transportierten Ölexporte über diese Schattenflotte ab. Der jüngste Vorfall vor der Insel Rügen verdeutlicht die Gefahren, die von diesen oftmals unzureichend versicherten Öltankern ausgehen. Es sei nur "eine Frage der Zeit", bis es zum "Riesendesaster unter Beteiligung der Schattenflotte" komme, heißt es in einem Papier des ukrainischen Wirtschaftsinstituts KSE. Tatsächlich gab es in den vergangenen Monaten bereits mehrere Vorfälle mit maroden Öltankern aus Russland, bei denen die Nord- und Ostseeregion womöglich nur knapp einer Umweltkatastrophe entgangen sind.

Am 2. März 2024 etwa kollidierte der 15 Jahre alte Tanker "Andromeda Star" mit einem kleineren Frachter vor der Nordspitze Dänemarks. Der Öltanker wurde beschädigt, war aber zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise nicht beladen, da er sich gerade auf der Rückreise nach Russland befand.

Seit Juni 2024 steht die "Andromeda Star", die unter panamaischer Flagge verkehrt, auf der EU-Sanktionsliste. Damit ist es unter anderem verboten, den Tanker in einen europäischen Hafen einlaufen zu lassen. Laut dem Fachportal "Täglicher Hafenbericht" deuten die Navigationsdaten darauf hin, dass der Tanker seither zwischen dem russischen Ölhafen Ust-Luga und dem westindischen Vadinar verkehrt. Die indische Küstenstadt hat sich im Verlauf des Ukraine-Kriegs zu einem der größten Umschlagplätze für Rohöl aus Russland entwickelt. In den dortigen Raffinerien wird das Rohöl in Benzin oder Kerosin umgewandelt und wieder dem Weltmarkt zugeführt - ganz legal und frei von Sanktionen.

Frachter müssen Europa zwangsläufig umrunden

Jeden Tag laufen im Schnitt drei vollbeladene Schattentanker aus russischen Häfen aus, schätzt das Umweltinstitut Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) in Helsinki. Doch um das Öl von den russischen Terminals an der Ostsee ins ferne Indien - oder in andere Abnehmerländer wie die Türkei - zu befördern, müssen die Frachter fast ganz Europa umrunden und dabei mehrere Meerengen durchfahren. Allein im ersten Halbjahr 2024 wurden laut einer Analyse der KSE rund 90 Millionen Barrel russisches Öl durch nordeuropäische Gewässer transportiert.

Typische Routen von Russlands Schattenflotte.

Typische Routen von Russlands Schattenflotte.

(Foto: Kyiv Institute of Economics / Natural Earth / ntv.de)

Dabei ist gerade auf den schwierigen und viel befahrenen Wasserstraßen das Risiko eines Tankerunglücks hoch. Das zeigt ein weiteres Beispiel aus Dänemark: Im Mai 2023 wäre ein 18 Jahre alter Tanker fast auf Grund gelaufen, als er die schmalen Gewässer durchkreuzte, die Nord- und Ostsee miteinander verbinden. Die "Canis Power" hatte 340.000 Barrels Öl geladen, als plötzlich die Maschinen ausfielen. In den folgenden Stunden trieb das Schiff erst ins gefährlich flache Wasser ab, ehe es wieder in die Fahrrinne gesteuert werden konnte und für Reparaturen ankerte.

Der Tanker fuhr unter der Flagge der Cookinseln, war am Öl-Terminal im Hafen von Wyssozk im Nordosten Russlands gestartet und wollte offenbar Kalamata in Griechenland ansteuern. Auch dieses Schiff ist mittlerweile mit EU-Sanktionen belegt. Um zu verhindern, dass Betreiber einfach den nächsten Schrottfrachter aus zweiter Hand kaufen, fordert die EU inzwischen mehr Transparenznachweise ein, wenn ausgemusterte Schiffe weiterverkauft werden sollen.

Sanktionen gegen Russland gleichen einem Katz- und Mausspiel

Solche Maßnahmen zeigen durchaus Wirkung. Das ließ sich auch in dieser Woche beobachten, nachdem die US-Regierung ein neues Sanktionspaket verkündet hatte. Damit wurden allein 183 Schiffe der Schattenflotte mit einem Schlag zur "heißen Kartoffel", die Händler oder Hafenbetreiber nur noch ungern anfassen. Die betroffenen Schiffe sitzen nun zum Teil mitsamt ihrer wertvollen Ladung fest - zumindest vorerst.

