Pest, Milzbrand und Hitzeblitze 50 Jahre Schutztechnologien
01.07.2008, 09:32 UhrDas monotone Poltern und Grollen einer Schießbahn hängt über dem Kiefernwald auf dem niedersächsischen Truppenübungsplatz Munster. Auf den Wegen zwischen den verstreut liegenden Backsteingebäuden und Hallen ist es menschenleer. Doch hinter den Fassaden wird seit 50 Jahren eifrig mit Erregerstämmen von Pest bis Milzbrand und mit Proben chemischer Kampfstoffe geforscht. Von Zeit zu Zeit erhebt sich sogar ein pilzförmiger Hitzeblitz, wie ihn Atombomben produzieren, über der Lüneburger Heide.
Hier arbeiten seit 1958 rund 230 Spezialisten im Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien der Bundeswehr (WIS). Bevor die Truppe neue Ausrüstung bekommt, testen die Wissenschaftler, ob das Material atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, Feuer, Gefahrstoffen und Strahlung widerstehen kann. Ausrüstung, die nicht auf dem Markt erhältlich ist, wird selbst entwickelt - beispielsweise Geräte zum Aufspüren und Messen von Kampfstoffen oder Mittel zur Entgiftung.
"An unserer Arbeit hängen Menschenleben"
So kommt Technologie aus der Heide bis ans Horn von Afrika: "Bei dem Einsatz "Enduring Freedom" hat die Marine uns gebeten, sie für die Detektion chemischer Kampfstoffe auszurüsten", erzählt WIS- Direktor Prof. Roland Dierstein. Den Fuchs-Spürpanzer hat das WIS ebenso mitentwickelt wie die ABC-Schutzmaske 2000, Schutzkleidung oder Filter- und Belüftungssysteme für Schiffe und Panzer, die neuerdings auch an den Einsatz in heißen Klimazonen angepasst werden müssen. "An unserer Arbeit hängt das Leben von Menschen", betont Dierstein.
Das chemische Zentrallabor des WIS ist eine von weltweit 13 Einrichtungen, die von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bestimmt worden sind, die Einhaltung der Konvention zu überwachen. Ins Spiel kam das Labor beispielsweise nach der blutigen Geiselbefreiung im Moskauer Dubrowka-Theater 2002, weil die Polizei ein unbekanntes Gasgemisch eingesetzt hatte, an dem auch Menschen starben. Kleidungsstücke der Opfer wurden in Munster auf Rückstände untersucht. "Ein Verstoß gegen das C-Waffen-Verbot konnte aber nicht belegt werden", sagt Dierstein.
Im biologischen Zentrallabor rauschen die Klimaanlagen. Abgeschottet hinter Schleusen arbeiten Menschen in grüner Schutzkleidung. "Achtung Wasserstoff-Peroxid-Verdampfung" oder "Bio- Gefährdung" warnen Aufkleber. Gearbeitet wird mit allen Erregern, gegen die es eine Therapie gibt - zum Beispiel Pest, nicht aber Ebola. "Angst darf man nicht haben", sagt Bärbel Niederwöhrmeier, die das Labor leitet. Vor allem dürfen bei den aufwendigen Prozeduren vom Anlegen der Schutzkleidung bis zur Sterilisation keine Fehler unterlaufen.
Biokampfmitteln den Kampf erklären
Niederwöhrmeier entwickelt mit ihrem Team beispielsweise genetische oder immunologische Tests zum Nachweis von Bio-Kampfmitteln. "Wir arbeiten aber auch an Verfahren zur Desinfektion und Dekontamination", sagt die Mikrobiologin. Noch sind chemische oder physikalische Methoden Standard zur Abtötung von Erregern. Die Zukunft soll aber Enzymen gehören wie sie zum Beispiel in Tintenfischen zu finden sind.
Weil Mikrowellenstrahlung gezielt eingesetzt werden könnte, um Elektronik lahmzulegen, testet das WIS Fahrzeuge, Flugkörper oder auch Notebooks in einer Anlage, die Mikrowellenfelder von bis zu 400 Megawatt erzeugen kann. Für die Simulation einer Atombomben-Explosion steht eine Freianlage zur Verfügung, die einen gewaltigen elektromagnetischen Impuls auslösen kann, dem sich unter anderem Hubschrauber und Kampfflugzeuge stellen müssen. Den Hitzeblitz produzieren vier Brenner, aus deren Düsen feines Aluminiumpulver und flüssiger Sauerstoff schießt.
Von Dirk Averesch, dpa
Quelle: ntv.de