Gefahr aus dem All 100 Jahre Tanguska-Ereignis
27.06.2008, 13:17 UhrEs war eines der gewaltigsten Naturereignisse seit Menschengedenken: Vor hundert Jahren, am 30. Juni 1908, raste ein Gesteinsbrocken aus dem All auf eine abgeschiedene Region in Sibirien zu. Mit unvorstellbaren 70.000 Stundenkilometern drang der Asteroid in die Atmosphäre ein. In acht bis zwölf Kilometern Höhe explodierte das kosmische Geschoss über dem Fluss "Steinige Tunguska". Die Detonation löste eine Druckwelle aus, die mit der Sprengkraft von mehreren hundert Hiroshima-Atombomben über das sibirische Waldgebiet hinweg fegte. Auf mehr als 2000 Quadratkilometern wurden bis zu 80 Millionen Bäume umgeknickt als wären es Streichhölzer.
Ein "Kieselstein" von 30 bis 50 Metern
Durch die Asteroiden-Explosion, die als Tunguska-Ereignis in die Geschichte einging, wurde eine Fläche doppelt so groß wie Berlin verwüstet. Wäre der Brocken über besiedeltem Gebiet detoniert, es hätte hunderttausende Tote gegeben. Dabei schätzen Wissenschaftler den Durchmesser des Tunguska-Geschosses gerade mal auf 30 bis 50 Meter - ein Kieselstein im Vergleich zu anderen, weit kapitaleren Brocken, die im All ihre Bahnen ziehen. Einige von ihnen könnten die Erde treffen und globale Verwüstungen anrichten.
"Längst ist bekannt, dass kleine Körper aus dem inneren und äußeren Sonnensystem zu einer potenziellen regionalen oder gar globalen Bedrohung für die Erde werden können", sagt Ekkehard Kührt vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Denn Einschläge von Asteroiden oder Kometen, auch Impakte genannt, sind in der Geschichte des Sonnensystems nichts Ungewöhnliches, wie ein Blick auf die kraterzerfurchten Oberflächen von Mond, Merkur und Mars beweist.
Auch auf der Erde gab es serienweise schwere Einschläge: So donnerte vor 15 Millionen Jahren ein kilometergroßer Brocken auf die Schwäbische Alb herab und schlug einen Krater, der heute als Nördlinger Ries bekannt ist. Vor 65 Millionen Jahren schlug ein etwa zehnmal so großer Asteroid auf der mexikanischen Halbinsel Yukatan ein. Der Impakt löste einen abrupten Klimawandel aus und führte höchstwahrscheinlich zum Aussterben der Dinosaurier.
959 "potentiell gefährliche" Brocken
Zwar sind Einschläge selten - statistisch kommt ein Impakt vom Ausmaß des Tunguska-Ereignisses alle paar Jahrhunderte vor, und mit dem Einschlag eines Ein-Kilometer-Brockens muss laut NASA einmal im mehreren hunderttausend Jahren gerechnet werden. Freilich kann niemand sagen, wann sich das nächste Mal ein Asteroid auf Kollisionskurs nähern wird. Seit Jahren nehmen Astronomen daher die Umgebung der Erde genau unter die Lupe. Erwartungsgemäß haben sie dabei eine Fülle erdnaher Objekte entdeckt, so genannte NEOs. Einige von ihnen können die Erde bedrohen: Mit Stand vom Freitag verzeichnete die NASA 959 Brocken, die als "potenziell gefährlich" eingestuft werden, davon rund 140 mit mindestens einem Kilometer Durchmesser.
Ganz wehrlos wäre die Menschheit nicht, sollte demnächst ein solches Geschoss im Anflug entdeckt werden. "Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, den Einschlag eines kleinen Körpers zu verhindern", erläutert Christian Gritzner von der Raumfahrt-Agentur des DLR. "Man kann entweder versuchen, das Objekt zu zerstören, oder es auf eine Bahn zu lenken, die ungefährlich ist." Laut DLR wies der Wissenschaftler Ralph Kahle nach, dass es bei einer Vorwarnzeit von mindestens zehn Jahren meist ausreicht, eine oder mehrere Sonden auf den Eindringling prallen zu lassen. Dabei werde ein Impuls erzeugt, der groß genug für eine Bahnänderung des Asteroiden sei.
Asteoriden- und Kometenabwehr
Erst 2007 simulierte die NASA demnach die Zündung von Atomsprengsätzen zur Asteroiden- und Kometenabwehr. Laut DLR könnte zwar dadurch ein vielfach höherer Impuls als durch einen Satellitenaufprall erzeugt werden. Die Forscher sehen aber auch Risiken: Zunächst müsste das Nuklearmaterial sicher von der Erde gestartet werden, außerdem könnte beispielsweise ein überwiegend aus porösem Material bestehender Komet bei der Zündung in viele Bruchstücke zerfallen. Diese würden dann in die Erdatmosphäre eindringen und einen "Schrotflinten-Effekt" auslösen - mit unabsehbaren Folgen.
Von Richard Heister, AFP
Quelle: ntv.de