Doch es bleibt ein Katz- und Maus-Spiel. Immer wieder werden Schiffe der Schattenflotte dabei beobachtet, wie sie ihre Fracht auf offener See an andere Tanker übergeben, um die Herkunft der Ladung zu verschleiern und Sanktionen zu umgehen. Ein beliebter Treffpunkt für solche sogenannten "Handshake"-Manöver von Schiff zu Schiff: Die Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei.

Hier kreuzen unter anderem auch die Öltanker auf ihrer Route von einem der russischen Schwarzmeerhäfen in Richtung Asien. Für die "Hera 1" endete eine dieser Reisen im Mai 2024 vorzeitig, als an Bord des Tankers aus Noworossijsk mit einem Mal die Maschinen versagten. Das Schiff blieb ausgerechnet auf der Durchfahrt der türkischen Dardanellen stecken und blockierte die Meerenge für mehrere Stunden für den gesamten Schiffsverkehr in Richtung Süden. In den internationalen Datenbanken seien weder ein Besitzer noch irgendwelche Versicherungsinformationen für den maroden Tanker hinterlegt gewesen, berichtete "Bloomberg" - typisch für ein Schiff der Schattenflotte.

Tankerunglück führte zu Ölpest auf der Krim

Die hier genannten Berichte sind dabei nur ein kleiner Ausschnitt: Eine Untersuchung der Allianz vom Mai 2024 kommt auf mehr als 50 sicherheitsrelevante Vorfälle, an denen Schiffe der russischen Schattenflotte beteiligt waren. Die Rede ist von Bränden, Triebwerksausfällen, Kollisionen, Kontrollverlust und Ölverschmutzungen. Unklare Besitzverhältnisse und fehlende Versicherungen sorgen dafür, dass im Falle einer Havarie andere die Kosten tragen.

Welch schwerwiegenden Folgen ein Tankerunglück haben kann, zeigte sich zuletzt ausgerechnet vor Russlands eigener Haustür: Im Dezember 2024 havarierten gleich zwei Öltanker während eines schweren Sturms im Schwarzen Meer. Eins der mehr als 50 Jahre alten Schiffe lief nahe der Hafenstadt Taman auf Grund. Das andere zerbrach und sank vor der russisch besetzten Halbinsel Krim. Ein Crewmitglied wurde getötet. Tausende Tonnen Heizöl breiteten sich in der Straße von Kertsch aus. Einige Tage später sah sich die Führung in Moskau gezwungen, wegen der Ölpest auf der Krim den Katastrophenfall auszurufen. Anfang Januar waren die Spuren des Unglücks noch immer nicht beseitigt.

Was kann Putins Schattenflotte stoppen?

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In der Ostsee konnte eine solche Katastrophe bislang zum Glück verhindert werden. Doch die EU- und Nato-Staaten werden sich der Risiken zunehmend bewusst. Mittlerweile haben sie sich darauf verständigt, ihre Präsenz in der Ostsee zu verstärken. Militärboote sollen vor allem die Infrastruktur vor weiteren Sabotageakten schützen.

Um die fragwürdigen und riskanten Öltransporte nachhaltig zu stoppen, braucht es aber Maßnahmen, die weit darüber hinaus gehen. Das KSE-Institut schlägt vor, die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen, in denen die Schiffe und auftraggebenden Unternehmen registriert sind. Außerdem sollten die Versicherungsanforderungen für Öltransporte erhöht und strenger kontrolliert werden. Schiffe, die gegen internationale Standards verstoßen, könnten auf eine Art "Schwarze Liste" gesetzt werden, um potenzielle Geschäftspartner abzuschrecken. Schließlich kommt Putins Schattenflotte nur mit Hilfe aus dem Ausland in Bewegung. Geschäftsinteressen halten sie am Laufen. Das wiederum ist ein Punkt, an dem westliche Wirtschaftsmächte durchaus ansetzen können.

Quelle: ntv.de

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