Bescheiden, anständig, freundlich Das calvinistischste Volk der Welt
09.07.2009, 18:47 UhrHollands Calvin-Verehrung fällt fast überschwänglich aus. Die Einwohner sind stolz darauf. Das musste auch die aus Argentinien stammende Kronprinzessin Maxima erfahren, als ihre kurzen Röcke bemängelt wurden.
Sie haben keine Gardinen vor den Fenstern, denn ordentliche Menschen haben nichts zu verbergen. Gästen servieren Holländer zum Kaffee nur einen einzigen Keks, denn Mäßigung ist eine Tugend. Stets sind sie fleißig, außer am Tag des Herrn. Sie sind sauber, anständig und freundlich. Aber Komplimente machen sie kaum, denn aufrechte Calvinisten lügen nicht. Wie wenig derartige Klischees mit der Wirklichkeit auch zu tun haben mögen, die meisten Niederländer sind durchaus stolz darauf.
Ob friesische Bauern, Amsterdamer Lebenskünstler, Haager Regierungsbürokraten, strenggläubige Reformierte im "Bijbelgordel" (Bibelgürtel) oder katholische Karnevalfans südlich des Rheins - der Calvinismus hat das Nordsee-Königreich geprägt. Zwar nicht immer im religiösen Sinne, aber in der Summe ihrer typischen Eigenschaften gelten Niederländer als das calvinistischste Volk der Welt.
"Obama des 16. Jahrhunderts"
Kein Wunder, dass ihre Calvin-Verehrung fast überschwänglich ausfällt. Neben Calvin-Bonbons gibt es Calvin-Rotwein (aus Südafrika) - versehen mit dem Hinweis, dass der Reformator einen guten Tropfen zu schätzen wusste. Schüler wetteifern in Calvin-Wissenstests. Eine Calvin-Illustrierte rückt den Kirchenmann in die Nähe von Pop-Idolen. Und ein Kommentator kürt ihn gar zum "Obama des 16. Jahrhunderts".
Nur gelegentlich sind Misstöne zu vernehmen. Hier und da wird ein "typisch calvinistischer Erziehungseifer" beklagt. Manche Holländer haben den allgegenwärtigen "erhobenen Zeigfinger der Regierung" satt. Ständig werden sie amtlicherseits mit gut gemeinten Hinweisen für eine ordentliche Lebensführung versorgt. So wird das Volk "angesichts der Kreditkrise daran erinnert, wie wichtig es ist, nicht übermäßig Schulden zu machen".
"Bleib mal normal, dann bist du schon verrückt genug"
Übermaß ist überhaupt das Schlimmste. Deshalb wird schon Kindern der calvinistische Grundkonsens klar gemacht: "Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg" ("Bleib mal normal, dann bist du schon verrückt genug."). Zugleich verhindert die im Land der Deiche und Grachten weit verbreitete Toleranz, dass Grundsätze zum Spaßkiller werden - wie jeder weiß, der schon mal in einem Haschisch-"Coffeeshop" versackt oder im Amsterdamer Rotlichtviertel abgetaucht ist.
Aber Toleranz hat auch Grenzen. So musste die aus Argentinien stammende Kronprinzessin Maxima bei der Länge beziehungsweise Kürze ihrer Röcke einen Kompromiss mit den Vorstellungen der Strenggläubigen finden. Und es gibt Extreme: Heute noch predigen Pfarrer im Bibelgürtel, Calvins Lehre von der Vorbestimmtheit des Menschen gebiete, "künstliche" Krankheitsvorsorge zu unterlassen - darunter die Impfung von Kindern.
"C-Faktor" im Internet ermittelbar
Alles in allem aber assoziieren Niederländer mit der Lehre des Reformators positive Werte. Bescheidenheit zum Beispiel. "Calvinistisch wie sie war, fuhr sie mit dem Rad statt mit dem Dienstwagen", lobte die Zeitung "Friesch Dagblad" in einem Nachruf auf die beliebte Staatssekretärin Dieuwke de Graaff-Nauta. "Das Mittagessen nahm sie mit dem Personal in der Kantine ein. Sie war wirklich ein Arbeitsesel."
Sehr populär ist der humorvolle Calvinismus-Test, den die christlich-liberale Zeitung "Trouw" fürs Internet entwickelt hat. Da kann jeder seinen "C-Faktor" ermitteln und einiges hinzulernen. Zum Beispiel, warum Niederländer in der IT-Branche Erfolg haben: Calvinisten denken "digital", da eine Aussage für sie nur "wahr" oder "unwahr" sein kann. Eins oder null, wie beim digitalen Grundmuster.
Eher selten wird auf den Calvinismus des Staatengründers Wilhelm von Oranien (1533-1584) Bezug genommen. Er hatte die Niederländer im Kampf gegen die Unterdrücker aus dem katholischen Spanien geeint. Doch als calvinistisches Glanzlicht taugt der aus Dillenburg im Westerwald stammende Fürst nicht. Zur strengen Lehre Calvins hatte er sich nur halbherzig bekannt. Prediger schimpften, dass der anfangs lutherisch, später katholisch erzogene Deutsche, der kaum niederländisch sprach, immer wieder seinem Hang zu Schlemmerei, Zechgelagen und lockeren Sitten nachgab.
Quelle: ntv.de, Thomas Burmeister, dpa