Wissen

Schiefer Turm von Pisa Konkurrenz aus Thüringen

Der 56 Meter hohe Kirchturm in der thüringischen Stadt Bad Frankenhausen neigt sich von seiner Spitze 4,33 Meter zur Seite. Damit hat der Turm der Oberkirche "Unser Lieben Frauen am Berge" den weltberühmten Campanile in Pisa überholt, der 4,27 Meter aus dem Lot ist. Der vermutlich schiefste Kirchturm Deutschlands neigt sich seit Jahrzehnten gewissermaßen in Superzeitlupe. 1920 wich er noch 2,21 Meter von der Senkrechten ab - und in fünf bis sieben Jahren könnte er nach Schätzungen von Experten sogar umstürzen, wenn nichts getan wird. Aber so weit will man es nicht kommen lassen.

Das Gelände kippt und gibt nach

"Schuld an der Neigung ist das Karstgestein, auf dem die Kirche 1382 auf einem romanischen Vorgängerbau errichtet wurde", sagt Superintendent Roland Voigt. "Das Gelände darunter kippt und gibt ganz allmählich nach." Diese äußerst langsame Bewegung des Untergrundes, in dem es durch Auswaschungen in der Vergangenheit zu erdfallartigen Erscheinungen kam, ist nicht aufzuhalten. Das Gebiet liegt in einer geologischen Störungszone, in der sich die Bad Frankenhäuser Scholle mit der Sonderhäuser Scholle trifft, was schon seit Jahrhunderten zu Verwerfungen führte.

Bereits im Jahr 1640 neigte sich der Kirchturm, wie erstmals schriftlich belegt wurde. Und 1759 musste nach einer Brandkatastrophe erneut eine Schiefstellung des Turmes ausgeglichen werden. Drei Jahre später wurde die barocke Turmhaube ausgesetzt, die man heute noch sieht. 1934 brach der Kirchturm senkrecht auseinander. Beide Hälften wurden mit Stahlankern und Bändern auf mehreren Ebenen verklammert.

Da sich der Turm stetig immer weiter neigte, entschloss man sich 1958 sogar zum Abbruch. Das gotische Kruzifix und der Taufstein kamen Anfang der 60er Jahre in andere Kirchen der Stadt, die Orgel wurde nach Gräfentonna verkauft, doch zum endgültigen Abriss kam es nicht. Viele Jahre war die Kirche baupolizeilich gesperrt.

Neues Fundament zur Sicherung des Bauwerks

Seit 1992 bemüht sich der Förderverein Oberkirche um den Erhalt des außergewöhnlichen Gotteshauses. Nach neuesten Plänen sollen zunächst direkt unter dem Fundament liegende Hohlräume verfüllt werden. Um sie zu finden, werden Bohrlöcher eingebracht und eine Art Computertomographie der Erde unter dem Turm erstellt, wie der Architekt Volker Trautvetter erläutert.

"Um die Kirche herum erfolgt dann eine äußere und innere Fundamentverbreiterung. Mittels Stahlbetonbalken wird das alte Bruchsteinfundament stabiler und steifer gemacht", erklärt der Architekt. Diese Fundamentbalken sind zweigeteilt. Der untere Teil steht auf dem befestigten Erdgestein, der obere Teil ist mit dem Mauerwerk verbunden. Dazwischen sollen mit Hydraulikpressen dem Turm rund 20 Zentimeter seiner Neigung genommen werden. In einigen Jahren wird erneut nachjustiert. "Im Grunde versuchen wir, die Schiefstellungsgeschwindigkeit zu verringern, die jetzt bei sechs bis acht Zentimeter im Jahr durchschnittlich liegt", meint Trautvetter.

Kirchturm steht noch hundert Jahre

Bisher wurden die erforderlichen Messungen, auch die ersten Bohrungen in dem geologisch schwierigen Gebiet vorgenommen. Wenn das Projekt gelingt, so hoffen die Fachleute, steht der schiefe Turm von Bad Frankenhausen mindestens noch hundert Jahre.

In Thüringen gibt es nach Angaben des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie rund 2.500 Kirchen, etwa 125 Stadt- und zirka 2.375 Dorfkirchen. Rund 1.550 Kirchen sind im Besitz der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringen. Davon werden etwa fünf Prozent als stark gefährdet eingestuft. Dabei handelt es sich häufig um schadhafte Dächer und aufsteigende Feuchtigkeit, wie die Gebietsreferentin Denkmalschutz, Kathrin Weber, erklärt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen