Wissen

Nazi-Thema reformbedürftig Menschenbildung lehren

Der Bielefelder Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann hält den Geschichtsunterricht in Deutschland zum Thema Nationalsozialismus für reformbedürftig. "Das ist dringend fällig", sagte Hurrelmann. Es sei ein Signal, dass viele Schüler darauf mit Gähnen reagierten. Dieses Thema dürfe nicht als Wissensstoff daherkommen. Die Lehrer müssten mehr Gefühle ansprechen und etwa die Schüler Zeitzeugen befragen und selbst recherchieren lassen. "Bestimmt ein Drittel der Lehrer macht da sehr kreative Arbeit. Das sollte auch für andere Schulen und Lehrkräfte ein Muster werden."

Wichtig seien in diesem Zusammenhang auch Filme wie "Die Welle", betonte der Sozialwissenschaftler. In dem Streifen von Dennis Gansel, der am 13. März im Kino startet, erprobt ein Lehrer mit einer Klasse, wie anfällig sie für diktatorische Machtstrukturen ist. Die Schüler schließen sich zu der Gemeinschaft "Die Welle" zusammen. Wer nicht mitmacht, wird ausgeschlossen. Bald entsteht ein System aus Angst, Unterdrückung und sogar Gewalt. Der Film beruht auf einem wahren Versuch des Lehrers Ron Jones 1967 in Kalifornien.

Der Film biete einen Einblick in die Fragilität von menschlichem, würdevollem und sozialem Verhalten, so Hurrelmann. Er zeige, wie wichtig soziale Netzwerke und gesellschaftliche Regeln sind. "Wenn solche Regeln weggewaschen werden, dann kommt es zu einem Dammbruch."

Lauernde Unzufriedenheit

Entstehen könne so eine Bewegung theoretisch überall. "Es lauert immer im Untergrund das Unzufriedenheitsgefühl, dass die Welt anders sein könnte, dass man es besser haben sollte." Unter Kontrolle halten könne dies ein stabiler Bildungshintergrund. Dabei kommt es aber nach Ansicht Hurrelmanns nicht nur auf die formale Bildung an, wie sie die Jugendlichen in dem Film alle besitzen. Ebenso wichtig sei die Menschenbildung, die Fähigkeit, in sozialen Beziehungen zu leben, Verantwortung zu übernehmen und sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

Bei den deutschen Jugendlichen ist Hurrelmann recht optimistisch. "Im Großen und Ganzen ist die Familienkonstellation gut." Jugendstudien zeigten eine hohe Einvernehmlichkeit zwischen Kindern und Eltern. "Die große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat ein Arrangement mit dem Eltern getroffen für das Zusammenleben, das ich insgesamt als ein ziemlich sicheres Gewebe betrachten würde", so der Jugendforscher.

Radikale Gruppen nutzen nach Einschätzung Hurrelmanns manche Methoden, die in dem Film erprobt werden. "Die rechtsextremen Gruppierungen haben einige der Elemente für sich im Köcher." Als Beispiel nannte er die Verkündung eines klaren Weltbildes. "Diese Perfekt-Angebote geben Ersatzsicherheit; die Welt wird holzschnittartig auf ein festes Muster reduziert." Wichtig sei für die Anhänger auch das Gemeinschaftsgefühl, die Gruppe als Zuflucht und Auffangstation. "Das Individuum mit seinen Interessen und Bedürfnissen ist eine Null und wird erniedrigt. Die Gruppe ist alles. Das ist die gefährliche soziale Grammatik."

Von Cordula Dieckmann, dpa

Quelle: ntv.de

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